Unser Autor isst in einer seiner liebsten Sushi-Bars in Tokio. Hier wird man mit echtem Wasabi verwöhnt.
Gäbe es eine Rangliste der am schwierigsten zu findenden Restaurants, dann stünde das «Ochiai» in Ginza, im Zentrum Tokios, an erster Stelle. Trotz Google-Maps-Fotos des Eingangs, der genauen Adresse und einer Skizze auf der Website ist man als «Ochiai»-Neuling ohne lokale Begleitung verloren. Nun, man könnte anrufen. Shinya Ochiai, der Sushi-Master, redet auch ein wenig Englisch. Nur nimmt er nicht ab.
Sein Restaurant ist ein Einmannbetrieb. Die Sushi-Bar hat acht Plätze und ist immer voll, während Lunch und Dinner, und Shinya Ochiai macht alles selbst. Die acht Glücklichen, die einen Platz ergattern können, kommen nie alle zur selben Zeit, die kulinarische Abfolge kann bis zu zwanzig verschiedene Tellerchen bedeuten, dazu warten Dutzende verschiedener Sake darauf, auf die köstlichen Happen abgestimmt zu werden.
Da liegen Telefonate schlichtweg nicht drin.
Der schwarz-grüne Wasabi-Wurzelstock
Auch ich musste mich wieder orientieren bei meinem kürzlich erfolgten Besuch im «Ochiai». Es befindet sich in einem Wohnhaus, eine schmale Betontreppe führt zwei Stockwerke ausserhalb des Hauses hinauf, dann steht man vor einer Stahltür. Dahinter ein enger Lift. Nichts ist angeschrieben, und wenn, könnte man es als Tourist nicht lesen. Der Lift hält im zweiten Stock, es geht durch einen engen Korridor. Eine der Wohnungstüren ist offen, bloss mit einem herabgehängten Tuch abgedeckt. Ich bin angekommen.
Der Sushi-Master Shinya Ochiai schenkt mir einen knackigen, unpasteurisierten Amasake ein. Ich schaue ihm zu, wie er auf einer Reibe aus rauer Haifischhaut einen schwarz-grünen Wasabi-Wurzelstock zu einem feinen, mintfarbenen Mus reibt. Frisch gerieben, verliert dieser Geschmack und Schärfe innerhalb von dreissig Minuten, darum wird die Wurzel ausnahmslos frisch vor dem Gast gerieben.
Wobei die Bezeichnung «Wurzelstock» nicht ganz korrekt ist. Das eigentliche Produkt wächst grob verästelt unten aus besagtem Wurzelstock heraus und gedeiht zwei bis drei Jahre halb über und halb unter der Erde. Dann kann es, fein gerieben, Feinschmecker rund um den Erdball durch die aufsteigenden Isothiocyanate lustvoll in der Nase brennen und zu Tränen reizen.
Im Gaumen machen sich dann auch grüne Fruchtaromen bis hin zu Matcha-Tee und Suji Anori – eine Süsswasseralge – bemerkbar, diese werden aber durch die heftige Schärfe gleich niedergedrückt.
Die grüne Paste, die wir hier (und auch in Japan, dort heisst es «Seiyō Wasabi») als Würze aus Tuben drücken oder als Pulver mit Wasser anrühren, hat übrigens so wenig mit echtem Wasabi zu tun wie Trüffelöl mit echten Pilzen oder Surimi (das Krebsfleisch-Fake aus püriertem und gepresstem Fischabfall) mit frischen Schneekrabben-Beinen. Es handelt sich um ein Surrogat aus einem Meerrettich-Senf-Stärke-Gemisch, gefärbt mit Spirulina, Chlorophyll oder Tartrazin, mit mindestens 0,5 Prozent Wasabi-Pulver. Dank diesem kleinen Anteil darf das Produkt «Wasabi» im Namen tragen.
Echter, frischer Matsuma-Wasabi, die beste Qualität, kostet bis zu 800 Franken pro Kilo und benötigt für sein Gedeihen besondere Bedingungen, wie sie in den japanischen Nordalpen um Matsumoto oder auch an der Küste der Präfektur Shizuoka zu finden sind. Mit einigermassen ausgeglichenem Klima, ohne tiefen Frost, mit kristallklaren, sauberen Bergbächen, die unablässig für den enormen Wasserbedarf der Kreuzblütler sorgen.
Natürlich kommt heute der Grossteil der Ernten aus Zuchten, aber auch dort wachsen sie nicht schneller, und auch dort müssen die Bedingungen exakt passen.
Hier bei uns ist frischer Wasabi im High-End-Gemüsehandel erhältlich, oft nur auf Bestellung. Ein Wurzelstock hält sich, in ein feuchtes Tuch gewickelt, einige Tage gut gekühlt, trotzdem sollte man sich vor dem Kauf gut überlegen, wie und wie viel man in ein Menu einplanen will. Gerieben lässt er sich auch einfrieren, aber er verliert dadurch etwas an Farbe und Geschmack.
Fast zärtlich wird das Essen mit Wasabi eingestrichen
Wie bei manchen, sehr teuren Produkten braucht es auch vom echten Wasabi nur sehr wenig, um Geschmack einzubringen. Man vermutet, dass früher – die ältesten Erwähnungen in Japan stammen aus der Asuka-Periode vom 6. bis zum 8. Jahrhundert – die Schärfe der Pflanze den oft nicht mehr so frischen Geschmack von Fisch überdecken sollte. Erst später erkannte man auch die phänomenale Würzkraft der Wurzel und ihrer ätherischen Öle.
Im Gegensatz zur Fake-Paste wird frisch geriebener Wasabi nicht in Sojasauce ertränkt, und er wird vom Sushi-Master auch nicht aus der Hand gegeben. Er allein bestimmt, wie viel und ob überhaupt Wasabi an das Essen soll, und er streicht es fast zärtlich an Nigiri-Sushi oder an ein Stück Sashimi. Dasselbe mit der Sojasauce, die je nach Sushi-Variante mehr oder weniger mit einem Pinsel auf den Fisch gestrichen wird.
Wer partout nicht auf die Unsitte des Zusammenrührens von Paste und Sojasauce verzichten möchte, um darin sein Sushi zu ersäufen, geht am besten folgendermassen vor, um die ärgerliche Klümpchenbildung darin zu vermeiden: zu Beginn nur einige wenige Tropfen Sojasauce mit dem grünen Imitat geduldig zu einer homogenen, zähflüssigen Paste rühren und erst dann mit mehr Sojasauce zum gewünschten Ergebnis verdünnen.
Zurück im «Ochiai», kümmert sich der Sushi-Master mit einer raschen Bewegung um eine der sich vor ihm windenden Garnelen. Innert Sekunden liegt ihr Schwanz geschält, gereinigt und mit zwölf Jahre gereifter Sojasauce bepinselt vor mir. Er reibt mir eine letzte, kleine Portion Wasabi in ein Schälchen und erklärt mir minuziös, wie ich die Garnele, deren Nerven sie noch immer leicht zucken lassen, mit dem Wurzelmus essen soll.
Gut, habe ich auch diesmal sein Lokal wiedergefunden.
Richi Kägi ist Autor und Foodscout, schreibt Kochbücher und Kolumnen. Seit er vor zwanzig Jahren das erste Mal in Japan war, ist Sushi-Essen hierzulande eine Herausforderung.