Was ist ein Quantensprung? Ist Licht Teilchen oder Welle? Und was hat es mit Schrödingers Katze auf sich, die sowohl tot als auch lebendig ist? Man muss kein Genie sein, um sich einen Begriff von der 100 Jahre alten Theorie der Quantenmechanik zu machen.
Die Welt der Quanten ist paradox. Wie soll man sich zum Beispiel vorstellen, dass ein Elektron gleichzeitig hier wie dort sein kann? Weshalb offenbart sich Licht manchmal als Teilchen, manchmal als Welle? Und wie kann es sein, dass zwei Lichtquanten durch eine «spukhafte Fernwirkung» verbunden sind, obwohl sie Lichtjahre voneinander entfernt sind?
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts mussten Physiker erkennen, dass in der Welt der Atome, der Elektronen und des Lichts andere Regeln gelten als in unserer Alltagswelt. Aber sie taten sich schwer damit, sich von ihren Vorstellungen zu lösen, die durch die klassische Mechanik eines Isaac Newton geprägt waren. Nach langem Ringen präsentierten Werner Heisenberg, Erwin Schrödinger und andere Physiker im Jahr 1925 endlich eine neue Theorie: die Quantenmechanik.
Der Erfolg dieser Theorie steht ausser Frage. Ohne sie gäbe es heute keine Laser, keine Mikrochips und keine Supraleiter. Und es gäbe auch keine Hoffnung auf eine zweite Quantenrevolution, die uns Technologien wie den Quantencomputer, hochempfindliche Sensoren oder die Quantenkryptografie bescheren soll.
Zur Erinnerung an dieses Schlüsselereignis der Wissenschaftsgeschichte hat die Uno das Jahr 2025 zum Quantenjahr ausgerufen. Das Quantenjubiläum erinnert aber nicht nur an die Errungenschaften, die wir der Quantenmechanik zu verdanken haben. Es erinnert auch an die andauernden Schwierigkeiten, diese Theorie zu deuten.
Schon die Gründer der Quantenmechanik mussten erkennen, dass die von ihnen geschaffene Theorie nicht so einfach zu interpretieren ist. Es dauerte zwei Jahre, bis Niels Bohr, Werner Heisenberg, Max Born und andere Physiker nach intensiven Diskussionen die sogenannte Kopenhagener Deutung vorstellten.
Im Kern besagt diese, dass in der Welt der Atome und Elektronen der Zufall regiere. Der Ausgang einer Messung lasse sich nicht vorhersagen. Es lasse sich lediglich berechnen, mit welcher Wahrscheinlichkeit dieses oder jenes Ergebnis eintrete. Nach tieferliegenden Ursachen dürfe man nicht fragen, weil es diese nicht gebe. «Shut up and calculate» nannte der amerikanische Physiker David Mermin diese Haltung, die der Kopenhagener Deutung zugrunde liegt.
Muss man also ein Mathematikgenie sein, um sich einen Begriff von der Quantenmechanik zu machen? Ganz so hoffnungslos ist es nicht. Man kann sich der Quantenmechanik auch anhand der paradoxen Phänomene nähern, für die sie berühmt und berüchtigt ist.
Der Welle-Teilchen-Dualismus
Die klassische Physik unterscheidet zwischen Welle und Teilchen. Ein Objekt ist entweder das eine oder das andere, aber nie beides. So war man Ende des 19. Jahrhunderts fest davon überzeugt, dass Licht eine Welle ist und die Materie aus Teilchen besteht, die jederzeit lokalisiert werden können. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts begannen diese Kategorien zu verschwimmen.
Die Doppelnatur des Lichts zeigt sich zum Beispiel im berühmten Doppelspaltexperiment. Richtet man einen Lichtstrahl auf eine Wand mit zwei Schlitzen, bildet sich auf einem Schirm hinter der Wand ein für Wellenphänomene typisches Beugungsmuster aus hellen und dunklen Streifen aus. Gleichzeitig trifft jedes einzelne Photon an einem bestimmten Ort auf den Schirm. Das Licht zeigt also sowohl Wellen- als auch Teilcheneigenschaften.
Albert Einstein war einer der Ersten, die die Wellennatur des Lichts infrage stellten. Im Jahr 1905 machte er den Vorschlag, man könne Licht auch als Strom voneinander unabhängiger Energiequanten beschreiben. Mit seiner Lichtquantenhypothese brachte Einstein die klassische Physik ins Wanken.
Bald darauf erfolgte der nächste Schlag. Im Jahr 1923 stellte der französische Physiker Louis de Broglie den Teilchencharakter der Materie infrage. Er behauptete, dass jedes Materieteilchen auch als Welle interpretiert werden könne. Mit anderen Worten: Nicht nur das Licht hat zwei Gesichter, sondern auch die Materie. Das passte so gar nicht zu der klassischen Vorstellung, dass sich die Kategorien Welle und Teilchen gegenseitig ausschliessen.
Erst die im Jahr 1925 formulierte Quantenmechanik löste diesen Widerspruch auf. Licht und Materie sind gemäss der Theorie sowohl Teilchen als auch Welle. Als was sie sich offenbaren, hängt davon ab, welche Messungen man an ihnen vornimmt. Damit weist die Quantenmechanik dem Beobachter eine Rolle bei, die er in der klassischen Physik nicht hat.
Unklar ist bis heute, wo die Grenze zwischen Quantenphysik und klassischer Physik verläuft. So haben Physiker Moleküle aus mehr als 2000 Atomen durch einen Doppelspalt geschickt und dabei ein wellentypisches Interferenzmuster beobachtet. Im Prinzip kann man sogar einen Stein als Welle interpretieren. Dessen Wellenlänge ist aber so klein, dass sich seine Welleneigenschaften nicht bemerkbar machen.
Elektronen machen Quantensprünge
Ein weiteres Phänomen der Quantenmechanik ist der Quantensprung. Dieser Begriff hat inzwischen sogar Eingang in unsere Alltagssprache gefunden. Er bezeichnet dort einen grossen Schritt nach vorne. Strenggenommen handelt es sich bei einem Quantensprung allerdings um die kleinste Veränderung, die möglich ist.
Der Quantensprung ist auf das Jahr 1913 zurückzuführen, als der dänische Physiker Niels Bohr ein neues Atommodell aufstellte. In diesem Modell laufen die Elektronen auf ähnlichen Bahnen um den Atomkern herum, wie Planeten um die Sonne. Allerdings können sie nicht in beliebigem Abstand um den Atomkern kreisen. Erlaubt sind nur Zustände, die sich durch einen bestimmten Energiebetrag unterscheiden. Durch einen Sprung kann ein Elektron in einen Zustand niedriger Energie übergehen. Dabei strahlt es die überschüssige Energie als Licht ab. Das war ein Bruch mit der klassischen Physik, in der es nur kontinuierliche Veränderungen gibt.
Das Bohrsche Atommodell war nur ein Zwischenschritt auf dem Weg zur Quantenmechanik. Der Quantensprung liess sich allerdings nicht mehr aus der Welt schaffen. Manche Physiker grämten sich deswegen. Erwin Schrödinger, einer der Väter der Quantenmechanik, sagte später: «Wenn die verdammte Quantenspringerei doch wieder anfangen soll, dann tut es mir leid, die ganze Theorie gemacht zu haben.»
Der «verdammten Quantenspringerei» haben wir übrigens den Laser zu verdanken. In diesem Gerät werden angeregte Elektronen durch Lichtquanten zu einem Quantensprung stimuliert. Dabei wird Licht der gleichen Wellenlänge abgestrahlt. Das ursprüngliche Licht wird also verstärkt.
Die Heisenbergsche Unschärferelation
Über die Quantenmechanik kursieren sogar Witze. Einer geht so: «Heisenberg war sehr schnell unterwegs. Die Polizei hält ihn an und sagt: ‹Hatten Sie überhaupt eine Ahnung, wie schnell Sie unterwegs waren?› Heisenberg antwortet: ‹Nein, aber ich wusste, wo ich bin.›» Der Witz spielt auf die berühmte Unschärferelation an, die Werner Heisenberg 1927 entdeckte und die ein wesentliches Element der Kopenhagener Deutung ist.
In der klassischen Physik ist es möglich, den Ort und den Impuls eines Objekts gleichzeitig scharf zu messen. Wie Heisenberg 1927 erkannte, ist das bei einem Quantenobjekt nicht mehr möglich. Je genauer man den Impuls eines Elektrons misst, desto unsicherer ist, wo es sich befindet. Misst man umgekehrt den Ort, ist der Impuls (und damit die Geschwindigkeit) undefiniert. Darauf spielt der Witz an. In der Quantenmechanik sind Ort und Impuls Eigenschaften, die sich ergänzen und niemals gleichzeitig scharf definiert sind.
Die Heisenbergsche Unschärferelation fasst das in Formeln. Sie besagt, dass das Produkt aus der Orts- und der Impulsunschärfe nicht kleiner sein kann als eine Konstante, die Max Planck schon im Jahr 1900 in die Physik eingeführt hatte. Ähnliche Unschärferelationen gibt es auch für andere komplementäre Grössen wie Energie und Zeit.
Das ist übrigens der Grund dafür, dass der leere Raum niemals leer ist. Wegen der Unschärfe von Energie und Zeit können aus dem Nichts heraus Teilchen entstehen, wenn diese schnell genug wieder zerfallen. Je grösser die vom Vakuum geborgte Energie ist, desto schneller muss sie «zurückbezahlt» werden.
Der Tunneleffekt der Quantenmechanik
Die Quantenmechanik hat nicht nur Erfindungen wie den Laser hervorgebracht. Sie ist auch der Grund dafür, dass die Sonne scheint. Denn ohne den quantenmechanischen Prozess des Tunnelns verschmölzen im Inneren der Sonne nicht genug Atomkerne miteinander, um die Erde zu wärmen.
Zur Veranschaulichung des Tunneleffekts kann man sich eine Murmel vorstellen, die in einer Mulde liegt und einen Schubs erhält. Sind die Wände der Mulde hoch genug, wird die Murmel ein Stück die Wand emporrollen und dann wieder zurückfallen. Ihre Energie reicht nicht, um die Hürde zu überwinden. Sie bleibt gefangen.
Wäre die Murmel allerdings ein Elektron oder ein Atomkern, könnte sie die Barriere überwinden, obwohl ihre Energie dazu nicht ausreicht. Quantenmechanische Objekte werden durch eine Wellenfunktion beschrieben. Und die kann auch in Bereichen von null verschieden sein, die klassisch verboten sind. Das bedeutet, dass es eine gewisse Wahrscheinlichkeit gibt, die Murmel auf der anderen Seite der Barriere anzutreffen. Man sagt, die Murmel sei durch die Barriere «getunnelt».
Der Tunneleffekt ist der Grund für den radioaktiven Zerfall von Atomkernen. Und er hilft den Wasserstoffatomkernen im Inneren der Sonne dabei, die elektrische Abstossung zwischen ihnen zu überwinden und miteinander zu verschmelzen. Ohne den Tunneleffekt müsste es im Inneren der Sonne sehr viel heisser sein, damit die Kernfusion einsetzt.
Schrödingers Katze – tot oder lebendig?
Eine der merkwürdigsten Eigenschaften der Quantenmechanik ist, dass Teilchen in einen sogenannten Überlagerungszustand versetzt werden können. Ein Atom kann gleichzeitig angeregt und nicht angeregt sein, ein Elektron kann gleichzeitig hier wie dort sein. Diese Überlagerung bleibt bestehen, bis man das System durch eine Messung dazu zwingt, sich für eine dieser Möglichkeiten zu entscheiden. Die Messung bewirkt also einen plötzlichen Kollaps des Überlagerungszustands.
In einem berühmt gewordenen Gedankenexperiment malte sich Erwin Schrödinger 1935 aus, was diese Überlagerung bedeutet, wenn man sie auf «grob tastbare und sichtbare Dinge» überträgt. Er stellte sich eine Katze vor, die zusammen mit einem radioaktiven Präparat in einer Kiste eingesperrt ist. Das Präparat ist so dosiert, dass eines der Atome nach einer Stunde mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit zerfällt.
Wenn das passiert, wird ein Mechanismus ausgelöst, der die Katze tötet. Ebenso wahrscheinlich ist, dass nach einer Stunde noch keines der Atome zerfallen ist. Dann ist die Katze noch am Leben. Die Crux des Gedankenexperiments: Solange man die Kiste nicht öffnet und nachsieht, befindet sich die Katze in einem Überlagerungszustand. Laut der Quantenmechanik ist sie sowohl tot als auch lebendig. Das ist absurd.
Mit diesem Gedankenexperiment brachte Schrödinger sein Unbehagen gegenüber der Quantenmechanik zum Ausdruck – ausgerechnet er, einer der Mitbegründer dieser Theorie, möchte man sagen. Aber Schrödinger war nicht der Einzige, der sich gegen diese Interpretation der Quantenmechanik auflehnte. Auch Einstein war überzeugt, dass diese Theorie unvollständig ist.
Heute gibt es übrigens eine plausible Erklärung dafür, dass Katzen nicht gleichzeitig tot und lebendig sein können. In Wirklichkeit überdauert der Schwebezustand nämlich noch nicht einmal einen Wimpernschlag. Anders als ein einzelnes Atom lässt sich eine Katze nicht vollständig von der Umwelt abschirmen. Jedes Luftmolekül, jedes Lichtquant lässt den fragilen Zustand innerhalb kürzester Zeit zusammenbrechen. Aus dem Sowohl-als-auch wird ein Entweder-oder. Die Situation ist ähnlich wie beim Würfeln, nachdem die Würfel gefallen sind: Das Ergebnis steht bereits fest; wir müssen nur noch zur Kenntnis nehmen, ob der Würfel eine Eins oder eine Sechs zeigt.
Wem das spanisch vorkommt, der muss deshalb nicht verzweifeln. Auch Wissenschafter sind sich bis heute noch nicht einig, wie die Quantenmechanik zu interpretieren ist und was beim Messen passiert.
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