Trump geht gegen die woke Ideologie an Universitäten vor. Die Schweizer Politologin Tina Kempin Reuter lehrt in Alabama und sagt: Es habe eine Kurskorrektur gebraucht. Nun sorgt sie sich aber um die Forschungsfreiheit.
In Alabama, dem Staat im Süden der USA, sagen die Pfarrer, es sei Gottes Wille gewesen, dass Donald Trump zum Präsidenten gewählt worden sei. Über 64 Prozent der Wähler haben hier für Trump gestimmt. Schwarze durften in Alabama erst in den 1960er Jahren studieren. Das verdankten sie vor allem ihrer sportlichen Leistung im Football.
Die Schweizerin Tina Kempin Reuter lehrt an der University of Alabama at Birmingham Politikwissenschaft und leitet das Institut für Menschenrechte. Obwohl eine konservative Uni, entstanden auch hier viele Programme, die sich für Diversität, Gleichstellung und Inklusion (DEI) einsetzten. Nun streicht Trump die Mittel für alles, was die drei Buchstaben im Namen trägt.
Unvorbereitet trifft dies die Politologin nicht. Alabama ging letzten Herbst voran und beendete die Antidiskriminierungspolitik an den Universitäten. Den Weisungen aus Washington widersetzt sich die 48-Jährige im Kleinen: Hinter ihrem Namen im Zoom-Profil stehen die Pronomen «she / her». Je nachdem, mit wem sie spreche, passe sie dies an, sagt sie. In ihrem Büro hängt der Spruch «Hate Has No Home Here». Kein Ort für Hass. Kempin Reuter betont, dass das Gespräch auf ihren persönlichen Meinungen und Erfahrungen beruhe und sie nicht im Namen ihrer Universität spreche.
Frau Kempin Reuter, wie ist die Stimmung an Ihrer Uni?
Es ist wie am Anfang der Pandemie, als sich die Situation schnell veränderte. Man ist verunsichert und weiss nicht, wohin es geht. Mit der Zeit gewöhnt man sich an diesen Zustand.
Ist es eine diffuse Angst?
Nein. Die Verordnungen der Trump-Regierungen werden bereits umgesetzt. Das National Institute for Health (NIH) zum Beispiel wurde bisher vom Staat mit Millionen von Dollar unterstützt. Deshalb sind die USA in der biomedizinischen Forschung so stark. Auch unsere Uni gehört dazu. Jetzt wurden Forschungsgelder gestrichen, etwa für die Impfforschung oder für alles, was mit Gender zu tun hat. Eine Kollegin kann ihren Angestellten den Lohn nur noch für 90 Tage garantieren.
Wie hat sich Ihr Alltag verändert?
Ich stelle mir viel öfter als vorher die Frage, was noch sagbar und machbar ist. Die Direktiven der Trump-Regierung sind oft unklar formuliert. Das Wort Diversität, also Vielfalt, steht auf dem Index. In welchem Kontext darf man es noch brauchen? Nehmen wir zum Beispiel Artenvielfalt – geht das noch? Soll man es schreiben, auch wenn bei einer gezielten Suche nach solch verpönten Wörtern dann die eigene Website auftaucht? Oder was bedeutet die Vorgabe, dass Universitäten keine staatlichen Gelder mehr für Initiativen ausgeben dürfen, die Diversität und Inklusion fördern?
Wie weit passen Sie sich an?
Für mich ist es wichtig, dass ich den neuen Bestimmungen folge und weiss, wo die Grenzen sind. Da ich das Institut für Menschenrechte leite, lasse ich mich von Anwälten beraten.
Sie meinen, die Trump-Regierung könnte Ihr Fach für überflüssig erklären?
Ja.
Wenn jetzt Programme für Minderheiten abgeschafft werden, wen betrifft das genau? Schwarze und schwule Studenten, Transgender, Frauen?
Es sind all diese Gruppen. Natürlich können sie nach wie vor existieren und sich organisieren, aber sie werden weniger sichtbar. Oft haben diese Menschen sowieso Mühe, ihren Weg zu finden. Wenn sie von der Universität nicht mehr unterstützt werden, hat das Auswirkungen. Die LGBTQ-Gemeinschaft hat im amerikanischen Süden einen schweren Stand. Diese Leute verlieren ihre Orte, wo sie sich mit anderen austauschen können, die ähnliche Erfahrungen machen.
Kommen die meisten Studenten aus republikanischem Elternhaus?
Ja, und häufig treffen sie hier erstmals auf andere Sichtweisen. Ich kenne viele, die lesbisch, schwul oder trans sind und nicht mehr nach Hause gehen können an Thanksgiving oder Weihnachten. Oder dort eine andere Identität annehmen müssen. Nun fehlen Anlaufstellen an der Uni, die sich gezielt an sie wenden.
Aber psychologische Beratungen wird es doch weiterhin geben, niemand wird diskriminiert, nur weil das Diversitäts-Label fehlt.
Die Programme sollen offen sein für alle. Aber es wird schwieriger, Leute zu erreichen, die ganz bestimmte Benachteiligungen haben. Wenn traditionelle Netzwerke nicht mehr existieren, leiden darunter vor allem Neulinge. Das Oberste Gericht hat 2023 die Affirmative Action abgeschafft, die es verbietet, Schwarze bei der Hochschulzulassung zu bevorzugen. Das Bildungsministerium geht einen Schritt weiter: Ethnie darf auch kein Kriterium mehr sein für andere Aspekte des Lebens auf dem Campus. Statt «Black Lives Matter» heisst es jetzt «All Lives Matter».
So ungerecht tönt das nicht.
Alle Leben sind gleich viel wert. Als Menschenrechtlerin sehe ich es aber auch so, dass man verletzliche Menschen besonders schützen muss.
Der Kampf um Gleichstellung diverser Minderheiten hat in den letzten Jahren überhandgenommen. An den Unis hatten DEI-Programme eine riesige Bürokratie zur Folge. Bei der obsessiven Beschäftigung mit Identitätspolitik ging die grosse Mehrheit vergessen. Ist es so schlimm, wenn dies nun zurückgebunden wird?
Ich gebe Ihnen recht, und das ist meine persönliche Sicht: In gewissen Bereichen ist die Identitätspolitik sehr weit gegangen. Mit der Zeit zählte nur noch die persönliche Wahrnehmung der gefühlten Unterdrückung. Eine Zäsur im Kampf gegen Rassismus war zum Beispiel die Ermordung von George Floyd 2020. Als weisser heterosexueller Mann hatte man nichts mehr zu sagen, egal, wenn man selber aus armen Verhältnissen kam. Unter der neuen Verordnung können nun auch jene unterstützt werden, die bisher zwischen Stuhl und Bank gefallen sind.
Es hat auch eine Intoleranz gefördert. Das Recht auf freie Meinungsäusserung galt plötzlich nicht mehr für alle. Wie haben Sie das erlebt?
Ich finde es auch bedenklich, wie illiberal sich angeblich Liberale verhielten. Es schien, als habe nur noch eine Stimme, wer einer unterdrückten Minderheit angehörte. Sobald man ein falsches Wort sagte, wurde man ausgegrenzt und in den sozialen Netzwerken fertiggemacht und gecancelt. Das ist aus menschenrechtlicher Sicht problematisch.
Wer an Universitäten von zwei biologischen Geschlechtern sprach oder nicht genderte, wurde abgestraft. Hat nun zumindest das ein Ende?
Jeder soll sich so identifizieren, wie er will. Wenn eine nonbinäre Person mit «they» angesprochen werden möchte, werde ich das nach wie vor so machen. Aber ja: Trans-Identität betrifft nur einen kleinen Teil der Bevölkerung, die Linken fokussierten zu stark darauf. Es wurde einem nicht verziehen, wenn man einen Fehler machte, und sei es durch eine falsche Anrede. Jetzt sehen wir den Backlash. Ich denke auch, dass es eine Kurskorrektur gebraucht hat. Aber das Pendel schlägt zu weit zurück.
Dürfen Sie oder Ihre Studenten Wörter wie Inklusion oder Rassismus in Vorlesungen oder Seminararbeiten weiterhin verwenden?
Noch gibt es kein Verbot und droht auch kein Notenabzug. Ich werde weiterhin zu den Themen publizieren, die in meine Expertise fallen, inklusive Rechte von Frauen und Menschen mit Beeinträchtigungen.
Aber wenn sich nun die Kultur ändert, muss man in Zukunft damit rechnen, von Kommilitonen oder Arbeitskollegen denunziert zu werden oder gecancelt – wie das bisher von linker Seite geschah?
Es gibt eine Organisation namens Turning Point USA, die auf dem Campus aktiv ist und eine «Watch List» von «radikalen Professoren» erstellt hat. Es könnte schon sein, dass solche Listen länger werden. Die Trump-Administration hat Denunzierung aktiv gefördert innerhalb der Bundesregierung: Bundesangestellte wurden angewiesen, jegliche Versuche, DEI-Programme durch verschleierte Sprache weiterzuführen, zu melden.
Trump baut Schutz ab, andererseits ist ihm der Minderheitenschutz nicht egal. So geht er gegen Eliteuniversitäten vor, die ihre jüdischen Studenten zu wenig geschützt haben sollen. Der Columbia University wurden Fördergelder von 400 Millionen Dollar gestrichen. Gab es auch bei Ihnen propalästinensische Proteste?
Vereinzelt, das lief aber nie aus dem Ruder, wir haben eine kleine jüdische Gemeinschaft. Studenten sollen sich politisch engagieren dürfen, sofern sie nicht Hass gegenüber anderen antreibt. Die Universität ist ein Ort, wo Meinungen ausgetauscht werden. Die Protestkultur ist Teil davon. Die sozialen und Geisteswissenschaften leben von diesem Austausch. Sowohl auf der linken wie der rechten Seite ist man daran immer weniger interessiert.
Gerade Fächer wie Critical Race Theory, Postkolonialismus und Gender Studies gerieten in die Kritik, dass dort ideologisches Denken statt Wissenschaft betrieben werde: Alle Weissen sind Rassisten, Geschlecht ist ein soziales Konstrukt. Kann man die Fächer auch bei Ihnen in Birmingham studieren – vielleicht: noch?
Wir haben Gender Studies, weitere Fächer befassen sich mit Black Politics oder Feminismus mit Fokus auf schwarze Frauen, die sind aber nicht ideologisch ausgerichtet, sondern werden neutral behandelt.
Wie denkt Ihr Arbeitsumfeld, hat es an Ihrer Uni viele Trump-Wähler?
Es gibt sie, und ich arbeite gerne und gut mit ihnen zusammen. Man respektiert einander, trotz verschiedenen politischen Ansichten. Einige von ihnen sind nachdenklicher geworden. Ausserhalb der Universität gebe ich mich sonst eher nicht zu erkennen, also dass ich demokratisch wähle. Man ist schnell Angriffen ausgesetzt.
Bis jetzt sind öffentliche Proteste gegen die Trump-Regierung verhalten oder zu klein, als dass die Medien darüber berichteten. So nimmt man es in Europa wahr. Regt sich an Ihrer Uni Widerstand?
Kaum. Viele Leute sind erschöpft und ziehen sich zurück, ich sehe das auch bei meinen Studenten. Manche Dozenten passen den Lehrplan vorauseilend an. Eine Kollegin wird ihre Vorlesung zu Politics of Race and Ethnicity nicht mehr anbieten. Andere sagen sich: Jetzt erst recht, und legen sich noch einmal für identitätspolitische Anliegen ins Zeug.
Und Sie?
Als Menschenrechtlerin bin ich eine Idealistin. Es gibt immer einen Weg. Mich beschäftigt mehr die Frage, was diese Entwicklung für die Unis heisst, für meine Kinder, für die Forschung, für die Zukunft der USA. Da mache ich mir Sorgen. Ich hätte nie gedacht, dass ich eines Tages meinen Job verlieren könnte, weil ich das «falsche» Fach gewählt habe.
Können Sie sich als Professorin an die neue Situation anpassen, ohne sich selbst zu verleugnen?
Ich versuche, mir selber treu zu bleiben. Solange es möglich ist, mache ich das, was mir etwas bedeutet. Ich bin nicht die Lauteste, aber ich glaube, es braucht Leute, die sich als Brückenbauer sehen zwischen den Konservativen und den Liberalen, in der Gemeinschaft, der Stadt und der Universität. Ich mag die vermittelnde Rolle gegenüber den Studenten, in der Forschung und auch sonst im Leben.