Das EU-Paket ist nicht chancenlos. Primär im rot-grünen Lager sei die Zustimmung hoch, zeigt eine Umfrage von GfS Bern. Was heisst das für die weitere Debatte?
Offene Fragen beim Lohnschutz, neue Millionentransfers an ärmere EU-Länder, strengere Regeln bei der Rechtsübernahme und dann auch noch der Europäische Gerichtshof: Man kann nicht behaupten, die echten und vermeintlichen Schattenseiten des geplanten Vertragspakets zwischen der Schweiz und der EU seien in den letzten Wochen und Monaten zu wenig diskutiert worden. Ende 2024 haben die Diplomaten der beiden Seiten die Verhandlungen über das Paket beendet, das die Zukunft des bilateralen Verhältnisses sichern soll. Dass der Widerstand hierzulande weiterhin breit ist, versteht sich von selbst.
Doch nun deutet eine neue Umfrage des Büros GfS Bern darauf hin, dass die Sache zumindest nicht aussichtslos ist. Auf die Frage, wie sie das geplante Gesamtpaket – bestehend aus drei neuen Verträgen sowie Anpassungen an bestehenden Abkommen – beurteilen, sagten 64 Prozent, sie seien voll oder eher einverstanden. Dies ist gemessen an der öffentlichen Debatte ein unerwartet hoher Wert.
Allerdings hat dieselbe Befragung früher noch höhere Werte ergeben, vor einem Jahr etwa lag die Zustimmung bei 71 Prozent. Es handelt sich dabei um eine Umfrage, die GfS zum zwölften Mal im Auftrag des Branchenverbands Interpharma durchgeführt hat, der sich aus naheliegenden Gründen seit je für ein gutes Verhältnis mit der EU einsetzt.
Aussagekräftiger als der Durchschnittswert ist die Zustimmung nach Parteipräferenz. Obwohl gerade die Gewerkschaften und in ihrem Windschatten Teile der SP lautstark Druck auf den Bundesrat gemacht hatten, weil die neuen Verträge den Lohnschutz infrage stellen würden, sind es nun die Anhänger der linken Parteien, die sich besonders klar für das Paket aussprechen: Bei der SP sind es 88 Prozent, bei den Grünen sogar 90 Prozent. Gleich hoch ist die Zustimmung an der Basis der GLP, wobei sich hier diese klare Haltung mit dem Kurs der Parteispitze deckt. Vor allem die SP aber hat bisher ein deutliches Bekenntnis vermieden.
Drittel der SVP-Basis findet es gar nicht so schlimm
Dasselbe gilt für die FDP und die Mitte. Wenn man der Umfrage Glauben schenkt, scheinen sie etwas mehr Anlass zu haben, die Positionierung zurückhaltend anzugehen. Bei beiden Parteien steht jeweils eine relevante Minderheit den neuen Abkommen ablehnend gegenüber.
Allerdings – und das ist wiederum erstaunlich – gibt es gemäss der Befragung sogar in der Anhängerschaft der SVP, die mit aller Vehemenz gegen die neuen Verträge kämpft, eine Minderheit, sie sich mit dem Paket anfreunden könnte. Satte 35 Prozent der SVP-Sympathisanten sollen angegeben haben, sie seien voll oder eher einverstanden. Wenn das zutrifft, gäbe es in der Volkspartei mehr Abweichler, die für die Abkommen sind, als bei der FDP und der Mitte solche dagegen.
Zunehmende Skepsis in der Romandie
Eine weitere interessante Erkenntnis betrifft die Differenzen zwischen den Sprachregionen: Im Schicksalsjahr 1992 haben die Romands in grosser Zahl für den Beitritt zum EWR gestimmt, heute aber scheinen sie der Europapolitik noch kritischer gegenüberzustehen als die Deutschschweizer. Auf die Frage, wie sie das bilaterale Verhältnis gesamthaft beurteilen, erklärten in der Westschweiz nur noch 50 Prozent, aus ihrer Sicht würden die Vorteile überwiegen. Vor fünf Jahren lag dieser Wert bei 65 Prozent.
In der deutschen Schweiz lief die Entwicklung exakt in die andere Richtung: Der Anteil jener, für die der bilaterale Weg vorwiegend Vorteile für die Schweiz bringt, ist von 45 auf 60 Prozent gestiegen. Im Tessin wiederum ist man heute ähnlich skeptisch wie damals, zurzeit überwiegt nur für 35 Prozent das Positive. Gesamthaft ist es aber immer noch eine klare Mehrheit von 58 Prozent, welche die bilateralen Verträge als vorteilhaft beurteilt. Der Wert ist gegenüber dem letzten Jahr um 6 Prozentpunkte gesunken und liegt nun wieder ähnlich hoch wie 2023.
Aber auch die verbreitete Skepsis der Schweizerinnen und Schweizer gegenüber der EU tritt in der neuen Umfrage deutlich zutage. 78 Prozent finden, die Union sei ein bürokratischer Moloch, und immerhin 45 Prozent stimmen der Aussage zu, die EU sei undemokratisch. Dass sie den Frieden garantiere, finden nach einem abrupten Rückgang vor zwei Jahren nur noch 54 Prozent. Gleichzeitig gehen lediglich 41 Prozent davon aus, dass die EU stärker auf die Schweiz angewiesen sei als umgekehrt. 78 Prozent vertreten die gegenteilige These.
Der EWR als erstaunliche Alternative
Entscheidend für die Zukunft der Beziehungen zur EU sind jedoch auf Schweizer Seite keine Volksbefragungen, sondern Volksabstimmungen. Der Bundesrat will die Vernehmlassung zum Vertragspaket noch vor den Sommerferien eröffnen, Anfang nächsten Jahres dürfte er das Geschäft ins Parlament bringen. Mit der finalen Abstimmung aber ist wohl frühestens im Jahr 2028 zu rechnen. Irgendwann dazwischen dürfte noch die neuste Zuwanderungsinitiative der SVP an die Urne kommen, die mit der Personenfreizügigkeit das gesamte bilaterale Verhältnis infrage stellt.
Eine der grossen Fragen in den bevorstehenden Diskussionen wird jene nach dem «Plan B» sein: Wenn auch dieser Anlauf zur Fortsetzung des bilateralen Wegs scheitert – es wäre bereits der zweite –, wie soll es dann weitergehen? Auch dazu liefert die Umfrage von GfS Bern Antworten. Das Fazit ist jedoch ernüchternd: Die Bevölkerung ist in ihrer Mehrheit ähnlich orientierungslos wie die Politik.
Lediglich der Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) wäre demnach mit 52 Prozent knapp mehrheitsfähig. Hingegen würde, wenn man noch einmal auf der grünen Wiese anfangen müsste, das Konstrukt der Bilateralen laut diesem Teil der Umfrage keine Mehrheit finden. Dieses Ergebnis kontrastiert nicht nur mit der höheren Zustimmung zum vorliegenden Verhandlungspaket gemäss derselben Befragung.
Es ist noch aus einem zweiten Grund nicht leicht nachvollziehbar: Mit dem Beitritt zum EWR würde die Schweiz einen deutlich grösseren Integrationsschritt machen als mit den bilateralen Verträgen, die heute auf dem Tisch liegen. Bei wichtigen Fragen zu Themen wie Zuwanderung oder staatliche Beihilfen gibt es im EWR weniger Ausnahmen und Absicherungen, als die Schweizer Unterhändler sie nun mit der EU vereinbart haben.