Am 3. März stimmt der Kanton Zürich über Verschärfungen des Demonstrationsrechts ab. Die Vorlage im Überblick.
Das Wichtigste in Kürze
- Im Kanton Zürich sollen Demonstrationen und Kundgebungen stärker reguliert werden. Dies fordert die Anti-Chaoten-Initiative der SVP.
- Demonstrationen und Kundgebungen sollen grundsätzlich im ganzen Kanton bewilligungspflichtig werden.
- Die Kosten für teure Polizeieinsätze sollen bei unbewilligten Demonstrationen und Kundgebungen auf Organisatoren und Teilnehmer überwälzt werden. Auch für Schäden sollen Veranstalter und Teilnehmer geradestehen. Bei Hausbesetzungen sollen die Besetzer die Kosten für die Räumung tragen müssen.
- Ein Gegenvorschlag zielt in die gleiche Richtung, ist aber moderater und nimmt rechtliche Bedenken auf.
Zürich ist die schweizerische Hauptstadt der Proteste. Allein im abgelaufenen Jahr gab es 338 Demonstrationen und Kundgebungen, also fast an jedem Tag eine.
Die meisten Veranstaltungen sind bewilligt und verlaufen friedlich. Immer wieder kommt es aber auch zu grossen, unbewilligten Zügen, die mit Ausschreitungen und Sachschäden einhergehen. Die Polizei ist jeweils mit einem Grossaufgebot präsent. Weniger akut ist das Problem in anderen Gemeinden.
Gegen die grossen, teuren und gewaltsamen Demonstrationen und Kundgebungen richtet sich die Anti-Chaoten-Initiative, über die der Kanton Zürich am 3. März abstimmt. Sie stellt vier Forderungen:
- Demonstrationen sollen prinzipiell bewilligungspflichtig werden.
- Bei unbewilligten Demonstrationen sollen Schäden sowie Kosten für Polizeieinsätze auf die Veranstalter und Teilnehmer überwälzt werden.
- Auch wer bewilligte Demonstrationen stört, soll für die Kosten haften.
- Hausbesetzer müssen die Rechnung für die Räumung der Liegenschaft übernehmen.
Der Gegenvorschlag nimmt zwei zentrale Punkte auf. Erstens verlangt auch dieser für eine Kundgebung oder Demonstration eine Bewilligung, ausgestellt von der Gemeinde. Zweitens sollen die Kosten für ausserordentliche Polizeieinsätze künftig zwingend weiterverrechnet werden, aber nur an «vorsätzlich handelnde Verursacher», wie es in der Vorlage heisst.
Keine Aussage macht der Gegenvorschlag zu den Kosten von Sachbeschädigungen oder Hausräumungen. Hier soll sich im Vergleich zu heute also nichts ändern.
Schon jetzt können die Kosten für ausserordentliche Polizeieinsätze den Veranstaltern auferlegt werden; es gibt dazu aber keine Pflicht. Insbesondere die Stadt Zürich verzichtet darauf. Der Stadtrat ist der Ansicht, dass es zum Grundauftrag der Polizei gehöre, Demonstrationen, auch illegale, zu begleiten.
Die Rechtslage ist ausserdem so, dass drohende Kosten nicht dazu führen dürfen, dass jemand seine Grundrechte nicht mehr wahrnehmen kann. Ausserdem dürfen nur jene Aufwendungen verrechnet werden, die jemand auch tatsächlich verursacht hat, eine Tat muss also eindeutig zugeordnet werden können. Wer zwar an einer illegalen Demonstration teilnimmt, sich aber grundsätzlich friedlich verhält, wird anders behandelt als jemand, der Steine wirft.
Die Bewilligung von Demonstrationen ist heute Sache der Gemeinden. Die Stadt Zürich verlangt eine solche erst ab 100 Teilnehmern, darunter reicht eine Meldung. Die Sachschäden müssen auf dem Zivilweg oder im Strafprozess geltend gemacht werden.
Die Initianten sprechen von einer Rechtsungleichheit: Während unbescholtene Bürger selbst bei einfachen Behördengängen eine Gebühr bezahlen müssten, kämen gewalttätige und illegal handelnde Demonstranten ungeschoren davon. Die Kosten müssten von der Allgemeinheit getragen werden – diese müsse zudem auch mit den Einschränkungen durch Demonstrationen leben, etwa im Verkehr.
Weiter habe die Zahl der unbewilligten und gewaltsamen Demonstrationen zugenommen, gerade auch in der Stadt Zürich. Die Kosten seien entsprechend gestiegen. Deshalb brauche es eine Verschärfung des Rechts.
Die Befürworter des Gegenvorschlags, zu ihnen gehört auch der Regierungsrat, unterstützen im Grundsatz das Anliegen der Initiative. Sie glauben aber, dass einige Forderungen zu unpräzise seien und vor Gericht nicht standhielten.
So sei zum Beispiel nicht klar, wie genau bei der Initiative die Kosten zwischen Veranstaltern und Teilnehmern aufzuteilen seien. Die Initiative gehe weiter als Regelungen in anderen Kantonen, die bereits erfolgreich gerichtlich angefochten worden seien.
Nicht zuletzt bleibe bei der Initiative unklar, ob neu der Kanton für die Bewilligungen von Kundgebungen zuständig sei. Der Gegenvorschlag weise diese Aufgabe explizit den Gemeinden zu.
Im Zürcher Kantonsrat lehnte eine rot-grüne Minderheit sowohl die Initiative wie den Gegenvorschlag ab.
SP, Grüne und AL befürchten, dass die Meinungsäusserungs- und Versammlungsfreiheit stark eingeschränkt würde und auch friedliche Demonstranten und sogar unbeteiligte Passanten belangt werden könnten.
Es bestehe die Gefahr eines «chilling effect». Das bedeutet, dass Organisatoren oder Teilnehmer aus Angst vor möglichen Kosten auf eine Demonstration und damit auf ihr Recht zur freien Meinungsäusserung verzichten könnten. Eine Bewilligungspflicht für Demonstrationen sei zudem ein unverhältnismässiger Eingriff in die Gemeindeautonomie. Weder die Initiative noch der Gegenvorschlag seien grundrechtskonform umsetzbar.
Es haben noch nicht alle Parteien eine Parole beschlossen. Die Aufstellung wird laufend aktualisiert.
Die NZZ empfiehlt die Initiative und den Gegenvorschlag zur Annahme. Bei der Stichfrage bevorzugt sie den Gegenvorschlag, weil dieser präziser formuliert und rechtlich einfacher umsetzbar ist.
Die Stossrichtung ist bei beiden Vorlagen die gleiche: Wer an einer unbewilligten Kundgebung Strassen blockiert, Wände versprayt, Geschäfte plündert oder sogar auf Polizisten oder andere Demonstranten losgeht, muss mit Konsequenzen, auch finanziellen, rechnen. Es kann nicht sein, dass die Allgemeinheit in solchen Fällen neben den Einschränkungen und Schäden zusätzlich noch sämtliche Kosten für den Polizeieinsatz zu tragen hat.
Auch eine allgemeine Bewilligungspflicht für Demonstrationen ist insbesondere mit Blick auf die Situation in der Stadt Zürich verhältnismässig, und eine kantonale Regelung sorgt für mehr Rechtsgleichheit.