Der Wunsch der Europäer nach Waffen vom eigenen Kontinent bieten für Leonardo, Fincantieri und andere italienische Rüstungsfirmen riesige Wachstumschancen.
Italiens Rüstungsindustrie ist mit einem Umsatz von 41 Milliarden Euro einer der wichtigsten Wirtschaftssektoren des Landes. Schon ohne die neuen Aufrüstungspläne in Europa können sich die Unternehmen kaum retten vor Aufträgen. Die Aktienkurse von Leonardo, Fincantieri, des
Motoren- und Triebwerkbauers Avio Aero oder Iveco, das neben Nutzfahrzeugen auch gepanzerte Fahrzeuge produziert, explodieren.
Noch ist unklar, in welchem Umfang die Ankündigungen zu neuen Bestellungen führen werden. Italiens Regierung zögert angesichts einer Verschuldung von 134 Prozent des Bruttoinlandprodukts, dafür in
grossem Umfang neue Kredite aufzunehmen. Zudem ist sie zerstritten.
Europa kauft Rüstung vor allem in den USA
Die Aufträge werden wenn, dann eher von der EU bzw. ihrem Aufrüstungsprogramm über 800 Milliarden Euro kommen. Die Lega von Vizepremierminister Matteo Salvini, Koalitionspartner von Premierministerin Giorgia Meloni, hat im EU-Parlament allerdings sogar gegen das Paket gestimmt.
Die Rating-Agentur Morningstar DBRS rechnet dennoch mit steigenden Umsätzen. Roberto Cingolani, CEO des Rüstungskonzerns Leonardo, der in den Bereichen Helikopterbau, Rüstungselektronik, Cybersecurity, Flugzeug- und Panzerbau tätig ist, hat ein Team gebildet, das die Chancen und Konsequenzen der europäischen Aufrüstungspläne prüfen soll. Ein Grossteil möglicher Aufträge könnte aber amerikanischen Unternehmen zugutekommen. Denn ein grosser Teil el der militärischen Ausrüstung Europas wurde in den letzten Jahren bei amerikanischen Herstellern gekauft, vor allem bei Lockheed Martin, Northrop Grumman und Raytheon.
Europäische Unternehmen können die Produkte meist gar nicht selbst produzieren. Leonardo und der Werftenkonzern Fincantieri arbeiten seit Jahrzehnten eng mit amerikanischen Unternehmen zusammen. Leonardo produziert mit Agusta Westland Helikopter. Fincantieri baut Fregatten für die US-Marine und beliefert auch die Küstenwache.
Die Rüstungsindustrie ist zu stark fragmentiert
Beide Unternehmen sind aber auch stark in europäischen Projekten engagiert: bei Lenkflugkörpern (MBDA) oder Satelliten (Thales Alenia Space, Telespazio) etwa. Ausserdem ist Leonardo am deutschen Elektronikhersteller Hensoldt beteiligt. Der Leonardo-CEO Roberto Cingolani plädiert für mehr Kooperationen der stark fragmentierten europäischen Rüstungsindustrie. Es brauche eine kritische Masse, um wettbewerbsfähige Strukturen zu schaffen und «unseren Entwicklungsplan zu beschleunigen sowie unsere industriellen und technologischen Kapazitäten zu vervollständigen», so Cingolani.
Er hat zuletzt mehrere neue Kooperationen auf den Weg gebracht. Im ligurischen La Spezia, wo italienische Ariete-Panzer gebaut wurden, sollen bis 2040 in einem Joint-Venture mit dem deutschen Rheinmetall-
Konzern 272 italienisierte Kampf- und 1050 Schützenpanzer vom Typ Panther bzw. Lynx produziert werden. Auftragsvolumen: etwa 24 Milliarden Euro. Platz ist genug da. Viele der riesigen Hallen stehen leer. Mit dem weltweit führenden Drohnenhersteller Baykar will Leonardo Kampf-, Überwachungs- und Angriffsdrohnen entwickeln und produzieren. Und im Weltraumsektor sprechen die Italiener mit
Thales und Airbus über ein Bündnis im Bereich erdnaher Satelliten.
Um neue Kapazitäten zu schaffen, wird die Nutzung leer stehender Fabriken des Autokonzerns Stellantis diskutiert. Giuseppe Cossiga, Präsident des Luftfahrt- und Rüstungsverbands Aiad, veranschlagt drei
bis fünf Jahre, bis die Produktionen hochgefahren werden können.
Doch statt europäische Kompetenzen zu bündeln, arbeitet Leonardo bei der Entwicklung eines neuen Kampfflugzeugsystems mit BAE-Systems und Mitsubishi zusammen – in Konkurrenz zum deutsch-französisch-spanischen Future Combat Air System (FCAS).
Fincantieri produziert neben Jachten und Kreuzfahrtschiffen U-Boote und Fregatten. «Wir nutzen zunehmend Dual-Use-Technologie-Lösungen, die ursprünglich für den zivilen Sektor entwickelt wurden und auf Verteidigungsprogramme angewendet werden können, um Innovationen und Effizienz im militärischen Schiffbau zu beschleunigen», heisst es auf Anfrage. Man sei in der Lage, die maritime Verteidigung einschliesslich U-Booten und Unterwassertechnologien deutlich auszubauen.
Das Unternehmen will mit dem Partner ThyssenKrupp Marine Systems (TKMS) «verschiedene Formen der Zusammenarbeit prüfen, sei es durch verstärkte kommerzielle Partnerschaften oder durch umfassende
strategische Initiativen».