Italiens Wirtschaft hat sich seit der Pandemie überdurchschnittlich gut entwickelt. Und auch international setzt sich die Regierungschefin wirkungsvoll für die Interessen ihres Landes ein. Doch die Euphorie könnte von kurzer Dauer sein.
Giorgia Meloni hat Italien ein neues Image verpasst. Seit sie vor bald zweieinhalb Jahren in den Palazzo Chigi eingezogen ist, ist Italien auf internationaler Ebene präsent wie lange nicht. Meloni gewann die EU-Kommissions-Präsidentin für ihre Migrationspolitik, und sie empfing und besuchte Staatschefs aus aller Welt. Zudem bemühte sie sich früh um einen Draht zu Donald Trump. Dabei zeigte sie sich offen und diplomatisch und strafte damit die Skeptiker ab, die befürchtet hatten, sie werde insbesondere in Brüssel vor allem auf die Barrikaden gehen.
Meloni wirkte im vergangenen Jahr umso gewichtiger, als die beiden grössten Volkswirtschaften der EU – Deutschland und Frankreich – mit innenpolitischen Turbulenzen zu kämpfen hatten. Während in Deutschland die Koalition zerbrach, kam es in Frankreich zu drei Wechseln im Amt des Regierungschefs.
Geopolitische Einordnung im Überblick
Kurzgefasst: Giorgia Meloni hat Italiens internationales Ansehen gestärkt und innenpolitische Stabilität bewahrt, während ihre wirtschaftspolitischen Reformen begrenzt blieben.
Geopolitische Einschätzung: Italiens Einfluss in Europa wächst, begünstigt durch die Schwäche Deutschlands und Frankreichs, doch strukturelle Probleme wie Bürokratie und Staatsverschuldung bleiben ungelöst.
Blick voraus: Ohne tiefgreifende Wirtschaftsreformen könnte Italiens derzeitige Stabilität nur von kurzer Dauer sein. Besonders, wenn externe Finanzhilfen auslaufen.
Auch in Italiens Regierungskoalition wurde und wird viel gestritten. Aber gefährdet war das Dreierbündnis bisher nicht. Das macht die Regierung von Giorgia Meloni zur stabilsten seit langem. Die durchschnittliche Amtszeit von italienischen Regierungschefs von eineinhalb Jahren hat sie längst übertroffen.
Erfreuliche Kennzahlen
Italien, zumindest in den letzten 20 Jahren bekannt als instabiles, krisengeplagtes Land, fällt in Europa positiv auf – und zwar auch wirtschaftlich. Wie auch andere südeuropäische Länder hatte es nach der Pandemie ein überdurchschnittliches Wachstum zu verzeichnen. Diese Tendenz hat sich zuletzt zwar abgeschwächt; aber auch im vergangenen Jahr war das Wirtschaftswachstum mit 0,7 Prozent besser als in Deutschland. Erfreulich ist auch die Entwicklung der Arbeitslosenzahlen: Diese liegen mit 6,5 Prozent im Januar zwar noch immer leicht über dem EU-Durchschnitt. Doch seit 2018 sind sie merklich zurückgegangen – insbesondere bei den jungen Menschen.
Allerdings ändert dies höchstens ein wenig an den strukturellen Problemen, mit denen Italien seit Jahren zu kämpfen hat: einer exorbitanten Staatsverschuldung – nur Griechenland ist gemessen an der Wirtschaftsleistung noch mehr verschuldet –, dem Braindrain begabter Menschen bei gleichzeitigem Fachkräftemangel sowie einer tiefen Produktivität. Italien ist im Ausland für Ferien zwar immer noch sehr beliebt; doch für Investitionen ziehen Europäer wie auch viele Amerikaner andere Länder Italien vor: Zu umständlich ist die Bürokratie, zu träge die Justiz. Auch das gesteigerte Interesse amerikanischer Tech-Firmen, in Italien Fuss zu fassen, scheint bisher vor allem persönlichen Vorlieben geschuldet zu sein.
Im Vergleich zu seinen südeuropäischen Nachbarn ist in Italien in den letzten Jahren wenig geschehen, um diesen Missständen zu begegnen. Experten gehen davon aus, dass die positive Entwicklung der italienischen Wirtschaft zuletzt vor allem durch zwei Faktoren getrieben war: eine grosszügige staatliche Bezuschussung für Private, die an ihren Immobilien Investitionen in die Energieeffizient tätigten, sowie das Geld aus dem europäischen Corona-Wiederaufbaufonds. Südeuropäische Länder profitieren ohnehin überdurchschnittlich von dem Konjunkturpaket, Italien profitiert dabei am meisten mit bisher knapp 200 Milliarden Euro.
Beide Massnahmen haben der italienischen Wirtschaft, insbesondere im Bauwesen, Auftrieb verliehen. Doch beide haben auch ein Enddatum: Die Subventionen hat die Regierung Meloni bereits gebremst, das Geld aus dem europäischen Konjunkturpaket soll voraussichtlich noch bis Mitte 2026 fliessen. Die Gelder aus dem europäischen Corona-Fonds sind zwar an gewisse Auflagen gebunden. Italien verpflichtet sich gegenüber der Kommission in Brüssel etwa dazu, seine Justizverfahren zu beschleunigen und seine Verwaltung effizienter und kostengünstiger zu gestalten. Doch bisher ist in diesen Bereichen nichts Bahnbrechendes Geschehen.
Die Justizreform, die unter anderem die aussergewöhnlich lange Verfahrensdauer reduzieren soll, sorgt seit Monaten für erbitterten Streit zwischen dem überaus unabhängigen Justizapparat und der Regierung. Erst Ende Februar sind die Richter deswegen in den Streik getreten. Das dafür notwendige Gesetz wurde erst in erster Lesung vom Parlament bewilligt.
Schwäche in der Wirtschaftspolitik
Abgesehen von dem Widerstand, der Meloni und ihrer Regierung bei ihren Reformbemühungen begegnet, sind auch fehlende Ambitionen ein Problem. Schon im Wahlkampf hatte Meloni wenig Ideen zu bieten, wie sie das Land für Unternehmer, Investoren und gut qualifizierte Arbeitnehmer attraktiver machen will. Die Reformen, die sie bisher in Angriff genommen hat, haben vor allem zum Ziel, das Land auf einen wertkonservativeren Kurs zu bringen und die Migration einzudämmen. Die Bemühungen, das enorme Defizit zu reduzieren, beschränken sich bisher auf Steuererhöhungen für wohlhabende Expats und Italiener. Immerhin hat die Regierung bisher auch keine Massnahmen ergriffen, die das Defizit noch grösser werden lassen.
So besteht die Gefahr, dass Italiens stabilste Regierung seit Jahren ihre Macht nicht ausschöpft. Gewiss, jahrelang aufgeschobene strukturelle Reformen sind mühsam und würden sich vermutlich unmittelbar auf Melonis hohe Zustimmungswerte auswirken. Auch ist es möglich, dass sie sich darob mit ihren Koalitionspartnern – der Berlusconi-Partei Forza Italia sowie dem zunehmend erratisch auftretenden Matteo Salvini der Lega – zerstreitet. Italiens neue Stärke ist also relativ – und droht vorerst stark an Giorgia Meloni gebunden zu sein.