Lange machten Anleger einen weiten Bogen um Europa. Das hat sich Anfang Jahr geändert. Inzwischen erholt sich sogar die Gemeinschaftswährung, was die Schweizerische Nationalbank mit Erleichterung zur Kenntnis nehmen dürfte.
Europa ist zurück. Das zeigt sich nicht nur an den Aktienmärkten, wo die europäischen Indizes ihre US-Pendants seit Beginn des Jahres hinter sich lassen, sondern auch am Devisenmarkt. Der Euro, lange das hässliche Entlein unter den Valuten, strebt seit Anfang März aufwärts. Bewegte sich der Dollar noch vor kurzem in Richtung Parität, kostet die Gemeinschaftswährung inzwischen wieder 1.09 $ und damit so viel wie vor der erneuten Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten. Auch zum Franken hat sie zugelegt.
Geht es nach den Experten, ist der Höhenflug des Euros noch nicht vorbei. «Die Lockerung der Fiskalpolitik in Europa ist ein Wendepunkt», schreiben die Analysten von BNP Paribas. Daniel Hartmann von Bantleon pflichtet bei: «Wir erleben nicht nur in der Geopolitik, sondern auch in der Asset Allocation eine Zeitenwende.» Dank der riesigen Fiskalpakete, die in Deutschland und der Europäischen Union geschnürt wurden, «hellen sich die hiesigen Wachstumsaussichten auf, nachdem bis vor kurzem ein kaum absehbares Ende der Stagnation befürchtet wurde», sagt der Chefökonom des deutsch-schweizerischen Vermögensverwalters.
Politische Börsen haben keine kurzen Beine mehr
Gleichzeitig trüben sich die Perspektiven in den USA ein. «Statt wie bei der Wahl befürchtet das Fiskaldefizit aufzublähen, streicht Trumps rechte Hand Elon Musk derzeit die Staatsausgaben zusammen», fährt Hartmann fort. Die restriktivere Gangart sorge zusammen mit der erratischen Zollpolitik des neuen Präsidenten «für eine Abkühlung der US-Wirtschaft, die nach der langen Expansion allerdings auch überfällig war».
Jürg Lutz vom Schweizer Vermögensverwalter PK Assets pflichtet Hartmann bei. «In den USA stehen die Zeichen auf Fiskalkonsolidierung und Stagflation, in Europa auf einen durch expansive Fiskalpolitik getriebenen Boom», sagt der Anleihenspezialist. «Politische Börsen haben definitiv keine kurzen Beine mehr, die neue Welt wird Bestand haben.» Angst, dass die deutsche Politik ihr Veto gegen das vom designierten Kanzler Friedrich Merz geschnürte Paket einlegen könnte, hat er keine.
«Europa war schon immer gut im Geldausgeben, und das wird auch so bleiben», ist er überzeugt. Wegen des drohenden sicherheitspolitischen Alleingangs werde Deutschland seine Sparsamkeit überdenken und sich dem Rest des Kontinents anschliessen. «Das bedeutet aber auch, dass der Zinstrend in Europa neu nach oben zeigt, während die Treasury-Renditen in den USA eher seitwärts tendieren werden.» Der Zinsvorteil der USA engt sich also zunehmend ein, was den Euro stärkt.
Europäische Renditen ziehen deutlich an
Das zeigt sich an den Renditen zehnjähriger Staatsanleihen, die in der Eurozone und der Schweiz fast auf 52-Wochen-Hoch stehen, während sie in den USA von der im Januar erreichten Spitze bei 4,8% auf 4,3% gefallen sind. «Es ist nicht unplausibel, dass die Renditen zehnjähriger deutscher Bundesanleihen in zwei Jahren näher bei 4% notieren», schreiben die Ökonomen von BNP Paribas. Derzeit sind es 2,8%. Mit ähnlichen Werten rechnet auch Hartmann, der das deutsche Nominalwachstum neu auf 3,5 bis 4% veranschlagt, was in etwa der fairen Verzinsung von Bundesanleihen entspreche. Damit wäre die Zinsdifferenz zu Treasuries praktisch eingedampft.
Die unterschiedlichen Wachstumsgeschwindigkeiten schlagen sich auch in der Geldpolitik nieder. Dank der besseren Wachstumsaussichten und der deshalb anziehenden Teuerungsgefahr dürfte die Europäische Zentralbank von allzu starken Zinssenkungen abrücken. «Bis vor kurzem wurde erwartet, dass die EZB die Zinsen bis 1,5% kürzt, während die US-Notenbank dank einer rund laufenden Wirtschaft und einem starken Dollar höchstens noch eine Senkung vornimmt», sagt Hartmann.
Nun stünden die Chancen gut, dass die EZB den Leitsatz nicht unter 2% und vielleicht sogar «nur» auf 2,25% drücke, während in den USA für dieses Jahr drei Zinssenkungen erwartet würden. Geht es nach den Ökonomen von BNP Paribas, könnte die EZB die Zinsen 2026 sogar anheben, während sie in den USA niedrig bleiben.
Zinsdifferenz schrumpft auch nach Abzug der Inflation
Die abnehmende Attraktivität der USA zeigt sich auch bei den Realzinsen, also den Zinsen nach Abzug der Inflation, wo sich die Schere zu Europa ebenfalls langsam schliesst (vgl. Grafik). «Gleichzeitig ist der Dollar gemessen am inflationsbereinigten Wechselkurs über- und der Euro fair bewertet», sagt Lutz. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich der Euro weiter verteuere, sei deshalb gross. Das gelte umso mehr, als nach der jahrelangen Schwächephase kaum noch jemand in der Gemeinschaftswährung investiert sei. Anleger hätten nicht nur europäische Aktien gemieden, sondern auch Euroanleihen, «die einzig von den Banken gehalten werden».
Konsequenterweise hat Lutz seine Europositionen aufgestockt. «Wir haben zum ersten Mal seit fünf Jahren in Euro denominierte deutsche Bundesanleihen mit kurzer Laufzeit gekauft», sagt der Anleihenspezialist, der wegen ihrer Instabilität sonst einen grossen Bogen um die Gemeinschaftswährung macht. Die Papiere seien primär eine Wette auf einen weiter anziehenden Euro. Dank der kurzen Laufzeit sei das Risiko von Kursverlusten bei einem weiteren Zinsanstieg gering.
«Diese Wette ist allerdings taktisch motiviert», gibt Lutz zu bedenken. Mittelfristig sei die Gefahr gross, dass Europa die aufgenommenen Gelder einmal mehr verschwende, statt sie produktiv zu investieren. «Die so geschaffenen Probleme werden allerdings erst in ein paar Jahren akut und kümmern den Markt derzeit nicht.» In der kurzen Frist dürften die besseren Wachstumsaussichten, die sinkende Zinsdifferenz zu US-Papieren und Kapitalflüsse in den Euro im Vordergrund stehen. Frankenanleihen zieht Lutz in Betracht, wenn die Renditen zehnjähriger «Eidgenossen» über 1% steigen. «Angesichts der kaum vorhandenen Inflationsgefahr in der Schweiz wäre das eine attraktive Verzinsung.»
Hartmann hat wegen der erwarteten Wachstumsaufhellung die Allokation in europäischen Aktien aufgestockt und die US-Aktienquote auf «Untergewichten» herabgesetzt. Bei den Bonds ist es gerade umgekehrt, da präferiert er die USA gegenüber Europa, da die Zinsen auf dem Alten Kontinent stärker steigen dürften als in den USA – und deshalb bei Anleihen Kursverluste drohen – und Bonds in den USA vorderhand weiterhin höher rentieren als hiesige Papiere.
Euro könnte zum Franken auf Parität steigen
Die besseren Aussichten für den Euro dürften auch die Schweizerische Nationalbank (SNB) freuen, die angesichts der drohenden EZB-Zinssenkungen vor kurzem gar die Wiedereinführung von Negativzinsen in Betracht gezogen hatte. Das ist heute passé. «Zuerst wurden die Negativzinsen ausgepreist, dann die Nullzinsen, und inzwischen deuten die Futures auf ein Leitzinstief bei 0,2% hin», sagt Lutz.
Er würde gar begrüssen, wenn die SNB bei ihrem Treffen am morgigen Donnerstag keinen Zinsschritt mehr vornehmen und den Leitzins bei 0,5% belassen würde, «doch da die EZB die Zinsen nochmals gesenkt hat, dürfte die SNB nachziehen und den Leitzins um 25 Basispunkte kürzen». Bei 0,25% sei aber Schluss.
Das sieht auch Hartmann so. Er kann sich vorstellen, dass der Euro zum Franken zumindest temporär auf Parität steigt, weil die Qualität des Frankens als sicherer Hafen dank der abebbenden Krise in Europa derzeit weniger gefragt sei (vgl. Grafik). Zum Dollar dürfte der Franken aber stark bleiben, da die Zinsen auch hierzulande steigen.
Sorgen, dass die höheren Zinsen das Wachstum in der bisher eher fragilen Eurozone abwürgen, machen sich weder Lutz noch Hartmann. «Solange die Zinsen wegen der besseren Aussichten steigen und nicht wegen zunehmender Inflationssorgen, sind die höheren Sätze kein Problem», sagt Lutz. Hartmann ist überzeugt, dass der riesige Fiskalimpuls den Zinsanstieg mehr als kompensieren wird. «Zudem engen sich die Risikoaufschläge für Unternehmensanleihen derzeit ein, was den Zinsanstieg für die Unternehmen abfedert.» Dazu kämen weitere zu erwartende Beschlüsse der neuen deutschen Bundesregierung wie Bürokratieabbau, Steuerreform oder schnellere Genehmigungsverfahren, die das Wachstum ebenfalls unterstützen dürften.
Gefahr, dass die Gelder verpuffen, ist nicht gebannt
Doch auch Hartmann sorgt sich, dass die gesprochenen Gelder dereinst verpuffen könnten. «Nur die Verschuldung hochfahren und hoffen, es werde alles gut, ist das falsche Rezept», warnt er. Irgendwann werde die Rechnung für die höhere Verschuldung präsentiert, sollten die Mittel nicht wachstumsfördernd investiert werden und die Zinsen steigen. Dann drohe eine Staatsschuldenkrise.
Sorgen, woher die Bau- und die Rüstungsarbeiter kommen sollen, macht sich Hartmann hingegen keine. «Rüstungsunternehmen wie Rheinmetall werden die Kapazitäten aufstocken, wenn langfristige Aufträge gesprochen werden», sagt er. Zudem steckten andere Bereiche wie die Autoindustrie in der Krise, was es Rüstungsgesellschaften vereinfache, Mitarbeiter anzuwerben. In den Fokus rücke auch eine gezielte Zuwanderung für Fachkräfte.
Mar-a-Lago Accord würde Dollar zusätzlich belasten
In den meisten Prognosen nicht enthalten ist die Gefahr einer grösseren Dollarabwertung im Rahmen eines Mar-a-Lago Accord, den Vertreter der Trump-Regierung vorbereiten sollen. In Anlehnung an den Plaza Accord von 1985 sollen die wichtigsten Handelspartner zu einer konzertierten Aufwertung ihrer Währungen zum Dollar verleitet werden. Zudem soll ausländischen Gläubigern eine Gebühr für das Halten von US-Staatsanleihen auferlegt werden. «Eine massive Abwertung ist nicht unser Basisszenario, wachsam sind wir aber allemal», warnt Lutz. Nach dem Plaza-Abkommen in den Achtzigerjahren habe sich der Dollar halbiert.
Mar-a-Lago hin oder her: Nachdem der Greenback noch vor kurzem wie der klare Gewinner der erneuten Trump-Präsidentschaft ausgesehen hat, stiehlt ihm der Euro plötzlich die Show. Die nächsten Monate könnten durchaus der Gemeinschaftswährung gehören. Allerdings ist auch bei ihr nicht alles Gold, was glänzt. Über kurz oder derzeit wohl eher etwas länger dürften weder der Euro noch der Dollar dem Franken das Wasser reichen können.