Bernadette Lang hat sich medienwirksam zur ewigen Jungfrau weihen lassen. Wer ist diese Frau, die einen derart privaten Entscheid öffentlich inszeniert?
Hunderte Menschen sitzen an jenem Samstag im Salzburger Dom. Die Braut trägt ein weisses langes Kleid mit transparentem Stoff an den Ärmeln. Sie erhält einen Ring, einen Schleier sowie Segenswünsche vom Bischof. Sie strahlt Euphorie aus. Alles sieht nach der perfekten Hochzeit aus. Doch dann legt sie sich flach ausgestreckt vor den Altar auf den Boden. Und noch etwas fällt auf: Es gibt keinen Bräutigam.
Bernadette Lang schliesst an diesem Tag keinen Bund mit einem Mann, der mit ihr den Wocheneinkauf macht, an dessen Schulter sie weint oder mit dem sie sich streitet. Sie schliesst einen Bund mit Gott und entscheidet sich für ein Leben in Keuschheit. Auf die Frage des Salzburger Weihbischofs, ob sie bereit sei, bis zum Tod jungfräulich zu leben, antwortet sie mit «Ja». Er weiht sie daraufhin zur ewigen Jungfrau.
Die Zeremonie, die weit über Salzburg hinaus für Schlagzeilen gesorgt hat, liegt zwei Jahre zurück. Bernadette Lang ist heute 34 Jahre alt. Sie ist eine von weltweit 5000 geweihten Jungfrauen. Obwohl sie durch Bernadette Lang wieder mehr Aufmerksamkeit erhalten haben, sind gottgeweihte Jungfrauen kein neues Phänomen. Es gibt sie schon seit der Zeit der Apostel. Ab dem vierten Jahrhundert lebten sie hauptsächlich in klösterlichen Gemeinschaften, und ihr Stand geriet etwas in Vergessenheit.
Die Weihe darf man erst mit 25 Jahren empfangen. Das hat seinen Grund: Die Entscheidung für ein unverheiratetes Leben im Bund mit Jesus ist definitiv. Anders als Nonnen leben und arbeiten geweihte Jungfrauen weiter in ihrem gewohnten Umfeld. Sie werden auch nicht automatisch von der Kirche unterhalten, sondern sind für ihren Lebensunterhalt selbst verantwortlich.
Bernadette Lang löste eine Debatte aus. Auf Sex vor der Ehe zu verzichten, ist in vielen Religionen und Kulturen zwar üblich. Doch wenn sich eine junge Frau dazu entscheidet, ein Leben lang auf Sex zu verzichten, dann wirft das Fragen auf: Wird damit nicht ein rückständiges Frauenbild zementiert, das die weibliche Keuschheit zum Ideal verklärt?
Zeitungen und ihre Leserschaft kritisierten Langs eigentlich private Entscheidung – und die katholische Kirche, die dem umstrittenen Gelübde im Salzburger Dom eine prunkvolle Bühne bereitete. Sie wühle mit der Jungfernweihe in der Mottenkiste des Mittelalters und jubele die Entscheidung der jungen Frau hoch, hiess es.
Doch wer ist Bernadette Lang? Und was bewog die junge Frau zu diesem Schritt?
Nachts werden Partys gefeiert, morgens Gott
Sonntagfrüh in einem Münchener Nachtklub nicht weit von den S-Bahn-Gleisen. Mehrere hundert Stühle sind aufgebaut, die Wodkaflaschen an der Bar verschwinden hinter dem lila Licht des Event-Scheinwerfers. Lang ist bei der Kirche als Religionspädagogin angestellt und zusammen mit acht Schülerinnen ihrer Salzburger Akademie zum Gottesdienst einer Freikirche angereist. Sie wollen sich anschauen, wie Freikirchen es schaffen, so viele Menschen für den Glauben zu begeistern – und das in Zeiten, in denen traditionelle Kirchen mehr Ausstiege denn je verzeichnen. «Bis früh wurde hier noch gefeiert, und heute werden hier drei Gottesdienste stattfinden», sagt Bernadette Lang. «Das ist schon sehr anders als bei uns.»
Die Band spielt poppigen Gospel. Mantraartig werden Textzeilen wiederholt. Lang sitzt regungslos da. Ihre Hände hat sie, leicht nach oben geöffnet, auf ihren Knien abgelegt, als würden sie etwas empfangen. Dann holt sie ihr Handy raus und postet eine Story auf Instagram. «Your power sets me free», schreibt sie drunter – eine Zeile des Gospelsongs, der nicht aufhören will. Der Sänger steht mit weit geöffneten Armen an der Bühnenrampe und singt mit den Besuchern.Auch Lang steht nun, wie fast alle anderen. Jeder, der möchte, soll den Namen eines Menschen, dem er vergeben möchte, auf einen Zettel schreiben. Lang geht nach vorne und legt den Zettel vor einem Neonkreuz ab.
«Ich bin ein bisschen weniger Energie gewohnt», sagt sie später. Nach dem Gottesdienst gibt es draussen Bratwurst und Waffeln. Lang stellt sich in der Schlange an. Als sie wieder kommt, hat sie ein paar neue Bekanntschaften gemacht.
Gott schien ihr zunächst eine mühsame Sache
Bernadette Lang wuchs in einem kleinen Dorf in Oberösterreich in einem behüteten christlichen Umfeld auf. In ihrer Jugend ging es nicht darum, in welchem Klub man sich betrinkt und wen man danach abschleppt. Sie macht viel Sport. Einmal die Woche besucht sie mit ihren Eltern die katholische Messe in der Dorfkirche. Langweilig ist ihr dort, inmitten der starren Gesichter und formelhaften Antworten. Gott scheint ihr eine mühsame Sache.
Das ändert sich, als Bernadette Lang 14 Jahre alt ist. Eine Freundin nimmt sie zu einem christlichen Jugendfestival in Kroatien mit. Dort erfährt sie, wie Kirche auch sein kann. Da sind Tausende Gleichaltrige, die alle dieselben grossen Fragen wie sie haben: Warum existiere ich? Und wozu? Bin ich geliebt? Gibt es Gott überhaupt? Neben der Ernsthaftigkeit liegt eine unglaubliche Freude in der Luft. Und das Gefühl, dass Gott existiert, zum ersten Mal kann Lang es wirklich fühlen.
In der Gemeinschaft merkt sie, was möglich ist und dass sie ihren Glauben selbst gestalten kann. Zurück aus den Ferien, gründet sie mit ihrer Schwester eine christliche Jugendgruppe. Sie suchen Kontakt zum Loretto-Orden, einer charismatischen katholischen Bewegung aus Österreich. Ein Jahr später, sie ist wieder auf dem Festival an der Adriaküste, steigt im Gebet eine Frage in ihr auf: Willst du mir gehören?
Sie ist sich sicher, dass die Stimme von Jesus kommt, und überlegt, was ein Ja bedeuten würde. In einem katholisch-gläubigen Umfeld ist ein Leben in einer Ordensgemeinschaft durchaus eine Option; derartige Gedankenspiele scheinen da nicht abwegig. Und doch folgert Lang: Ein Ja würde ein langweiliges Leben bedeuten. Ein zweiter Gedanke schiesst ihr in den Kopf: Auch heiraten dürfte sie dann nicht. Sie hat Herzklopfen, will den Ruf verdrängen. Doch die Frage lässt sie nicht los.
Zunächst entscheidet sie sich, für ein Jahr Single zu bleiben
Der Gedanke und seine Konsequenzen beschäftigen sie. Einen eindeutigen Familienwunsch oder eine klare Vorstellung ihres Lebens hatte sie nie. Bloss: Langweilig sollte es nicht werden. Bernadette Lang hätte auch nicht allein bleiben müssen. In den Jahren darauf lernt sie immer wieder Männer kennen, manche sind sehr interessiert an ihr. Doch Lang weist sie stets zurück und erklärt, dass sie Jesus allein gehören wolle. Ein Leben im Kloster kommt für sie dennoch nicht infrage. Zu gerne trifft sie neue Menschen, reist und ist mitten in der Welt.
Als sie achtzehn Jahre alt ist, fragt sie ein enttäuschter Verehrer, warum sie nicht öffentlich mache, dass sie nur mit Jesus sein wolle. Bernadette Lang bespricht sich mit einem Priester – und gibt ihr erstes privates Versprechen ab: Um ihren Entscheid zu prüfen, verspricht sie, ein Jahr keine Beziehung zu führen. Jahr für Jahr erneuert sie ihr Versprechen, zehn Jahre lang.
Lang zieht nach Salzburg und studiert Theologie. Sie hütet ihr «Geschenk», wie sie ihren Entscheid nennt, und erzählt nur davon, wenn genug Zeit ist, sich zu erklären, und die Chance besteht, dass sie verstanden wird.
Nachdem sie auf einem Jahrestreffen der Loretto-Gemeinschaft ihre Geschichte erzählt hat, fragt sie eine Gläubige, ob sie von der Jungfernweihe wisse. Bernadette Lang beginnt zu recherchieren. Sie ist sofort fasziniert. Doch bis sie die dafür notwendigen Unterlagen beim Bistum einreicht, vergehen vier Jahre.
In dieser Zeit verliebt sie sich immer wieder. Zuletzt drei Jahre vor der Jungfernweihe. Dieses Mal geht sie dem Kribbeln nach. Verliebt und innerlich zerrissen, lässt sie sich auf ein Experiment ein. Der Mann zieht für vier Wochen nach Salzburg, um zu testen, ob es eine gemeinsame Perspektive gibt. Nach einer aufwühlenden Zeit ist Lang sich sicher: Sie möchte nur Jesus allein gehören. Nur mit ihm möchte sie den ewigen Bund.
Im Sommer 2022 ist es so weit: Die Feier findet medienwirksam inszeniert im Salzburger Dom statt. Über tausend Gäste nehmen teil, achthundert verfolgen die Zeremonie im Livestream. Lang hat durch ihr langjähriges Engagement für die Kirche zwar viele Menschen kennengelernt. Doch der grosse Andrang hat einen weiteren Grund: Die Kirche hat eine öffentliche Pressemeldung abgegeben. Die Jungfrauenweihe sorgte bereits in den Wochen zuvor für Schlagzeilen.
Öffentlichkeit sei ihr «Geschenk an die Kirche»
Lang sitzt in einem Café und bestellt Shakshuka und Falafel. Sie spricht vom 15. August 2022, dem Tag, an dem sie ihren Bund fürs Leben schloss. Sie erzählt von der Elektrizität, die durch ihren Körper strömte, als sie am Boden vor dem Altar lag. «Je mehr ich unsere Beziehung pflege und hinein investiere, desto mehr wächst die Verbundenheit zwischen uns.»
Drei kleine Brillanten zieren den Ring an ihrem Finger. «Ich gehöre meinem Geliebten, und mein Geliebter gehört mir», ist im Inneren auf Hebräisch eingraviert. Öfter würde sie darauf angesprochen, ob sie verheiratet sei. Sie schmunzelt. Daraus würden sich dann interessante Gespräche ergeben. Wenn Lang von ihrer Beziehung spricht, klingt das so wie bei vielen Paaren. Sie kennt die Phasen des Auf-und-Abs und erklärt, dass man für Nähe arbeiten müsse.
Mit der Kritik hat sie gelernt umzugehen. Nach der ersten Pressemitteilung der katholischen Kirche kamen die Briefe, Mails und Kommentare auf Instagram. Geschmerzt hätten vor allem die Angriffe von Menschen, mit denen sie zusammenarbeitet und die ihr nahestehen. Was sagt sie zu dem Vorwurf, dass sie eine Instrumentalisierung von patriarchalischer Gesellschaft sei? Sie winkt ab. «Niemand hat mich dazu gedrängt. Es war meine eigene, freie Entscheidung», sagt sie. «Das hat mir auch diese Stärke im Umgang mit den Medien gegeben.»
Doch warum lebt sie ihre Entscheidung nicht im Stillen, sondern begibt sie sich so stark an die Öffentlichkeit? Warum diese aufwendige Feier im Dom? Sie sagt, dass sie Pionierarbeit immer interessiert habe und die Sichtbarkeit, mit der sie andere inspirieren könnte, ihr Geschenk an die Kirche sei. Verpflichtet sei sie dazu nicht.
Dass ihr Lebensstil für manche Leute ein Affront sei und sie Menschen damit herausfordere, wisse sie. «Ich triggere eben das existenzielle Wissen, dass Sexualität eigentlich etwas sehr Kostbares und zu Behütendes ist», sagt sie. «Die meisten Leute schaffen es nur nicht, diesen kostbaren Wert zu leben.»
Ohne Gebet würde der Wunsch nach Sexualität stärker
Bernadette Lang hat letztes Jahr ein Buch mit dem Titel «Skandalöse Liebe» veröffentlicht. Immer wieder kommt sie darin auf Intimität zu sprechen. «Viele Leute denken, wenn du keinen Sex hast, dann erlebst du keine Intimität, aber so ist es nicht», sagt Lang. «Sexualität ist nur eine von vielen Formen dieser innigen Vertrautheit.» Sie erklärt: «In einer Welt, in der wir uns gegenseitig verletzen, verlieren wir zunehmend die Fähigkeit, Intimität zuzulassen.»
Doch kann man sich in einem gelebten Leben denn vor allem schützen? Mit Jesus sei das anders, sagt sie mit Überzeugung. «Er enttäuscht uns nicht, bleibt bei uns.» Ist das der Grund, warum sie sich bei Jesus am ehesten aufgehoben fühlt? Sie bejaht.
Und wie geht sie selbst mit ihrer sexuellen Lust um? «Ich akzeptiere, dass sie da ist, aber gehe ihr nicht nach, sondern leite sie um in meinen Glauben», erklärt sie. Doch sie gesteht: «Wenn ich aufhören würde zu beten und keine spirituelle und emotionale Intimität mit Jesus mehr hätte, würde der Wunsch nach sexueller Intimität stärker werden.»
Als geweihte Jungfrau hätte Bernadette Lang auch ins Kloster gehen können. Doch sie hat das immer ausgeschlossen. Sie wollte ein abenteuerliches Leben führen, eines ohne Armutsgelübde. Sie träumte davon, Lehrerin oder Schriftstellerin zu werden. «Nun bin ich beides», sagt sie und lächelt. Sie mahnt: «Das Leben, das ich gewählt habe, sollte man nur leben, wenn man dazu berufen ist.»
Und was ist, wenn sie sich irgendwann doch noch einmal verliebt? Könnte sie das Versprechen rückgängig machen? «Ich hoffe schon, dass ich das Fundament gut ausgelotet habe», sagt sie. Dann fügt sie an: «Es wäre ein bisschen kompliziert.»