Jelmoli war Geschäftsmann und Ästhet. Wenn sein Warenhaus im Frühling erneut umgebaut wird, bleiben seine Vorstellungen massgebend.
Wenn einer weiss, was um 1885 angesagt ist, dann er: Franz Anton Jelmoli. In seiner Boutique an der Bahnhofstrasse führt er die Neuheiten jeder Saison und achtet stets auf allerbeste Qualität. Mit seinem Gespür für die aktuellsten Moden erfüllt er die Herzenswünsche der Damen vom noblen Zürichberg – und bringt es zu erklecklichem Vermögen.
Doch der Höhepunkt seines Erfolgs steht ihm erst noch bevor.
Mit dem Plan, das erste Warenhaus der Schweiz zu bauen, nimmt Jelmoli Mitte der 1890er Jahre ein beispielloses Projekt in Angriff – und schafft dabei etwas Einmaliges. Bei seiner Fertigstellung 1899 ist der Neubau das modernste Gebäude weit und breit. Inmitten der schwerfälligen zwinglianischen Steinbauten funkelt die Konstruktion aus Eisen und Glas wie ein Palast.
Heute, etwas mehr als 125 Jahre später, ist das Unternehmen Jelmoli Geschichte. Ende Februar wurden die letzten Stücke verkauft. Nun wird das Gebäude umgebaut, später bezieht Manor einen Teil der Verkaufsflächen, der Rest wird für Büros zweckentfremdet.
Seine Strahlkraft aber bleibt unverändert. «Es ist ein Juwel der Schweizer Baugeschichte», sagt Peter Berger. Er war als Architekt selbst an Einkaufszentren beteiligt, unter anderem an der Sihlcity. Daneben hat er ein Buch zur Geschichte des schweizerischen Stahlbaus publiziert.
Der Jelmoli-Bau vereine wie kein zweiter den Zeitgeist und den Stand des technisch Machbaren im ausgehenden 19. Jahrhundert, sagt Berger. Das mache das Gebäude so besonders.
Ein Geschäftsmann träumt von einer Weltstadt
Als die Verkaufsräume an der Bahnhofstrasse für Jelmolis zahlreiche Kundschaft zu klein werden, beginnt er sich nach grösseren Lokalen umzusehen.
Franz Anton Jelmoli ist der Sohn italienischer Einwanderer. 1863 bekommt er das Bürgerrecht der Stadt Zürich. Und dann gelingt ihm ein geradezu historischer Coup: Mit den Seidenhöfen erwirbt er das Zentrum der alten Zürcher Seidenindustrie. Hier hat die Stadt einst ihren Reichtum erwirtschaftet. Jelmoli aber ist überzeugt davon, dass mit dem 20. Jahrhundert ein neues Zeitalter anbrechen wird – und lässt das geschichtsträchtige Areal dem Erdboden gleichmachen.
Neben Aufenthalten in Paris ist es vor allem ein Roman, der Jelmoli zu seinem Projekt inspiriert. In «Das Paradies der Damen» schildert der Romancier Émile Zola 1884 ausführlich das Geschehen in den Pariser Kaufhäusern.
Jelmoli ist von seiner Lektüre begeistert. So sehr, dass er die jungen Architekten Hermann Stadler und Johann Emil Usteri einen Entwurf nach den Pariser Vorbildern ausarbeiten lässt. Die beiden haben mit dem Bau des Hotels «Baur au Lac» schon Erfahrung gesammelt. Doch nun wagen sie etwas völlig Neues: Sie planen ein vierstöckiges Gebäude mit einem Eisenskelett als Tragkonstruktion und einer gläsernen Fassade.
Peter Berger sagt: «Die beiden Architekten orientieren sich an der Avantgarde europäischer Baukunst.»
Ähnlich waren zwar schon die Architekten Otto Pfleghard und Max Haefeli 1897 vorgegangen, als sie das «Geschäftshaus zur Trülle» zeichneten, das in unmittelbarer Nähe der alten Seidenhöfe steht. Es ist jedoch nur bis zum ersten Stockwerk verglast, darüber befinden sich Wohnungen.
Jelmoli verfolgt den gleichen Ansatz, ist aber radikaler. Er will, dass endlich auch Zürich hat, was in Paris schon lange selbstverständlich ist: einen weltstädtischen Prachtbau, ganz zu Diensten des gepflegten Einkaufs.
Die Architektur hilft, Waren zu verkaufen
Franz Anton Jelmoli ist ein Ästhet, kein Zweifel. Doch im Zentrum seiner Überlegungen steht immer das Geschäft – auch dann, wenn es um architektonische Fragen geht.
Für den Bau rechnet er mit Kosten von ungefähr 600 000 Franken. Er weiss, dass er enorme Umsätze wird machen müssen, um diesen Betrag wieder einzunehmen und den Kredit für das Bauland zurückzuzahlen. Alles in seinem Gebäude muss deshalb auf einen möglichst hohen Warenfluss und solide Verkaufszahlen ausgerichtet sein.
Peter Berger erläutert: «Im Zeitalter der industriellen Produktion gibt es auf einmal mehr Güter, als die Kunden tatsächlich kaufen. Die Inszenierung der Produkte wird damit zentral.» Und da kommt die Architektur ins Spiel: Jelmoli weiss, dass er nur Erfolg haben kann, wenn er seine Waren vorteilhaft präsentiert. Deshalb setzt er auf schlanke Pfeiler, übersichtliche Räume, elektrisches Licht und grosse Fenster über alle Stockwerke hinweg.
Architektur als verkaufsfördernde Massnahme – Jelmoli integriert dieses Konzept von Anfang an ins Unternehmen.
Darüber hinaus macht er sich Gedanken zur Infrastruktur. Sein Neubau wird über einen Warenlift verfügen, der die vier Verkaufsetagen mit dem Lager im Untergeschoss verbindet. Peter Berger sagt: «Das Warenhaus steht nicht nur für den Fortschrittsglauben jener Zeit, es verkörpert auch selbst den Fortschritt. Alles darin ist absolut modern.»
Und weil sich die vorwiegend weiblichen Gäste möglichst lange im Haus aufhalten sollen, gibt es auf jedem Stockwerk eine Damentoilette. Im Estrichgeschoss ist ein Erfrischungsbereich geplant, in dem man sich von den Strapazen des Einkaufens erholen und sich verpflegen kann.
Ein Denkmal des guten Geschmacks
Der Tag von Franz Anton Jelmolis Triumph ist ein Samstag: Nach bloss zweijähriger Bauzeit lädt er am Vormittag des 16. Septembers 1899 mehr als 300 Geschäftsleute und Journalisten zur Besichtigung seines Neubaus. Die Krönung des Rundgangs ist ein ausgelassener Apéro mit russischen Spezialitäten.
Und als am Abend auch die Bevölkerung eingelassen wird, wächst sich die Eröffnung endgültig zum Spektakel aus.
«Was Jelmoli der Öffentlichkeit präsentiert, das hat man in der Schweiz noch nicht gesehen», so Peter Berger. «Das Licht, das durch die raumhohen Fenster strömt, vermittelt den Gästen ein Gefühl, das an die Märkte unter freiem Himmel erinnert.» Bloss sind die Waren im Warenhaus nicht nur nebeneinander angeordnet, sondern auch übereinander.
Auf den vier Etagen sind bei Jelmoli alle erdenklichen Güter aus der industriellen Massenproduktion zu bestaunen. Gewissenhaft resümiert die NZZ am Tag der Eröffnung das Sortiment des «Riesen-Etablissements»: Bettwaren, Damen- und Herrenmode, Spielwaren für Kinder, Haushaltsware, Schmuck, Parfum und sogar Konserven.
Mit diesem Angebot ersetzt das Warenhaus locker ein halbes Dutzend Fachgeschäfte. Franz Anton Jelmoli hebt den Konsum in eine neue Dimension. Und trifft damit den Nerv der Zeit: Das Kaufhaus gilt schon bald als neuste Sehenswürdigkeit der werdenden Grossstadt.
Wer wissen möchte, welche Attraktionen der moderne Kapitalismus zu bieten hat, der kommt im Warenhaus an der Sihlstrasse auf seine Kosten. Und Franz Anton Jelmoli hat seinem guten Geschmack ein dauerhaftes Denkmal gesetzt.
Der Glaspalast wird zu dem, was er schon war
Nach der Eröffnung wird das Warenhaus mehrere Male umgebaut und erweitert: In den 1930er Jahren gesellt sich ein erster Anbau zum Glaspalast. «Die Vorbilder dieser Bauetappe sind nun nicht mehr in Paris, sondern in Berlin zu suchen», sagt Peter Berger.
Otto Pfleghard beweist mit dem Anbau, dass er auch eine sachliche Formensprache im Stile des deutschen Bauhauses beherrscht. Dem Prinzip der Stahlkonstruktion bleibt er treu, den grössten Teil der Fassade lässt er allerdings in Mauerwerk verkleiden – so, wie er es schon bei seinem «Haus zur Trülle» getan hatte.
1961 komplettiert ein dritter Flügel aus Stahl und Glas das Jelmoli-Ensemble. Dieser Erweiterungsbau an der Ecke Seidenstrasse/Uraniastrasse kann als Neuinterpretation des einflussreichen Glaspalastes von 1899 angesehen werden.
Im Frühling 2025 wird bei Jelmoli nun ein weiteres Mal umgebaut: 130 Millionen Franken lässt sich die Hauseigentümerin Swiss Prime Site die neuerliche Sanierung des Komplexes kosten. Schon in zweieinhalb Jahren sollen die Arbeiten abgeschlossen sein.
Die Veränderungen halten sich denn auch in Grenzen. Zwar werden bloss noch die unteren drei Etagen als Verkaufsflächen genutzt. Dafür wird das, was Jelmoli als Erfrischungsbereich geplant hat, vergrössert: Auf der neu gestalteten, 4000 Quadratmeter grossen Dachterrasse entstehen gastronomische Angebote und Begegnungszonen.
Dazwischen ziehen Büros ein. Damit diese genug natürliches Licht bekommen, erhält der älteste Gebäudeteil einen Lichthof zurück. Dieser bestand schon 1899, wurde aber später zugemauert.
Franz Anton Jelmolis visionärer Bau von einst bleibt damit zukunftsweisend.
Peter Berger: Bauen mit Stahl. Eine Geschichte des Schweizer Stahlbaus. Zürich, 2022.