Rund 150 Kundgebungen sind in ganz Deutschland geplant. Viele Veranstaltungen sind Teil des Holocaust-Gedenktages. Forscher und Politiker warnen vor einer Instrumentalisierung der Proteste gegen die AfD.
In ganz Deutschland haben an diesem Wochenende wieder Hunderttausende Menschen gegen Rechtsextremismus demonstriert. Rund 150 Kundgebungen waren in fast allen Bundesländern geplant. Parteien, Gewerkschaften, zivilgesellschaftliche und kirchliche Organisationen hatten zu den Kundgebungen aufgerufen.
Die grösste Demonstration gab es am Samstag in Düsseldorf. Dort gingen laut Polizei rund 100 000 Menschen auf die Strasse. In Hamburg schlossen sich rund 30 000 Demonstranten und in Aachen 12 000 Menschen den Protesten an.
In Kiel kamen rund 15 000, in Marburg mehr als 12 000 Menschen. Im niedersächsischen Osnabrück folgten 25 000 Menschen dem Aufruf eines breites Bündnisses aus rund 40 Organisationen. Die Demokratie in Deutschland stehe unter Druck, warnte Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius auf der Kundgebung. Die AfD glaube, sie repräsentiere die Mehrheit. Aber «Wir sind mehr», sagte Pistorius, der auch Oberbürgermeister von Osnabrück war.
Auch in Bayern, Hessen und Thüringen fanden zahlreiche Kundgebungen statt. Erst am vergangenen Wochenende hatte Deutschland die grössten Demonstrationen seit Jahrzehnten mit rund einer Million Teilnehmern erlebt.
Gleichzeitiger Holocaust-Gedenktag
Vielerorts sind die Demonstrationen am Samstag auch Teil der Aktionen zum Holocaust-Gedenktag. Damit wird jedes Jahr weltweit der Opfer des Nationalsozialismus gedacht. Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, mahnte neue Formen für das Holocaust-Gedenken an. Das sei nötig, um die breite Bevölkerung und insbesondere die junge Generation emotional anzusprechen, sagte er der Funke-Mediengruppe. Es gebe nur noch wenige Überlebende des Holocaust, die persönlich Zeugnis ablegen und von den Verbrechen der Shoah berichten könnten.
Bundeskanzler Olaf Scholz rief in seinem wöchentlichen Video «Kanzler kompakt» zum Kampf gegen Antisemitismus und Rassismus auf. «Nie wieder ist jeden Tag», sagte der Sozialdemokrat. Er würdigte erneut den Protest Hunderttausender Menschen gegen Rechtsextremismus in den vergangenen Wochen. «Unser Land ist gerade auf den Beinen. Millionen Bürgerinnen und Bürger gehen auf die Strasse – für Demokratie, für Respekt und Menschlichkeit.»
Demonstrationsteilnehmer fühlen sich instrumentalisiert
Anerkennung verdient, dass so viele Menschen nicht nur zuschauen, sondern gegen Rechtsextremismus Flagge zeigen. Allerdings fühlen sich viele Kundgebungsteilnehmer zunehmend mit ihrem demokratischen Anliegen ausgeschlossen und instrumentalisiert. Grund dafür sind die Organisatoren vieler Demos, zu denen auch Fridays for Future oder linke Aktivisten gehören.
So warnte der Kommunikationsexperte Frank Brettschneider im Südwestrundfunk davor, dass die Proteste für andere politische Zwecke genutzt werden könnten. Die Bündnisse seien derzeit sehr, sehr breit. Allianzen kämen dann unter Druck, wenn eine Gruppe anfange, die anderen dominieren zu wollen, sagte der Wissenschafter von der Universität Hohenheim.
«Das breite Bündnis gegen Rechtsextremismus darf jetzt nicht von links gespalten werden», sagte auch das CDU-Bundesvorstandsmitglied Serap Güler im «Tagesspiegel». Güler hatte selbst an einer grossen Kundgebung in Köln geredet und mahnte, wie weitere Christlichdemokraten, eine sprachliche Differenzierung an. Die Demonstrationen richteten sich nicht gegen rechts, sondern gegen Rechtsextremismus, stellte sie klar.
Viel Kritik gab es an den Organisatoren der Grossdemonstration am vergangenen Wochenende in München mit rund 200 000 Teilnehmern. Viele Demonstranten fühlten sich unwohl und ausgenutzt, wie sie in sozialen Netzwerken schrieben. So wurden die Kundgebungsteilnehmer von der Bühne aufgefordert, «der ‹Ampel› den Mittelfinger zu zeigen». Die Versammlungsleiterin hatte zuvor schon christlichsoziale Politiker zu unerwünschten Personen erklärt. Zu den Organisatoren gehörten auch die Antifa München und Fridays for Future.
«Wer die Union und selbst die ‹Ampel› im gleichen Atemzug mit der AfD für rechte Politik angreift, spricht nicht für den Grossteil der Menschen, die heute gekommen sind», schrieb der Justizminister Georg Eisenreich danach auf Facebook. Auch in weiteren Städten fielen bei den Demonstrationen Redner mit linksradikalen Sprüchen und Hassparolen gegen die AfD auf.