Krawattenträger musste man früher in den Büros oder bei Events suchen. Nun zeigt sogar Balenciaga, eher bekannt für Streetwear im Luxusbereich, den Schlips auf dem Laufsteg. Die Trageweise hat sich allerdings geändert.
Ob bei Bottega Veneta, Saint Laurent, Fendi oder Louis Vuitton – auf einmal ist sie überall zu sehen. Sogar der «Streetwear-Heiland» Demna eröffnete seine jüngste Balenciaga-Show mit schmalen Krawatten zu Anzügen. Dabei schien das gute alte Stück lange Zeit praktisch wie vom Erdboden verschluckt. Zumindest im Alltag der letzten Jahre, seitdem ab den frühen nuller Jahren insbesondere in der Arbeitswelt sich die Dresscodes veränderten. Damals etablierten die Silicon-Valley-Gurus Steve Jobs und Mark Zuckerberg eine entspanntere Arbeitskultur, die sie mit Rollkragenpullovern oder Hoodies nach aussen trugen. Das Home-Office-Regime während der Corona-Pandemie trug ebenso seinen Anteil zur Lockerung von Bekleidungsvorschriften bei.
So verschwand sie nun vielerorts, während in der Luxusmode mit Designern wie Demna, ehemals Demna Gvasalia, die Street- und Sportswear aufgewertet wurde; bei Balenciaga machte er es vor. Diese «Casualisierung» der Mode hatte deutliche Auswirkungen, nicht nur auf Banken wie die Zürcher Kantonalbank, die 2024 die Krawatte offiziell aus ihrem Bekleidungsprogramm entsorgte, sondern auch auf die Krawattenindustrie selbst: Laut dem Wirtschaftsportal «Eulerpool» schrumpften in Deutschland zwischen 2014 und 2023 die Importe wie auch Exporte von Krawatten um rund 60 Prozent.
Dabei zählte die Krawatte für ein gutes Jahrhundert zum Status quo der Herrengarderobe, nachdem sie sich ab Mitte des 19. Jahrhunderts aus diversen Varianten von Halsgebinden durchgesetzt hatte und zum textilen Symbol für das männliche Geschlecht geworden war. Doch je stärker sich die Freizeitkultur ab Mitte des 20. Jahrhunderts etablierte, desto mehr rückte sie in den Hintergrund.
Bald wurde der Schlips nur noch im Arbeitsalltag getragen oder anlässlich eines besonderen Auftritts, vielleicht auch an so manchen Feiertagen, wenn man es der Grossmutter recht machen wollte. Männer drücken damit seit je optisch ihren Respekt aus.
Neue Sehnsucht nach einem eleganteren Auftritt
Und nun – wer hätte das gedacht – ist der Schlips wieder da. Während Sneakers, zerrissene Jeans und Jogginghosen das Strassenbild prägten, entstand in jüngster Zeit die Sehnsucht nach einem eleganteren Auftritt, aber eben in zeitgemässer Form.
So gewinnen Ikonen der klassischen Herrengarderobe nun immer mehr an Popularität: der doppelreihige Blazer oder die Bundfaltenhose, das klassische Hemd sowieso, da ist die Krawatte dann schon nicht mehr weit weg.
Waren es erst lose geknotete Foulards, die in der Herrenmode für elegant-romantische Akzente sorgten, taucht seit einigen Saisons der Schlips wieder auf den Laufstegen der tonangebenden Marken auf. Die britische Männermodedesignerin Martine Rose etwa rundete ihren Mix aus klassischen Elementen, Sportswear und Einflüssen aus Untergrundkulturen immer wieder mit der Krawatte ab. Hedi Slimane propagiert sie ebenfalls schon seit einigen Jahren – bei Celine waren es schmale Modelle zu lässigen Bourgeoisie-Looks, abgemischt mit dem rebellischen Flair der 1960er und 1970er Jahre.
Rapper Asap Rocky in Bottega Veneta und Saint Laurent
Als Aha-Moment gilt jedoch die Winterkollektion von Bottega Veneta aus dem Jahr 2023, wo Krawatten an praktisch allen Herrenoutfits die Reminiszenz an die glattpolierten Yuppie-Looks der 1980er Jahre verdeutlichten. Auch Prada sprang auf den Zug auf. Die Einladung für die Männershows Herbst/Winter 2024 kam gleich mit einer Seidenkrawatte bei den geladenen Gästen an. Die Kollektion konnte als Verweis auf den einst so typischen Look von Büroangestellten verstanden werden.
Wie man die Krawatte heute trägt, führt der Amerikaner Asap Rocky vor. Einst als Rapper berühmt geworden, gilt er inzwischen als moderne Stilikone und gibt mit seinen Auftritten den modischen Ton an. Er war einer der Ersten aus der Hip-Hop-Szene, die sich bei öffentlichen Auftritten und auf Social Media mit High Fashion von Luxusmarken inszenierten und mit formelleren Anzugslooks experimentierten; während andere weiterhin auf Streetwear setzten.
Für die Pre-Spring-2024-Kampagne zeigte ihn Bottega Veneta mit Krawatte in diversen Strassenszenen: Einmal freizeitlich zum lose getragenen Jeanshemd und kombiniert mit «Dad-Jeans». Oder ganz klassisch zu farblich abgestimmtem Hemd, Jackett und Anzughose – diese aber als Shorts getragen und zu Sneakers und Tennissocken kombiniert.
Mit diesem erfrischenden Stilmix bricht «Rocky» mit dem stereotypen Bild eines Rappers in Baggy Jeans, T-Shirt, mit Goldketten behängt. Wohl auch deshalb wurde er an den Fashion Awards Anfang Dezember 2024 als «kultureller Innovator» ausgezeichnet. Er nahm die Trophäe selbstredend Krawatte tragend entgegen.
Wie der Schlips heute getragen wird
Seither sieht man ihn praktisch nur noch mit Schlips, nicht nur in Outfits von Bottega Veneta, sondern auch in Anzügen von Saint Laurent, wo die Krawatte für den Kreativchef Anthony Vaccarello inzwischen auch unabdingbar geworden ist zu den kantigen Schultern und fliessenden Silhouetten.
Und was die grossen Modemarken vormachen, wird heutzutage von den Kids rasch für die Strasse adaptiert. Oft spielt dabei eine gewisse Nonchalance mit. Der einfach gebundene Knoten ist unperfekt und lockerer gebunden oder hängt gar zum halb offenen Hemd um den Hals. Mal lugt die Krawatte artig unter einem Pulli oder der Jeansjacke hervor, mal hängt eine schöne Kette darüber.
Es ist das Spiel von Genres, das den neuen Einsatz der Krawatte ausmacht. Und weil sie in den vergangenen Jahren aus dem Arbeitsalltag und dem öffentlichen Bewusstsein fast verschwunden ist, ist es derzeit insbesondere der modische Mann, der sie trägt und wieder zum Trend macht.