Ljudmila Rasumowa hat mit Graffiti, Fotos und Texten den Krieg kritisiert – und sitzt seit einem Jahr wegen «Fakes» in einer Strafkolonie ein. Nun ist sie in Hungerstreik getreten.
Einmal waren es Brötchen, die sie in die Tiefkühltruhe gelegt haben soll. Brötchen, die nicht ihr gehörten. Einmal hat sie die Aufseher nicht darüber informieren wollen, woher sie ihre Zucker-Zitronen mit Zucker erhalten habe. In russischen Strafkolonien sind das Vergehen, die nicht geduldet werden. Für solche «Ordnungsverstösse» wird Ljudmila Rasumowa jedes Mal in eine Isolationszelle gesperrt, eine harte Bestrafungsart im ohnehin harten russischen Bestrafungssystem. Die Häftlinge haben dadurch kaum Ausgang, warmes Essen nur alle zwei Tage, sie dürfen nicht telefonieren und auch keine Essenspakete erhalten.
Ljudmila Rasumowa sitzt derzeit zum siebten Mal in einer Isolationszelle einer Strafkolonie in der Region Twer ein, knapp 300 Kilometer nordwestlich von Moskau. «Man sperrt uns wie Tiere hier ein», sagte sie am Dienstag während einer Gerichtssitzung, zu der sie per Video aus der Haft zugeschaltet war. Sie fordert, ins Gefängniskrankenhaus verlegt oder in eine andere Strafkolonie übergeführt zu werden. Vergeblich. Auch ihr Hungerstreik hilft nicht. Seit bald zwei Wochen trinkt sie nur noch, wenn sie ihre Medikamente einnimmt. Mehrmals sagte sie am Dienstag, wie schlecht es ihr gehe. Die Behörden drohen mit Zwangsernährung.
Nein zum Krieg
Die 59-jährige Künstlerin sitzt seit März 2023 eine siebenjährige Haftstrafe in einer Frauenstrafkolonie in Wyschni Wolotschok bei Twer ab. Sie soll «Falschinformationen gegen die russische Armee» verbreitet haben. Dieser Paragraf war erst nach der russischen Invasion in der Ukraine geschaffen worden, um all die Kriegsgegner im eigenen Land mundtot zu machen. Rasumowa, die Fotografin, hat zusammen mit ihrem Lebensgefährten Alexander Martynow, der als Taxifahrer etwas zu seiner Rente dazuverdiente, gegen den Krieg in der Ukraine protestiert.
Mit kleinen Schritten. Das ist das Einzige, was den Menschen in Russland noch bleibt, um ihren Unmut loszuwerden. Und selbst das ist hochgefährlich. Sie haben «Nein zum Krieg» an ein Geschäft in ihrem Dorf Nowosawidowski bei Twer geschrieben. Sie haben Graffiti gemalt: «Ukraine, vergib uns». Sie haben die Gesichter von Putin und Hitler zu einem Porträt zusammengefügt. In Russlands sozialem Netzwerk Odnoklassniki haben sie immer wieder kriegskritische Texte geschrieben. Sie bekam sieben Jahre Haft, er sechseinhalb.
«Ich bin im Glauben erzogen worden, dass der Krieg die schlimmste Erfindung der Menschheit sei», sagte Rasumowa in ihrem letzten Wort vor Gericht. «Wenn ich sehe, dass Charkiw bombardiert wird, dann ist es für mich Charkiw, das bombardiert wird. Ja, ich habe Angst. Als Mensch. Als freier, ehrlicher Mensch. Ich bin kein Sklave.» Im heutigen Russland gehört viel Mut dazu, solche Worte zu sagen. Es sind Worte, die hart bestraft werden.
Typische Russin
Rasumowa beschrieb sich vor Gericht als eine, die «der Politik fern» gewesen sei, jahrelang. So gesehen sei sie «eine typische Russin» gewesen, wie sie sagte. Der Krieg liess sie politisch werden. Ihr Fall ist ein Fall von vielen. Nach Angaben der russischen Menschenrechtsorganisation OWD-Info werden gegen etwa 1200 Kriegsgegner Verfahren geführt, etwa 400 Männer und Frauen sitzen wegen ihrer Kritik am Krieg ein, auch Minderjährige sind darunter. Die liberale Kulturszene ist seit Kriegsbeginn zum Erliegen gekommen. Rasumowas Unterstützer kämpfen dafür, dass die Fotografin wenigstens Briefe in die Strafkolonie bekommt. Rasumowa selbst setzt sich mit ihrem Leben für die Wahrheit ein. «Ich glaube einfach an mich.»
Erst im Juli 2024 war der russische Pianist Pawel Kuschnir an den Folgen seines Hungerstreiks in einer Strafkolonie im fernen Osten Russlands gestorben. Der 39-Jährige hatte ebenfalls den Krieg kritisiert und war verurteilt worden.