Franziskus macht kein Geheimnis aus seinem Gesundheitszustand, aber stellt seinen kranken Körper nicht zur Schau, wie etwa Johannes Paul II. dies tat. Diese Strategie bietet kaum eine Angriffsfläche – zum Leidwesen seiner Kritiker.
Das Pontifikat von Franziskus ist in seiner Spätphase angelangt, aber noch nicht zu Ende. Dem ärztlichen Bulletin, das am Montagabend verbreitet wurde, konnte man entnehmen, dass sich der Gesundheitszustand von Franziskus zu stabilisieren scheint und er sich nicht mehr in akuter Lebensgefahr befindet. Die Ärzte, die ihn in der römischen Gemelli-Klinik behandeln, haben ihre bisher «verhaltene» Prognose aufgehoben.
Zwar sei das Bild seiner Erkrankung weiterhin als «komplex» zu bezeichnen. Doch Blutwerte und andere Parameter zeigten, dass er gut auf die Behandlung reagiere. Es sei jedoch notwendig, die medikamentöse Therapie im Krankenhaus noch einige Tage lang fortzusetzen.
Damit bestätigen sich die vorsichtig optimistischen Befunde, die seit dem Wochenende publiziert werden. Sie werden jeweils begleitet von Meldungen über die Aktivitäten des Pontifex in der Gemelli-Klinik: Er lese Zeitungen, heisst es etwa, er arbeite zwischen den Therapie-Sitzungen, er bete in der neben dem Krankenzimmer gelegenen Privatkapelle, er berate sich mit seinen engsten Mitarbeitern, unter ihnen der Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin, er verfolge per Videoschaltung die Fastenexerzitien in der vatikanischen Audienzhalle. Ein Novum war die Audiobotschaft vom letzten Donnerstagabend, als sich Franziskus mit schwacher Stimme überraschend an die Gläubigen auf dem Petersplatz wandte, die dort an einem Rosenkranzgebet für ihn teilgenommen hatten.
Der Papst hat nicht aufgegeben, so der Kerngehalt all dieser Meldungen, die Leitung der Kirche ist jederzeit gewährleistet. Bereits machen Spekulationen die Runde, Franziskus werde schon bald in seine Wohnung im Gästehaus Santa Marta im Vatikan zurückkehren und seine reguläre Tätigkeit wieder aufnehmen.
Sollte er tatsächlich in den Vatikan zurückkehren, notabene zum Leben und nicht zum Sterben, hätte dies das Zeug zum Triumphzug. Anspielungen auf das Ostergeschehen wären im gegebenen Kontext wohl garantiert. Und Franziskus würde zum Inbegriff der Kontinuität in einer Welt, in der gerade kein Stein auf dem anderen bleibt.
Kardinal Matteo Zuppi, der Vorsitzende der italienischen Bischofskonferenz, sieht im Umgang der Kirche mit der Krankheit ein Zeichen der Stärke. Die gesamte Kirche bete für den Papst, sagte Zuppi am Montag, dadurch werde die Gemeinschaft gestärkt. Im Bangen der Gläubigen werde das Amt des Pontifex noch sichtbarer.
Krankheit und Tod als Politikum
Eine Rückkehr Bergoglios in den Vatikan wäre indessen mit einigen Anpassungen verbunden. Kaum jemand glaubt, dass der 88-jährige Franziskus einfach weitermachen kann wie bisher. Lange Reisen dürften ausgeschlossen sein. Auch die Kadenz öffentlicher Auftritte müsste wohl stark reduziert werden – was den Papst, der ganz auf Nähe und zwischenmenschliche Kontakte setzt, bestimmt schmerzen und im derzeitigen Heiligen Jahr die eine oder andere Enttäuschung bei Rom-Pilgern hervorrufen würde. Da und dort springen derzeit bereits Mitglieder des Kardinalskollegiums in die Lücke.
Regulatorisch ist die Kirche nicht oder nur schlecht vorbereitet auf längere Absenzen oder gar eine Amtsunfähigkeit aus gesundheitlichen Gründen. Eine Arbeitsgruppe der Universität Bologna, die einen Gesetzesvorschlag ausgearbeitet hat, welcher für solche Fälle bestimmte Regeln aufstellen will, stösst im Vatikan auf Desinteresse. «In Rom herrscht ohrenbetäubendes Schweigen», sagt Geraldina Boni, Leiterin der Gruppe und Dozentin für kanonisches Recht in Bologna. «Es gab auf unsere Arbeit keine Rückmeldung seitens des Kardinalskollegiums.» Man fahre auf Sicht, konstatiert denn auch der «Corriere della Sera». In einer absoluten Monarchie, wie sie der Vatikan darstellt, gibt es keine Stellvertreter. Es bleibt letztlich alles im Ermessen des amtierenden Papstes.
Die Hoffnungen, dass nach dem freiwilligen Amtsverzicht Benedikts XVI. im Jahr 2013 so etwas wie eine Normalisierung im Vatikan Einzug halten würde, haben sich nicht erfüllt. Franziskus hat zwar bei früherer Gelegenheit einen Rückzug in Aussicht gestellt für den Fall, dass er nicht mehr in der Lage sein würde, das Amt auszuüben. Gleichzeitig hat er aber in Interviews immer wieder betont, dass das Papstamt auf Lebenszeit angelegt sei.
Das Leiden und Sterben der Päpste war im Übrigen immer hochpolitisch. Die meisten Päpste machten aus ihren Krankheiten ein Geheimnis oder wählten euphemistische Formulierungen für ihre Gebresten. Als Paul VI. ein Prostatatumor entfernt wurde, schrieb der «Osservatore Romano», das Amtsblatt des Vatikans, von einem «Unwohlsein, unter dem der Papst seit Wochen leidet».
Johannes XXIII. seinerseits starb an einem bösartigen Magentumor. Doch Radio Vatikan sprach damals nur von einem «unerbittlichen Übel», das «seine starke Natur gebrochen» habe.
Anders Johannes Paul II.: Der polnische Papst zeigte sich noch in der Öffentlichkeit, als er schon moribund war, kaum noch sprechen konnte und von starken Schmerzen gequält wurde. Doch auch er liess die Gläubigen mitunter im Unwissen über seinen Gesundheitszustand. Als er längst nicht mehr in der Lage war zu schlucken, liess sein Sprecher Joaquín Navarro-Valls die Journalisten wissen, Johannes Paul II. habe gerade zehn Kekse gegessen.
Bei Franziskus, der in der Kurie in Rom viele Feinde hat, war der Gesundheitszustand ein Dauerthema. Zu Beginn seines Pontifikats kursierte in Rom beispielsweise das Gerücht, er leide an einem Hirntumor. Später war von einem Tumor im Endstadium die Rede. Die Absicht war es, den Papst als kranken und ergo schwachen Pontifex darzustellen. «Ich bin noch am Leben», konterte Franziskus damals, «obwohl einige mich tot sehen wollten und schon das Konklave vorbereiteten.»
Transparenz gegen Mutmassungen
Der amtierende Papst hat deshalb schon früh den Weg der Transparenz eingeschlagen, von den Vorkehrungen für sein Begräbnis bis hin zu den medizinischen Bulletins, die jetzt, abgestimmt mit den Gemelli-Ärzten, fast täglich die Öffentlichkeit erreichen. Sie geizen jeweils bewusst nicht mit Details. Es ist darin etwa vom Schleim in den päpstlichen Bronchien die Rede oder von Brechreiz und von Atemnot. Gleichzeitig gibt es keine Bilder des leidenden Franziskus. «Es herrscht Glasnost über die Krankheit, aber sein Körper bleibt vorerst ein Tabu», notierte der Vatikanist der «Repubblica». Anders als Johannes Paul II., der das Leiden genutzt habe, um die «christliche Haltung gegenüber der Krankheit zu sakralisieren», zeige sich Franziskus als Patient wie jeder andere und vermeide es, ein Spektakel aus seiner Erkrankung zu machen.
Das verhindert freilich nicht, dass auch diesmal Gerüchte ins Kraut schiessen. Einmal hiess es, Franziskus sei schwer herzkrank, ein anderes Mal war davon die Rede, der Papst sei längst gestorben und man zögere lediglich die Bekanntgabe der Todesnachricht hinaus.
Die Halbwertszeit solcher Falschmeldungen ist indessen gering. Mit Verweis auf die Bulletins ist es einfacher geworden, Mutmassungen zu entkräften.