Hohe Temperaturen gehören zum Abwehrprogramm des Körpers gegen Krankheitserreger. Deshalb brauchen Kinder mit Fieber meist weder einen Arzt noch Tabletten. Aber es gibt Ausnahmefälle – und Warnzeichen, die helfen sie zu erkennen.
Im antiken Griechenland galt Fieber noch als etwas Gesundes. Hippokrates, berühmter Stammvater der modernen Mediziner, erhöhte einst sogar gezielt die Körpertemperatur seiner Patienten. Er glaubte an die heilenden Kräfte des Fiebers, wie übrigens viele seiner Zeitgenossen. Auch in den folgenden Jahrhunderten therapierten Ärzte Geschlechtskrankheiten wie Syphilis und Tripper – teilweise sogar erfolgreich – durch künstlich erzeugte innere Hitze.
Und heute? Sind zu hohe Körpertemperaturen einer der häufigsten Gründe für den Besuch beim Kinderarzt. Es gibt sogar Studien, die dafürsprechen, dass viele Kinder schon dann fiebersenkende Medikamente bekommen, wenn die Werte auf dem Thermometer noch im Normalbereich liegen. Es sei Zeit, umzudenken, fordern viele Kinderärzte. Und den Ruf des Fiebers zu retten, um Kinder vor überflüssigen Behandlungen zu schützen.
Warum ist Fieber eigentlich etwas Gutes?
Sogar Tiere, die ihre Temperaturen nicht selbst erhöhen können, nutzen die heilsame Kraft des Fiebers. Werden Echsen, Frösche oder Fische mit Bakterien infiziert, suchen sie warme Plätze auf, um sich innerlich aufzuwärmen. Ohne äussere Hilfe können sie ihre Körpertemperatur nicht erhöhen. Auch Vögel und Säugetiere kennen Fieber. «Eine Körperreaktion, die sich derart in der Natur bewährt hat, muss ihren Sinn haben», folgert daraus Roland Elling vom Universitätsklinikum Freiburg. Zumal das Aufheizen den Körper viel kostbare Energie kostet.
Tatsächlich lässt sich belegen, dass sich Bakterien und Viren bei hohen Körpertemperaturen schlechter vermehren. Umgekehrt verlängert die Gabe von Fiebersenkern bei manchen Infektionskrankheiten nachweislich die Krankheitsdauer. Bei der Grippe ist sie laut einer Studie sogar mit einem leicht erhöhten Sterberisiko verbunden. Für die Bedeutung des Heilmechanismus Fieber spricht auch: Die Botenstoffe, die es auslösen, aktivieren gleichzeitig wichtige Abwehrzellen, die eingedrungene Erreger attackieren. Viele Wissenschafter deuten die Temperaturerhöhung sogar als eine Art Alarmsignal, um den ganzen Körper in den Verteidigungsmodus zu versetzen.
Kann Fieber trotzdem gefährlich werden?
«Gefährlich wird die Grundkrankheit, nicht das Fieber», sagt der pädiatrische Infektiologe Roland Elling. Der Körper sei anders als von manchen angenommen kein Topf, der irgendwann überkocht, weil die Temperaturen immer höher steigen. Schäden sind erst dann zu befürchten, wenn 42 Grad Celsius überschritten werden – und das ist bei Kindern extrem selten.
Denn es gibt einen Sicherheitsmechanismus, der das verhindert. Fieber entsteht, weil Botenstoffe der Abwehrzellen, manchmal auch von eingedrungenen Erregern, im Hypothalamus, dem Kontrollzentrum der lebenswichtigen Körperfunktionen im Gehirn, den Zielwert für die Körpertemperatur verstellen. Er liegt dann höher. Die Folge: Durch Muskelzittern beginnt der Körper, sich aufzuheizen. Gleichzeitig verengt er viele Blutgefässe in der Haut. Die Arme und Beine werden dadurch kälter und verlieren damit weniger Wärme. Sobald der neue Zielwert überschritten wird, steuert der Hypothalamus gegen. Die zitternden Muskeln stellen die Arbeit ein, und die Gefässe öffnen sich wieder.
Überfordert ist das System allerdings, wenn der Patient nicht genug trinkt. Aufgeheizt verliert der Körper mehr Wasser, und das muss unbedingt ersetzt werden. Wird der Flüssigkeitsmangel zu gross, kann dies zu Bewusstseinstrübung und Nierenversagen führen. Eine solche sogenannte Dehydration ist einer der häufigsten Gründe dafür, dass Kinder mit Fieber in Krankenhäuser eingeliefert werden. Keine Sorgen müsse man sich dagegen machen, wenn überhitzte Kinder kaum noch ässen, sagt Elling. Die verlorenen Kalorien würden sie sich später wieder zurückholen.
Ab wann hat man Fieber?
Von Fieber spricht man, wenn sich die Temperatur im Körperinneren auf 38,2 Grad Celsius aufgeheizt hat. Bei Säuglingen ist man etwas vorsichtiger: Hier gilt schon alles ab der Grenze von 38,0 Grad als Fieber. Das Thermometer zeigt den Zustand je nach Messort mit unterschiedlichen Abweichungen an: In den Po gesteckt sind es bei älteren Kindern 37,9 Grad und mehr. Im Mund: mindestens 37,5 Grad. Unter der Achsel spricht man ab 37,3 und im Ohr ab 37,5 Grad von Fieber.
Was tun bei Fieber?
«Achten Sie auf das Kind, nicht auf das Thermometer», sagt Roland Elling. «Wenn ein Kind trotz hohen Temperaturen Lego spielt, muss das Fieber überhaupt nicht gesenkt werden.» Kinder können auch mit Fieber sehr aktiv sein und gehören nicht immer ins Bett. Dies gilt vor allem für die Phase, wenn die Temperaturen nicht mehr ansteigen. Dieser Punkt ist erreicht, wenn das Kind wieder eine rosige Hautfarbe hat und Beine und Arme wieder warm erscheinen.
Zittert und friert der kleine Patient dagegen, und fühlt er sich kalt an, deutet das darauf hin, dass der neue Sollwert im Hypothalamus noch nicht erreicht ist. Gerade in dieser Phase treten – ausgelöst durch die Fieber-Botenstoffe der Abwehrzellen – oft Begleitsymptome wie Unwohlsein, Kopf- und Muskelschmerzen auf. Die wiederum können für Ulrich Heininger, den Leiter der Pädiatrischen Infektiologie und Vakzinologie am Universitäts-Kinderspital beider Basel, ein Grund sein, doch noch zu Tabletten zu greifen.
Denn Mittel wie Paracetamol oder Ibuprofen senken nicht nur den überhöhten Zielwert im Hypothalamus und damit auch die Temperaturen. Sie lindern auch die unangenehmen Begleitsymptome, weil sie die Wirkung der Immun-Botenstoffe blockieren. Ibuprofen tut dies sogar noch stärker als Paracetamol, nur bei Säuglingen wird bevorzugt Paracetamol empfohlen. «Fieber senken ist nur dann nötig, wenn das Kind leidet», sagt der Kinderarzt. Aber wichtig: Gegen seinen Auslöser – die Infektion – können Fiebersenker nichts ausrichten.
Alternativen zu den Medikamenten kennt Roman Huber, der Leiter des Zentrums Naturheilkunde der Uniklinik Freiburg: Mit kühlen oder kalten Wadenwickeln oder durch das Abwaschen mit einem kalten Waschlappen liessen sich ebenfalls die Temperaturen senken. «Jedoch nur, wenn Arme und Beine des Kindes warm sind», sagt er. Weitere Ratschläge und Hintergrundinformationen zum Thema finden Sie in der Fever-App, die die Universität Witten/Herdecke mithilfe des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte und dem deutschen Bundesministerium für Bildung und Forschung entwickelt hat.
Wann sollte ein Kind mit Fieber zum Arzt gebracht werden?
«Unter dem Alter von drei Monaten sollte bei Fieber immer innerhalb der nächsten Stunden ein Arzt aufgesucht werden», sagt Ulrich Heininger. In diesem Alter können Infektionen dem Kind besonders schnell gefährlich werden. Zudem haben Säuglinge noch eine unzuverlässige Temperatursteuerung, auch deshalb müsse ein heisser Körper bei ihnen als Warnsignal gewertet werden.
Für alle älteren Kindern, sagt der Mediziner, gelte erst einmal die Devise: «Machen Sie sich keine Sorgen, solange Sie nicht ein anderes Alarmzeichen bemerken.» Alarmzeichen Nummer eins: Das Kind ist auffällig apathisch und lethargisch, berührungsempfindlich oder umgekehrt untröstlich, hört nicht mehr auf zu weinen oder gibt sogar schrille Schreie von sich. «In solchen Fällen gilt ebenfalls: Innerhalb der nächsten Stunden sollte ein Arzt aufgesucht werden», so der Pädiater.
Weitere Warnzeichen sind: ein Fieber, das länger als drei Tage dauert. Mehrere frische Einblutungen in die Haut, die sich zum Beispiel mit einem Trinkglas nicht wegdrücken lassen. Sie können Anzeichen einer lebensgefährlichen Blutvergiftung sein. Und: ein ungutes Gefühl der Eltern. Wenn Ihnen das Kind viel kränker vorkommt, als Sie es sonst kennen, dann sollten Sie ebenfalls Hilfe suchen.
Wie gefährlich sind Fieberkrämpfe?
Bei rund jedem 25. Kind treten zusammen mit dem Fieber sogenannte Fieberkrämpfe auf, besonders häufig im Alter von sechs Monaten bis drei Jahren. Dabei handelt es sich um epileptische Anfälle, die durch dieselben Botenstoffe ausgelöst werden wie das Fieber – nicht allein durch die erhöhten Temperaturen. Deshalb können sie durch fiebersenkende Mittel auch nicht verhindert werden. Bei einem Drittel der betroffenen Kinder ist mit Rückfällen zu rechnen. Eine Epilepsie entsteht daraus jedoch sehr selten. Das Risiko, nach Fieberanfällen später die Krankheit zu entwickeln, beträgt 1 bis 2 Prozent.