Wer gegen rechts ist, kann nicht auf der falschen Seite stehen? Ein Irrtum, wie der jüngste Star der Linkspopulisten zeigt.
Die Medien feiern sie wie eine Erlöserin. «Ikone linker Popkultur» nennt sie die Tamedia-Presse, «die Frau auf den Barrikaden». Der «Spiegel» feiert sie als «die andere Alternative», für alle, die mit dem «rechten Zeitgeist» fremdeln. Ihr «Engagement für soziale Gerechtigkeit» mache sie zur Symbolfigur einer neuen Linken, schwärmt «20 Minuten». Für die «Tageszeitung» ist sie «die neue Queen» im Bundestag. Selber bezeichnet sich Heidi Reichinnek als «Sozialistin, Feministin, Antifaschistin».
Die 36-Jährige hat es mit viel Pathos, Populismus und Selbstvermarktung auf der chinesischen App Tiktok geschafft, die deutsche Partei Die Linke vor dem Abstieg in die Bedeutungslosigkeit zu retten. «Die Brandmauer im Land, das sind immer noch wir», rief sie Friedrich Merz im Bundestag entgegen, als dieser mithilfe der AfD eine Änderung der Asylpolitik durchsetzen wollte. «Leistet Widerstand. Auf die Barrikaden!»
Solidarität mit dem sozialistischen Diktator Maduro
Das Entzücken, mit dem die meisten Journalisten auf Reichinneks Erfolg reagieren, ist bezeichnend für den unkritischen medialen Umgang mit antikapitalistischen Populisten. Denn Heidi Reichinnek und ihre Partei pflegen eigene Vorstellungen von Widerstand und Brandmauern. Sie offenbaren Abgründe, die genauso zur «linken Pop-Kultur» gehören wie das Rosa-Luxemburg-Tattoo auf dem Arm von Heidi Reichinnek, das in kaum einem Medienbericht fehlen darf.
Die Partei Die Linke ist die direkte Nachfolgerin der DDR-Diktaturpartei SED. Diese teilte die Welt nach einem einfachen Schema ein: hier die gute, antiimperialistische Allianz aus sozialistischen Staaten, kommunistischen Parteien und Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt; dort die bösen Nato-Imperialisten mit ihrem Vorposten Israel.
Dieses Gedankengut prägt die Linke bis heute mit. Unter der Parole «Hände weg von Venezuela – vorwärts zum Sozialismus» solidarisierten sich einige ihrer Bundestagsabgeordneten 2019 mit dem sozialistischen Diktator Nicolás Maduro, den sie als Opfer des amerikanischen Imperialismus betrachten. Sie sprachen nicht für die gesamte Partei, aber für eine lautstarke Gruppe.
Die Faschisten sitzen für sie in Kiew
Aus demselben Grund weigern sich viele Altlinke, Maduros Freund und Förderer Wladimir Putin zu verurteilen. Die einstige SED-Zeitung «Junge Welt», das Organ der DDR-Nostalgiker, denunziert die grüne Aussenministerin Annalena Baerbock gerne als Kriegstreiberin. Wladimir Putin dagegen wurde einen Tag vor dem russischen Einmarsch in der Ukraine als Friedensstifter gefeiert.
Spätestens seit Sahra Wagenknecht mit ihren Anhängern die Linke verlassen hat, sind die Russland-Freunde geschwächt. Der Parteivorstand hat Putin kürzlich klar als Aggressor benannt. Aber als Heidi Reichinnek der Partei 2015 beitrat, dominierten die alten Muster.
Bundestagsabgeordnete wie der in der Sowjetunion geschulte Wolfgang Gehrcke biederten sich zu jener Zeit bei Wladimir Putin an. Sie reisten in die Ostukraine, um russische Separatisten zu unterstützen. Statt Putins Expansionspolitik anzuprangern, versuchte die Linke mit Anfragen im Bundestag, die Ukraine als Hort von Faschisten zu diskreditieren und der Nato die Schuld an der Eskalation zuzuschieben.
Mit Islamisten gegen den «Raubtierkapitalismus»
Widerstand gegen autoritäre Tendenzen und Faschismus kann man das kaum nennen. Vielmehr erinnert das Verhalten an die heutige Russland-Politik der AfD. In Interviews, die deutsche Medien mit Heidi Reichinnek führen, gab es bisher kaum kritische Fragen zu diesem Thema. Ebenso wenig interessiert es Journalisten, dass ihre Brandmauer-Ikone 2016 ein Manifest veröffentlichte, in dem sie für linke Bündnisse mit religiösen Fundamentalisten warb.
«Mit Islamisten reden!» lautet der Titel des Beitrags, den Reichinnek damals mit zwei Co-Autoren für die Rosa-Luxemburg-Stiftung verfasste. Die Stiftung wird hauptsächlich vom deutschen Staat finanziert, der 2016 über 56 Millionen Euro beisteuerte. Ideologisch und personell ist sie eng mit der Linken verbunden. Reichinnek und ihre Mitautoren halten zwar fest, viele Islamisten würden ein Weltbild pflegen, «das Werten widerspricht, die für die Linke nicht verhandelbar sind».
Sie schreiben ihnen jedoch eine wichtige Rolle zu. Einerseits im «revolutionären» Kampf gegen autokratische Regime während des Arabischen Frühlings von 2011, andererseits in der Mobilisierung der «marginalisierten unteren Mittelschichten», die von säkularen Linken in arabischen Ländern nicht erreicht würden. Besonders angetan sind Reichinnek und ihre Kollegen von der 1928 gegründeten Muslimbruderschaft.
Deren Anhänger, so versichern sie, bemühten sich nicht nur um das Wohl der Bevölkerung. Sie würden sich in Ägypten, Syrien und Jordanien auch zu demokratischen Prinzipien wie der Rede- und Glaubensfreiheit bekennen. Reichinnek und ihre Mitautoren sind überzeugt, dass die Islamisten sich im «Dialog» mit westlichen Antikapitalisten mässigen lassen würden. Gemeinsame Werte gebe es einige, etwa die Abneigung gegen den «Raubtierkapitalismus». Islamisten würden nämlich für eine gerechte Verteilung des Reichtums eintreten. Auch die «Zerschlagung korrupter Netzwerke» stehe auf ihrer Agenda.
«Der Islam ist die Lösung» – für Reichinnek ein gewöhnlicher Slogan
Die Aussagen sind umso bemerkenswerter, als zum Machtgeflecht der Muslimbruderschaft auch die Hamas gehört. Deren vom islamistischen Wüstenstaat Katar alimentierte Führer haben auf wundersame Weise ein Millionenvermögen angehäuft, während sie die Bevölkerung in Gaza darben lassen. Was Muslimbrüder und andere Islamisten von Demokratie halten, lässt sich derzeit in Syrien beobachten, wo das neue Regime Minderheiten brutal verfolgt.
Doch in ihrem Bemühen, die Islamisten in westlichen Kreisen salonfähig zu machen, halten ihnen Reichinnek und ihre Mitautoren selbst den Umstand zugute, dass sie Frauen immerhin als Mütter fördern würden. Den religiösen Hass der Islamisten gegen emanzipierte Frauen, liberale Muslime, Ungläubige und Juden blenden sie meist aus. Dabei träumen auch «gemässigte» Muslimbrüder wie Rached Ghannouchi von einer Auslöschung Israels durch die «Islamische Nation». Der geistige Anführer der Bewegung, Yusuf al-Karadawi, rief die Gläubigen wenige Jahre vor dem Arabischen Frühling dazu auf, dem Beispiel Adolf Hitlers zu folgen.
Mit den Anhängern solcher Leute sollte die Linke nach Ansicht der Sozialistin, Feministin und Antifaschistin Heidi Reichinnek zusammenarbeiten. Für arabische Linke, die den Islamisten aus gutem Grund misstrauen, hatte sie nur Unverständnis und Belehrungen übrig. Diese Genossen, so heisst es in ihrem Beitrag für die Luxemburg-Stiftung, offenbarten ein seltsames Demokratieverständnis und einen «patriarchalischen Blick auf die eigenen Bevölkerungen». Denn diese wollten, dass der Islam im Staat eine zentrale Rolle spiele.
Der Text gipfelt in der Feststellung, dass der Muslimbruder-Slogan «Der Islam ist die Lösung» bloss eine gewöhnliche Wahlkampfparole sei. So wie die einstige SPD-Parole «Freu dich auf den Wechsel».
Vereint im Hass auf Israel
Heidi Reichinnek beschäftigte sich in ihrem Studium mit dem Nahen und dem Mittleren Osten. Während des Arabischen Frühlings hielt sie sich in Ägypten auf, was ihre romantische Sicht auf die Muslimbruderschaft beeinflusst haben mag. Harmlos war ihr Beitrag deshalb nicht. Und er folgte einem internationalen Trend in der radikalen Linken.
Entsprechende Sympathien wurden erstmals während des religiösen Umsturzes in Iran sichtbar. Sie verstärkten sich nach dem Kollaps des sozialistischen Lagers und den Anschlägen des 11. Septembers 2001. Nun warb ein massgeblicher Teil der äusseren Linken für Allianzen mit Islamisten, um den gemeinsamen Feind zu bekämpfen: die USA und den israelischen Staat.
Zudem glaubten linksradikale Strategen, sie könnten mit ihrer Parteinahme für Islamisten muslimische Wähler in europäischen Städten gewinnen. Als Ersatz für das Proletariat, das zunehmend rechts wählt.
In Grossbritannien setzten Labour-Politiker wie Jeremy Corbyn und Ken Livingstone auf diese Strategie. Livingstone betätigte sich als Gastgeber für den oben erwähnten Yusuf al-Karadawi, Corbyn knüpfte schon früh Kontakte zu Hamas und Hizbullah. In Frankreich biedert sich die linkspopulistische Partei La France insoumise (LFI) seit einigen Jahren bei Islamisten an, mit Stimmungsmache gegen Israel und zum Teil offenem Antisemitismus.
Extremistische Verbündete im Europaparlament
LFI ist auch im Europaparlament vertreten – und ihre dortige Partnerin ist die Linke von Heidi Reichinnek. Im Gegensatz zu LFI hat die deutsche Partei keine einheitlich proislamistische Haltung. Ihre Nachwuchsorganisation Linksjugend hat sich 2018 gegen jegliche Zusammenarbeit mit Islamisten ausgesprochen. Der Aufruf richtete sich explizit gegen alle, die mit der Muslimbruderschaft zu tun hätten.
Exponenten der linken Mutterpartei fallen dagegen immer wieder mit Genozid-Propaganda und Solidaritätsbekundungen für Hamas-Unterstützer auf. Die Linke arbeitet auch mit Organisationen wie dem Zentralrat der Muslime zusammen, obwohl dieser Verbindungen zu Muslimbrüdern und türkischen Rechtsextremen hat. Dies sinnigerweise im Rahmen des Projekts «Aufstehen gegen Rassismus».
Im letzten Herbst haben mehrere Politiker die Partei verlassen, weil sie sich zu wenig klar gegen den zunehmenden Antisemitismus positioniere. Wie Heidi Reichinnek heute zum Islamismus steht, bleibt unklar, auf eine Anfrage der NZZ reagierte sie nicht. Einerseits hat sie sich in einer Bundestagsrede klar von den «Terroristen» der Hamas distanziert – und Israel ein Recht auf Verteidigung eingeräumt. Andererseits ist sie Mitglied der Antifa-Vereinigung VVN-BdA, die einst Stalins antisemitische Schauprozesse bejubelte und heute ebenfalls mit dem Zentralrat der Muslime kooperiert.
Auf der Website Abgeordnetenwatch.de werden der Politikerin viele Fragen gestellt, etwa wie sie zum Gendern oder zur Legalisierung von Cannabis stehe. Und weshalb sich die Linke mit einer klaren Islamismuskritik derart schwertue. Die ersten beiden Fragen hat sie beantwortet. Die letzte nicht.