Nach einem Jahr als Sportdirektor des SC Bern zieht Martin Plüss eine erste Bilanz. Unabhängig vom Ausgang der Play-offs, die mit der Serie gegen Fribourg-Gottéron beginnen, bleibt in Bern noch viel zu tun.
Martin Plüss, heute Freitag steigen Sie in Ihre ersten Play-offs als Sportdirektor des SC Bern. Der Klub gilt als laut, anspruchsvoll, notorisch unruhig. Sind Sie der Aufgabe bereits überdrüssig?
Auf keinen Fall, die Aufgabe ist enorm spannend und macht mir weiterhin grossen Spass. Gleichzeitig ist sie aber auch sehr herausfordernd. Ich habe ja nicht nur auf die sportliche Entwicklung der ersten Mannschaft Einfluss, sondern auf jene des ganzen Klubs.
Sie kennen den SCB bereits aus Ihrer Zeit als Spieler. Als Sie die Karriere im Frühjahr 2017 beendet haben, verabschiedeten Sie sich als Meister. Wie sehr waren Sie bei der Rückkehr schockiert?
Schockiert hat mich nichts. Die Entwicklung hatte sich bereits zu meiner Zeit abgezeichnet. Schon beim letzten Titel 2019 hat einiges nicht mehr zusammengepasst. Herausragende Individualisten, ein überdurchschnittlicher Torhüter (Leonardo Genoni, die Red.) oder ein kompetenter Trainer (Kari Jalonen) konnten noch einiges kompensieren. Doch es zeichnete sich ab, dass es am Fundament mangelte, das auch für die Zukunft trägt. Daran arbeiten wir nun.
Der Erfolg hat manche Leute also geblendet?
Die Umstände haben es der Klubführung auch schwer gemacht. Wie der SCB durch die Pandemie gekommen ist, war eine Meisterleistung. Es ging ums nackte Überleben der Organisation. Es ist nicht so, dass wir zu meiner Zeit als Spieler von Erfolg zu Erfolg geeilt wären. Auch wir hatte unsere Probleme. Damals aber reagierte die Klubführung mit personellen Anpassungen. Man hat den Trainer gewechselt, einen neuen Spieler geholt. Das alles war während Corona finanziell nicht mehr möglich.
Nun startet der SCB am Freitag aus Position 3 zu den Play-offs. Die Serie gegen Gottéron weckt hohe Erwartungen. In Bern spricht man bereits wieder vom Titel.
Der SCB ist ein ambitionierter Klub. Wenn man aus Position 3 in die Play-offs startet, dann weckt das berechtigterweise Erwartungen. Gleichzeitig darf man den Blick für die Realität nicht verlieren. Der Verlauf der Qualifikation zeigt, dass einige Dinge noch immer fragil sind. Wenn gewisse Spieler verletzt ausfielen, lief einiges sofort schlechter. Wir hielten mit den Besten mit, verloren aber auch Partien gegen Teams, gegen die wir nicht hätten verlieren dürfen. Die Fallhöhe ist weiterhin erheblich. Wir sind noch nicht so solid und breit aufgestellt wie die absoluten Topteams.
Der Trainer Jussi Tapola hat dem Team wieder eine Struktur gegeben. Es gibt in Bern aber auch Menschen, die sagen, der Finne habe zu viel Macht.
Auch ein guter Trainer wie Jussi muss geführt werden. Das ist der Job von mir und Patrik Bärtschi (der Sportchef, die Red.). Ich habe in Bern schon Trainer erlebt, die zu viel Freiraum genossen. Man liess sie gewähren. Ich will einen meinungsstarken Trainer. Der Austausch mit Jussi ist sehr gut. Er denkt im Sinne der Organisation und will etwas Nachhaltiges aufbauen. Natürlich haben wir zuweilen unterschiedliche Ansichten. Dann muss jemand entscheiden. Und das ist meine Aufgabe als sportlicher Leiter. In grundsätzlichen Dingen aber hatten wir noch kaum Differenzen.
Sie kennen aus Ihren vier Jahren beim schwedischen Top-Klub Frölunda auch die schwedische Mentalität. Wie weit beeinflusst diese Ihre Arbeit in Bern?
Es war eine andere Zeit, als ich in Schweden spielte (2004 bis 2008, die Red.). Was mich beeindruckt hat, war die Teamkultur bei Frölunda. Die Klub-Philosophie, die Art zu spielen, zog sich von den Junioren bis zum Elite-Team durch. Das machte für die Spieler den Schritt auf die jeweils höhere Stufe einfacher. Wir sind in der Schweiz immer noch etwas gar individualistisch unterwegs. Gleichzeitig ist hier die Selbstverantwortung der Spieler höher, was ein Vorteil sein kann. In Schweden wurde das Festhalten an einer einheitlichen Linie teilweise zum Problem. Deshalb ist der eine oder andere schwedische Trainer in der Schweiz gescheitert, weil er sich nicht oder zu spät an die hiesige Mentalität angepasst hatte.
Es ist ein oft gehörter Vorwurf in Bern, dass sich der Klub zu wenig um seine Nachwuchsspieler bemüht habe. Viele verliessen den Klub unzufrieden und schlossen sich einem Konkurrenten an. Der SCB reagierte darauf, indem er seinen Schlüsselspielern zuweilen überlange Verträge gab. Tristan Scherwey unterschrieb für sieben Jahre. Wie sehr belasten diese Verträge die Erneuerung des Teams?
Ich spreche nicht über einzelne Spieler. Aber allgemein formuliert, haben wir tatsächlich viele längere Verpflichtungen mit budgetrelevanten Summen. Solange ein Spieler diese mit seinen Leistungen rechtfertigt, ist das kein Problem. Die Pipeline von Nachwuchsspielern mit Potenzial ist derzeit nicht derart gefüllt, wie wir uns das wünschen. Zu meiner Zeit als Spieler konnten wir Lücken mit Spielern wie Christoph Bertschy (heute bei Gottéron, die Red.) oder Joël Vermin füllen, die auf Anhieb eine gute Rolle spielten. Daran müssen wir arbeiten. Wir müssen wieder vermehrt eigene Spieler produzieren, die eine spielbestimmende Rolle im Team übernehmen können.
Der SCB ist ein emotionaler Klub, der sich selbst gerne als Bayern München des Schweizer Eishockeys sieht. Wie weit ist diese Haltung eine Hypothek?
Ich denke, auch in dieser Hinsicht war Corona heilend. Die Krise hat gezeigt, dass es im Sport keine Abkürzungen gibt. Manchmal hat man Glück, und alles geht schneller als erwartet. Doch irgendwann wird man von der Realität eingeholt. Wir haben das diesen Winter erlebt. Als wir im November eine schwierigere Phase hatten, kam im Umfeld sofort Unruhe auf. Ich kann nur wiederholen, was ich bereits gesagt habe: Es braucht Zeit, eine neue Basis aufzubauen.
Epizentrum dieser Unruhe war oft der CEO Marc Lüthi. Wie ist Ihr Verhältnis?
Schon zu meiner Zeit als Spieler waren wir nicht immer derselben Meinung, und wir sind es auch heute nicht. Grundsätzlich wollen wir beide eine Leistungskultur und Erfolg. Ich schätze Marcs direkte Art. Ich empfinde den Austausch mit ihm als wichtig und hilfreich, selbst wenn er nicht direkt aus dem Sport kommt. Für mich ist es interessant, verschiedene Sichtweisen zu erhalten. Auch hier mache ich eine Verbindung zu Schweden. Man war dort offen für alle Meinungen.
Patrik Bärtschi war ein Mitspieler von Ihnen, nun ist er Ihre rechte Hand. Mit Spielern wie Simon Moser, Ramon Untersander oder Tristan Scherwey haben Sie noch zusammengespielt. Ist das kein Problem?
Mir hilft, dass ich nach dem Karrierenende einige Jahre vom SC Bern weg war. Ich war bis zum Rücktritt Captain des Teams und damit in vieles involviert. Doch jene Spieler, mit denen ich noch zusammengespielt habe, sind auch jene, die meine Überzeugungen teilen.
Sie galten als Spieler als besonnener Typ, der alles genau durchdachte, ehe er Stellung bezog. Tun Sie sich zuweilen schwer mit der Kurzlebigkeit dieses Geschäfts und der Erwartungshaltung in Bern?
Ich sehe kein grundlegendes Problem. Letztlich wollen wir alle dasselbe: Gewinnen. Was mir am SCB speziell gefällt, ist die Ambition, der Beste sein zu wollen. Entscheidend ist, wie man damit umgeht.