Edgar Oehler baute ein Imperium auf und wurde dann spektakulär entmachtet. Nun ist er im Alter von 83 Jahren gestorben. Ein Nachruf.
Wer mit Edgar Oehler zusammenarbeitete, musste sich auf sein Tempo einstellen. Besprechungen legte er gerne auf Samstagmorgen um sieben Uhr, manchmal auch früher. Dann erwartete er seine Geschäftspartner in seinem Büro am Bodensee, bereit für zwei bis drei Stunden konzentrierte Arbeit. Am Ende schenkte Oehler allen einen Butterzopf.
Seine Einstellung zur Arbeit formulierte Edgar Oehler einmal so: «Ich habe in Florida ein schönes Haus am Meer. Aber ich habe immer gesagt: Wenn Sie die Gelegenheit haben, etwas zu tun für die Wirtschaft und für neue Arbeitsplätze, dann müssen Sie es tun.»
Und Edgar Oehler hat vieles getan. Er lebte mehrere Karrieren zugleich. Oehler war Oberst, Nationalrat, Journalist. Vor allem aber war er einer der umtriebigsten Unternehmer des Landes.
Sein Lebensmittelpunkt blieb unverrückbar die Ostschweiz, genauer gesagt das Rheintal, noch genauer: Balgach. In dem Dorf, in dem er aufgewachsen war, blieb er sein Leben lang wohnhaft. Hier lag die Residenz des «Königs des Rheintals». Manchmal war es mehr ein Hauptquartier.
Von Balgach nach Bagdad
Sein erstes Geld verdiente sich Edgar Oehler in jungen Jahren mit der Hühnerzucht. Dann sollte er – Jahrgang 1942 und einziger Sohn neben sechs Schwestern – eigentlich das Malergeschäft des Vaters übernehmen. Doch Oehler war ein herausragender Schüler. Noch vor der Matura verbrachte er ein Jahr in Oregon. Später leistete er seinen Militärdienst und promovierte an der Hochschule St. Gallen.
Oehler schaffte früh die Basis für sein Unternehmertum. Als Jugendlicher handelte er mit Mehrfamilienhäusern, und während des Studiums gründete er ein Gipsergeschäft. Seine Einsätze auf Baustellen hatten zur Folge, dass er mit dreckigen Schuhen in den Vorlesungen sass. Oehler störte das nicht. Er beschäftigte als Student vierzig Mitarbeiter. Mit dem ersten grossen Geld kaufte er sich einen blutorangen Porsche.
Oehler verstand schnell, dass er politischen Einfluss brauchte, wenn er wirtschaftlich wachsen wollte. Deshalb kandidierte er 1971, Oehler war noch nicht 30 Jahre alt, für den Nationalrat und wurde auf Anhieb gewählt. Sechs Legislaturen lang vertrat er die CVP in Bern.
1973 wurde er ausserdem ohne jegliche journalistische Erfahrung zum Chefredaktor der katholisch-konservativen Zeitung «Die Ostschweiz» berufen. Es geschah auf Wunsch seines politischen Mentors, des CVP-Bundesrats Kurt Furgler. Die Verbindung zahlte sich für beide Seiten aus: Oehler gab der Zeitung eine wirtschaftsnahe Ausrichtung und vermied im Gegenzug eine kritische Berichterstattung zu Furgler.
In jenen Jahren schärfte Oehler sein öffentliches Profil. Landesweit bekannt wurde er spätestens 1990, als er eine Delegation von Politikern in die irakische Hauptstadt Bagdad führte. Sie wollte mit Saddam Hussein über die Freilassung von 36 Geiseln verhandeln. Das Vorhaben gelang. Oehler erhielt den Beinamen «Kalif von Bagdad».
Der König als Alleinherrscher
1985 zog es Oehler auf Zuruf von Jakob Züllig an den Bodensee. Züllig war Eigentümer der Arbonia-Forster-Gruppe (AFG) und Oehler fortan der Generaldirektor eines Konzerns, der so unterschiedliche Produkte wie Küchengeräte und Raumwärmer herstellte.
Unter Oehlers Führung wuchs die Firma rasant. Oehler kaufte neue Geschäftsfelder dazu und führte die AFG 1988 an die Börse. Mehr und mehr gefiel er sich in der Rolle des Unternehmers. 1998 kaufte er privat den Oberflächenveredler STI Hartchrom – eine Investition, die später noch grosse Bedeutung erhalten sollte.
2003 folgte der Coup, mit dem Edgar Oehler endgültig zum Industriellen von Schweizer Bedeutung aufstieg: Er wurde Hauptaktionär von Arbonia Forster. Still und heimlich hatte er zuvor das Aktienpaket der Erben des verstorbenen Jakob Züllig übernommen. Nun war Oehler Konzernchef, Hauptaktionär und Verwaltungsratspräsident in einem. Ein Alleinherrscher im eigenen Reich.
In dieser Rolle kannte Oehler kaum noch Grenzen. Eine Firmenübernahme folgte der nächsten, und bald stellte Arbonia Forster neben den Küchengeräten auch Fenster, Türen, Duschtrennwände und Badewannen her. Auf dem Höhepunkt im Jahr 2008 erwirtschaftete der Konzern einen Umsatz von 1,6 Milliarden Franken.
Doch dann kam die Finanzkrise, und mit ihr begannen Oehlers Probleme: Die Umsätze brachen ein, die Kosten blieben hoch. Immer deutlicher zeigte sich, dass das zusammengekaufte Firmenkonglomerat keine schlüssige Einheit bildete. Die Schulden wuchsen.
Auf Druck der Banken musste Oehler seine Aktienmehrheit abgeben. Seine Alleinherrschaft war vorbei. Doch die Idee, den Konzern aufzuteilen und zu verkleinern, stiess er weiter von sich. «Da würde ich mein ganzes Leben verleugnen und meine ganze Regional- und Wirtschaftspolitik!»
Für jede Laune ein Lämpchen
Denn Oehler war ein Ostschweizer und in erster Linie ein Rheintaler. Sein späterer Ziehsohn, der heutige SVP-Nationalrat Michael Götte, sagt über ihn: «Er schaute immer darauf, die Unternehmen aus der Heimat zu berücksichtigen und zu fördern. Wer aus der Region kam, hatte bei ihm einen Vorteil.»
Aus Heimatstolz stieg Oehler dann auch als Gross- und später Hauptaktionär beim FC St. Gallen ein. Er wollte, «dass wir in der Ostschweiz auch jemand sind. Als Nationalrat in Bern hörte ich immer: ‹die Halbwilde det usse›. Das hockt in der Bevölkerung. Immer müssen wir erfahren, die Schweiz hört in Winterthur auf.»
Also half Oehler dem Traditionsverein, ein neues Stadion zu bauen, und gab ihm gleich den Namen seines Unternehmens: AFG-Arena. Dass eine Firma die Namensrechte eines Stadions kaufte, war damals in der Schweiz eine Premiere. Der Deal kostete zwölf Millionen Franken. Legendär war in dieser Zeit auch Oehlers Loge, in der sich per Knopfdruck ein Lichtsystem steuern liess: grün, wenn der FC St. Gallen ein Tor schoss. Rot, wenn er eines kassierte.
Ebenso effektvoll inszenierte sich Oehler in dem gläsernen Firmensitz, den er für Arbonia Forster am Bodensee hatte errichten lassen. Oehler belegte darin das gesamte oberste Stockwerk und liess die Glasfassade mit LED-Lichtern ausleuchten. War die Leistung der Firma gut und der Patron zufrieden, leuchtete sein Büro für alle sichtbar in Grün. Lief es schlecht, wurde es rot. «Die meisten Angestellten finden das super», sagte Oehler dazu. «Die wissen dann gerade, in welcher Stimmung der da oben hockt.»
Ein stiller Rücktritt zum Ende der Karriere
Auch wenn Oehlers Auftritte mitunter herrscherliche Züge annahmen, sah er sich selbst immer als Arbeiter. Auf seiner Website findet sich ein Zitat, in dem er über seine Rolle sagt: «Ein Chef muss sich um die Details kümmern und darf nicht über allem schweben. Der Chef muss ein Büezer sein, der sich voll reinkniet.»
Als 2011 Gerüchte aufkamen, wonach Oehler Geld aus dem Unternehmen für eigene Zwecke verwendet und Investitionen ohne Zustimmung des Verwaltungsrats getätigt haben soll, wuchs der Widerstand der AFG-Aktionäre. Kurz vor einer kritischen Generalversammlung trat Oehler als Verwaltungsratspräsident ab. Im Rahmen einer Einigung zahlte er 2,4 Millionen Franken für «Privatleistungen» zurück.
Was dann folgte, war das, was Oehler so lange zu verhindern versucht hatte: Arbonia Forster wurde von Managern übernommen, die mit Excel-Tabellen statt Emotionen arbeiteten. Sie schlossen Fabriken und schrumpften den Konzern auf wenige Geschäftsbereiche zusammen. Seither läuft es wieder. Aber Oehlers Firma ist das nicht mehr.
Er machte an anderer Stelle weiter. 2014 kaufte er die STI Group zurück, für die Hälfte des Preises, den Arbonia Forster einst gezahlt hatte. Das Unternehmen leitete er bis 2023, dann übergab er es an seine Tochter Andrea. Sie ist eine von vier Kindern, die Oehler und seine Frau aus Sri Lanka adoptiert haben.
Edgar Oehlers endgültiger Rückzug aus der Wirtschaft verlief ungewohnt leise. Keine grossen Ankündigungen, keine Abschiedsinterviews. Nur ein Eintrag auf seiner eigenen Website, auf der er bis zuletzt akribisch seine wirtschaftlichen, politischen und militärischen Erfolge dokumentierte. Dort stehen bis heute auch seine Telefonnummer und seine E-Mail-Adresse. Als wollte Edgar Oehler sagen, dass er weiterhin jederzeit erreichbar sei.
Edgar Oehler litt zuletzt an einer Alzheimer-Krankheit. Am 13. März ist er wenige Tage nach seinem 83. Geburtstag gestorben.