Keine andere Küstenstrecke Europas ist so glamourös, pittoresk, mythenbeladen wie die französische Riviera. Das glitzernde Blau der Méditerranée lockt seit dem 19. Jahrhundert le beau monde aus der ganzen Welt an die palmengesäumten Ufer. Doch es gibt auch viel Neues, vor allem in der Kunstwelt.
La Malmaison: nach langer Renovierung mit vergrösserter Ausstellungsfläche wiedereröffnet
Allein dieser Blick vom Rooftop-Café: Durch die Palmen der Croisette hindurch schweift er weit über das silbrig blitzende Mittelmeergekräusel bis hin zu den porphyrroten Felsen des Massif de l’Esterel. Hier oben auf dem Dach der Belle-Époque-Villa La Malmaison an Cannes’ berühmter Strandpromenade könnte man glatt vergessen, dass man eigentlich zum Kunstgucken kam.
Aber das wäre dann doch ein Jammer: Denn seit das Kunstzentrum Anfang des Jahres nach langer Renovierung mit dreifach vergrösserter Ausstellungsfläche wiedereröffnete, lockt die Eröffnungsschau «Luxe, Calme et Volupté» (bis 20. April) in seine modernisierten Hallen. 56 Künstler feiern in 129 Werken die Schönheit des französischen Mittelmeerraums.
Dabei treffen ikonische Gemälde von Henri Matisse, Pierre Bonnard oder Claude Monet unter anderem auf die poppig überzogenen, sonnengetränkten, detailstrotzenden Panoramalandschaften des 1982 geborenen Adrien Belgrand. Oder auf den jungen Mann, den die 32-jährige Madeleine Roger Lacan nonchalant als Leinwand-Schaukler auf einer Sonnenliege platziert.
Es scheint also, dass die Reise in den Süden nicht nur im 19. und im 20. Jahrhundert als unumgänglicher Ritus eines Künstlers, einer Künstlerin galt: Der blaue, blaue Horizont, die überbordenden Gärten und lichtdurchfluteten Interieurs betören die zeitgenössischen Künstler heute wohl keinen Deut weniger als damals.
La Malmaison, 47 Bd de la Croisette, 06400 Cannes.
Ein zusätzlicher Tipp: Ein recht atypischer Aussenposten des Ausstellungshauses befindet sich in den verzweigten Gängen der einstigen Leichenhalle von Cannes im historischen Viertel Le Suquet. Erschlossen als Laboratorium der jungen Künste, findet in diesem Haus derzeit die sehenswerte Ausstellung «Odyssée» mit figurativer Malerei, Keramik und Installationen von Florence Obrecht statt (bis 18. Mai 2025).
Suquet des Art(iste)s, 7 rue Saint-Dizier, 06400 Cannes.
Das Künstleranwesen auf dem Hügel des Drachen
«Künstler, die normalerweise ihre Ateliers in Paris oder Manhattan haben, können hier für einige Wochen dem gesellschaftlichen Sog entkommen», so erklärt Maxime Combot das Programm der Dragon Hill Residency. Combot ist Direktor des Künstleranwesens hoch in den Hügeln von Mouans-Sartoux. Der Blick vom Atelier fällt auf die Bucht von Cannes und das Esterel-Gebirge. Wer genau hinschaut, erkennt, dass die Silhouette des Bergkamms eine Erwiderung in der Architektur der Anlage findet – handelt es sich doch um die organische Bauweise von Jacques Couëlle, der in den 1960er Jahren die Maisons-Paysage schuf.
Heuer im Januar hatte Katherina Olschbaur gemeinsam mit ihrem amerikanischen Kollegen Blake Daniels die Ateliers bezogen. Seit acht Jahren lebt die gebürtige Vorarlbergerin in den Staaten. Gerade erst zwei Tage sei sie da gewesen, als die Nachrichten von den Feuern in Los Angeles hereingebrochen seien. Zuerst habe sie gedacht, nach dieser Nachricht gar nicht im südfranzösischen Idyll malen zu können. Sie ist dann doch in Dragon Hill geblieben, um ihre Ängste in farbstark lodernde Bilder zu giessen. Und zeigt Landschaften in Flammen, einem Hasenpaar brennen die Ohren.
Damit Künstler Kunst machen können, all ihren Nöten zum Trotz – genau dafür haben die zwei jungen Galeristen Joe Kennedy und Johnny Bets der Londoner Gallery Unit dieses kunst- wie architekturgeschichtlich bedeutende Areal zu dem ihren gemacht und bitten seit dem vergangenen Frühling gemeinsam mit dem Londoner Kunstmagazin «Art Review» Kunstschaffende wie Kunstkritiker zu Residenzen. Und genau hier liegt die Crux: Der Zugang zum Paradies erfolgt – wie immer – nur auf Einladung.
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Dragon Hill Residency
Hauptanliegen der Residency ist es, den Künstlern ungestörtes Arbeiten zu ermöglichen, deshalb sind Besuche nur eingeschränkt möglich – für den Kunstzirkel (etwa Museums-Freundeskreise) können Besichtigungen nach Vereinbarung aber stattfinden. Das lohnt sich umso mehr, als gerade ein Skulpturenpark angelegt wird – unter anderem mit Arbeiten von Thomas Houseago, Atelier van Lieshout oder der Schweizerin Claudia Comte. Auch die Dragon Hill Residency ist Teil des Plein-Sud-Netzwerks, das 75 oftmals unbekanntere Kulturinstitutionen im französischen Mittelmeerraum zu einem spannenden Parcours vereint, darunter einige «hidden gems». E-Mail: [email protected].
Dragon Hill Residency, Chemin de Castellaras, 06730 Mouans-Sartoux.
Famm: ein kleines Privatmuseum, das ausschliesslich Kunst von Künstlerinnen zeigt
Es klingt ein wenig kompliziert: Künstlerinnen des Museums von Mougins, so lautet die deutsche Übersetzung für den langen Museumsnamen Femmes artistes du Musée de Mougins – kurz: Famm. Das Akronym verweist mit einem Augenzwinkern auf die Aussprache des französischen Worts für Frau, la femme. Und am Ende ist es auch überhaupt nicht kompliziert, sondern sehr einfach: In dem kleinen Privatmuseum, das sich malerisch in die verwinkelten Altstadtgassen von Mougins fügt, hoch in den Hügeln über der Bucht von Cannes, wird seit der Umwidmung im vergangenen Juni ausschliesslich Kunst von Künstlerinnen gezeigt. Vor etwa zehn Jahren begann der britische Kunstsammler Christian Levett, sich vorrangig auf das Werk von Künstlerinnen zu konzentrieren.
Warum er sein Museum ausgerechnet in Mougins eröffnete? Schon vor hundert Jahren war Mougins ein Kunstzentrum, Picasso lebte hier bis an sein Lebensende 1973. Gleich zwei seiner Gefährtinnen sind im Famm ausgestellt: eine kubistisch inspirierte Frau an der Gitarre mit spürbar mediterranem Einfluss von Françoise Gilot sowie ein Gemälde von Dora Maar.
Derzeit sind in dem kleinen provenzalischen Bruchsteinhaus 110 Werke von 90 Künstlerinnen aus seiner Sammlung zu sehen. Über drei Stockwerke nähert man sich den Kunstwerken von Elaine de Kooning, Louise Bourgeois, Helen Frankenthaler oder Tracey Emin geradezu auf intime Weise – die Alarmanlage hat mit ihren Warnlichtern in den schmalen Räumlichkeiten ordentlich zu tun.
Famm, 32 rue du Commandeur, 06250 Mougins
Centre d’Art de Mougins: erst Kapelle, dann Rathaus, nun Centre d’Art
Dieses Eckgebäude am schönsten Altstadtplatz von Mougins spielte im Ort immer eine eminente Rolle: Im 17. Jahrhundert als Kapelle erbaut, wurde in dem Gebäude später das Rathaus eingerichtet – und 2024 das auf moderne und zeitgenössische Kunst fokussierte Centre d’Art de Mougins. Noch immer finden in seinen Mauern die Trauungen der Gemeinde statt. Wer nicht zur Hochzeit geladen ist, kommt also einfach für die Kunst.
Derzeit wird die Erwiderung zeitgenössischer Künstler auf das künstlerische Erbe von Francis Picabia gezeigt. Der Mitbegründer der (Pariser) Dada-Bewegung verliess 1924 Paris, zog an die Côte d’Azur und baute sich in Mougins ein Anwesen, das Château de Mai. Constantin Brâncuși, Marcel Duchamp, Fernand Léger oder auch Gertrude Stein gingen hier ein und aus, gerne auch zu seinen ausschweifenden Künstlerfesten. 25 Jahre aufwendiger Lebensstil an der Côte d’Azur dezimierten den ererbten Reichtum ordentlich, irgendwann waren Jacht und Limousinen weg. Aber was für ein Leben.
Centre d’Art de Mougins, Place du Commandant Lamy, 06250 Mougins
Centre de la photographie de Mougins: für Fans der Fotografie
Wer hätte gedacht, dass sich in den engen Gassen von Mougins auch diese überraschende Adresse für zeitgenössische Fotografie befindet? Es war einst das Museum von André Villers, der in den 1950er Jahren für seine Picasso-Porträts bekannt wurde – und überhaupt viele Grossmeister der Moderne ablichtete, Alexander Calder etwa, Le Corbusier oder auch Marc Chagall und Max Ernst.
2018 geschlossen, eröffnete die Institution 2021 als Centre de la photographie de Mougins neu. Und gilt inzwischen als unumgängliche Adresse für Enthusiasten der Fotokunst. Sogar das renommierte Fotofestival Les Rencontres d’Arles (eine rund zweistündige Autofahrt entfernt) schliesst über das Ticket «Grand Arles Express» die Ausstellungen in Mougins mit ein.
Centre de la photographie de Mougins, 43 Rue de l’Église, 06250 Mougins.
Und wo übernachten? Im «Le Mas Candille»
Selbst Picasso erlag dem Reiz von Mougins. Hier liess er sich 1961 endgültig nieder, hier verstarb er 1973. Bereits in den 1930er Jahren logierte der Künstler mit seiner Entourage wiederholt im Hôtel Vaste Horizon. Den Hotelbetrieb gibt es inzwischen zwar nicht mehr (aber Führungen über das Office de Tourisme), doch einzukehren ist weiterhin ein Muss, wenn auch nur im Erdgeschoss des ehemaligen Hotels, im Ristorante Da Laura. Die gebürtige Turinerin Laura Merlo ist seit 33 Jahren die Referenz für Cucina italiana im neun Kilometer entfernten Cannes, seit 2020 gibt es ihre Antipasti und selbstgemachten Trüffel-Ravioli auch in Mougins.
Zur Übernachtung empfiehlt sich das 2024 eröffnete Fünf-Sterne-Haus Le Mas Candille, mit seiner ockerfarbenen Bastide, den grünen Fensterläden und rostroten Sonnenschirmen ein Zwischending zwischen provenzalischem Mas und kalifornischer Villa. Diese habe er auch als Inspiration vor sich gesehen, so resümiert Hugo Toro sein Interieur.
Im Park des 4,5 Hektaren grossen Anwesens befindet sich ein tausendjähriger Olivenbaum, unter dem Napoleon Bonaparte 1815 auf seinem Marche des cent jours heimwärts aus dem Exil von Elba seine Soldaten biwakieren liess.
Le Mas Candille, ab 295 Euro/Nacht, 172 Bd Clément Rebuffel, 06250 Mougins.