Die neuartigen Flugkörper sind in der Ukraine letztes Jahr auf dem Schlachtfeld aufgetaucht. Inzwischen werden sie serienmässig produziert. Sie haben gegenüber früheren Drohnen entscheidende Vorteile.
Die massenhafte Verwendung von Kleindrohnen hat die Kriegführung in der Ukraine revolutioniert. Sowohl die Ukrainer wie auch die Russen verwenden an der Front Tausende solcher Quadrokopter. Sie dienen einerseits als Aufklärungsdrohnen, welche in Echtzeit Aufnahmen übermitteln und so zu einem Schlüsselinstrument zur Überwachung des Gefechtsfeldes geworden sind. Andererseits handelt es sich um Angriffsdrohnen, welche mit Sprengstoff bestückt sind und ihre tödlichen Ladungen präzise über Soldaten sowie Waffen und Fahrzeugen zur Explosion bringen können.
Drohnen verursachen am meisten Opfer
Drohnen haben herkömmliche Waffen als tödlichste Kriegswaffe abgelöst. Laut der «New York Times» verursachen sie nun etwa 70 Prozent aller Opfer in der Ukraine. Beide Seiten planen dieses Jahr, drei bis vier Millionen Drohnen zu produzieren. Gesteuert werden sie in der Regel von einem Piloten, der das Geschehen mit einer Videobrille verfolgt, die in Echtzeit die Aufnahmen der Kamera der Drohne übermittelt. Sie werden deshalb «First-person view»- oder FPV-Drohnen genannt. Der Pilot kann damit das unbemannte Fluggerät so steuern, wie wenn er selber mitfliegen würde.
Inzwischen haben aber sowohl Russen wie Ukrainer starke Abwehrmassnahmen gegen die Drohnen entwickelt. Die wichtigste ist der Einsatz von Störsendern, welche die Funkverbindung zwischen dem Piloten und der Drohne unterbrechen, indem sie starke Signale auf denselben Frequenzen aussenden. Es wird geschätzt, dass mindestens 75 Prozent aller Kleindrohnen so zum Absturz gebracht werden und damit verlorengehen.
Schutz gegen elektronische Kriegführung
Als Antwort auf die elektronische Kriegführung mit Störsendern ist letztes Jahr eine ganz neue Art von FPV-Drohnen auf dem Schlachtfeld aufgetaucht. Diese werden nicht mehr mit Funksignalen gesteuert, sondern mit dünnen Glasfaserkabeln, die den Piloten mit dem Quadrokopter verbinden. Dadurch ist die Drohne vollständig geschützt vor feindlichen elektronischen Störungen. Die ersten solchen Geräte kamen letztes Jahr auf russischer Seite zum Einsatz. Es handelte sich dabei anscheinend um chinesische Produkte, die von den Russen adaptiert wurden. Aber die Ukraine hat sehr schnell nachgezogen. Der ukrainische Oberbefehlshaber Olexander Sirski hat Anfang Januar bestätigt, dass auch die Ukraine diese Technologie auf dem Schlachtfeld einsetzt.
Die Drohnen verfügen über eine Rolle mit einem Glasfaserkabel, das sich während des Fluges abrollt. Das Kabel kann beim jetzigen Stand der Entwicklung bis zu 20 Kilometer lang sein. Die Drohnen fliegen in geringer Höhe, wodurch der grösste Teil des abgerollten Kabels am Boden liegen bleibt und den Flug damit nicht erschwert.
Vor- und Nachteile der Lenkung durch Glasfaserkabel
Das Glasfaserkabel schützt nicht nur gegen elektronische Störung, sondern hat noch weitere Vorteile. Es ermöglicht die Übertragung der Videobilder in deutlich besserer Qualität als der Funk. Der Pilot erhält ein um ein Vielfaches besseres Bild und hat nicht mehr mit Signalverlusten bei zunehmender Entfernung oder beim Abtauchen der Drohne hinter dem Horizont zu kämpfen. Die Genauigkeit der Angriffe kann damit signifikant verbessert werden.
Ausserdem können die glasfasergesteuerten Drohnen in geringerer Höhe fliegen als diejenigen, die über Funk verbunden sind. Bei unebenem Gelände gibt es in Bodennähe Funklöcher, weshalb die herkömmlichen Drohnen mehr Abstand vom Grund haben müssen. Dies ist ein Nachteil, denn damit können sie früher entdeckt werden und sind deshalb leichter bekämpfbar.
Allerdings bringt die Kabelverbindung auch verschiedene Nachteile. Das maximale Ladegewicht für den Sprengsatz ist deutlich reduziert. Setzt man beispielsweise die ukrainische Reboff-Angriffsdrohne mit einem maximalen Ladegewicht von 4 Kilogramm auf einer Distanz von 10 Kilometern ein, so beträgt das Gewicht des Glasfaserkabels 2,5 Kilogramm und das der Spule weitere o,3 Kilogramm, womit der Sprengsatz nur noch maximal 1,2 Kilogramm schwer sein kann.
Zudem fliegt die Drohne langsamer und ist weniger wendig. Denn das Kabel kann brüchig werden, wenn es stärker als 45 Grad gebogen wird oder sich in einem Knoten verheddert. Plötzliche oder schnelle Manöver müssen auch vermieden werden, weil diese dazu führen können, dass das Kabel von den Propellern zerschnitten wird. Die Glasfaserkabel haben sich aber als wesentlich resistenter erwiesen, als dies zu Beginn der Entwicklung vermutet worden war.
Schliesslich ist die Einsatzdistanz limitiert. Mit Funk gelenkte Drohnen können bis zu 200 Kilometer weit fliegen. Dies ist zehn Mal so weit wie die gegenwärtige maximale Einsatzdistanz der neuen Drohnen.
Gepanzerte Fahrzeuge verlieren an Bedeutung
Glasfasergesteuerte Drohnen verändern das Kriegsgeschehen bereits jetzt entscheidend. Gepanzerte Fahrzeuge sind den Drohnen weitgehend ausgeliefert, da diese ihre Ladungen präzise an ungeschützten Stellen der Panzerung zur Explosion bringen können. Um die Fahrzeuge zum Einsatz zu bringen, braucht es deshalb einen Schutz vor Drohnenangriffen. Wenn die Drohnen nicht mehr bekämpft werden können, führt dies de facto zu einer Sperrzone für gepanzerte Fahrzeuge entlang der Einsatzdistanz der glasfasergesteuerten Flugkörper von bis zu 20 Kilometern.
Diese Fähigkeit – und überhaupt die ständig wachsende Bedeutung der Drohnen auf dem Gefechtsfeld – könnte sich zugunsten der Ukraine auswirken, wenn es nicht bald zu einem Waffenstillstand kommt. Für die Ukrainer sind Drohnen umso wichtiger, als die amerikanischen Waffenlieferungen unter Trump unsicher geworden sind und die Russen eine Überzahl an schweren Waffen besitzen. Denn die FPV-Drohnen und die neuen glasfasergesteuerten Drohnen werden in der Ukraine selbst produziert. Mehrere Dutzend ukrainische Teams arbeiten an der Entwicklung dieser neuen Technologie, und erste Typen sind bereits im Stadium der Serienproduktion.