Die «MAGA»-Politik von Donald Trump könnte eine «MEGA»-Welle anstossen: Make Europe Great Again. Die Kapitalmärkte finden Gefallen an einer wachstumsfördernden Politik in Europa. Davon profitiert auch der Schweizer Aktienmarkt.
Nüchtern betrachtet steht fest: Die gegenwärtigen wirtschaftspolitischen und geopolitischen Umwälzungen bleiben nicht ohne Kollateralschäden. Die ersten Monate des Jahres 2025 haben es in sich. Die US-Regierung unter Donald Trump prescht von einem Thema zum nächsten vor – vieles davon wurde im Vorfeld unmissverständlich angekündigt.
Und doch zeigen sich Anleger wie Kommentatoren überrascht von der Wucht der politischen Veränderungen. Die Verunsicherung ist spürbar. Die Geräuschkulisse erweist sich als deutlich schwieriger zu ignorieren, als es viele Marktteilnehmer noch vor wenigen Monaten erwartet hätten.
Europas unterschätztes Potenzial
Europa verfügt über alle Voraussetzungen, um auch im 21. Jahrhundert eine bedeutende globale Rolle zu spielen. In seinem geopolitischen «Portfolio» vereint es kulturelle, ökonomische, politische und militärische Attraktivität. Das gegenwärtige Zusammenrücken der europäischen Staaten ist unübersehbar. Das Weimarer Dreieck – Paris, Berlin, Warschau – formiert sich überraschend zügig neu und wird ergänzt durch London und Rom.
Die vergangenen Wochen haben gezeigt, dass Trumps aggressive Vorgehensweise unerwartete Nebeneffekte zeigt. Seine «America First»-Politik treibt Europa notgedrungen in eine neue Richtung. MAGA – «Make America Great Again» – könnte so zum Türöffner für MEGA: «Make Europe Great Again» werden.
Die sich nach der Schelte Trumps und J.D. Vances gegen Selenski formierende «Koalition der Willigen» könnte den ersten Schritt in Richtung einer neuen institutionellen Struktur der Europäischen Union markieren. Politologen wie Herfried Münkler fordern seit Jahren ein «Europa der konzentrischen Kreise»: eine Struktur, in der Staaten je nach Themengebiet enger zusammenarbeiten, ohne dass alle Länder gleichermassen involviert sein müssen.
Pflichten und Rechte wären nicht mehr zwingend für alle gleich ausgestaltet. Unterschiedliche Geschwindigkeiten, Beiträge und Mitwirkung auf verschiedenen Ebenen könnten eine Lösung sein. Das würde Europa in Bereichen wie Finanzen, Verteidigung, Forschung & Entwicklung sowie Migration zu neuer Handlungsfähigkeit verhelfen. Zugleich wäre es Querschlägern wie Viktor Orban nicht länger möglich, durch ein Vetorecht mehrheitsfähige Entscheidungen zu blockieren.
Europa hat die Chance, sich in einer multipolaren Welt zu behaupten. Ein nun entschlossenes, geeintes Auftreten könnte signalisieren, dass sich ein Angriff – egal welcher Art – für potenzielle Aggressoren nicht lohnt.
Diese Zeitenwende ist eine geopolitische und wirtschaftliche Chance, die Europa nur selten hatte.
Aufrüstung: Chance und Gefahr
Die Erhöhung der Verteidigungsausgaben entfaltet nachweislich expansive Effekte auf das Wirtschaftswachstum. Einer aktuellen Studie des Kieler Instituts für Weltwirtschaft zufolge könnte das europäische Bruttoinlandprodukt um 0,9 bis 1,5% steigen, sollte die Verteidigungsquote von derzeit 2 auf 3,5% des BIP angehoben werden. Untersuchungen bestätigen zudem, dass kurzfristig kein gravierender Zielkonflikt zwischen Verteidigungsausgaben und privatem Konsum ausgemacht werden kann. Damit dies auch langfristig so bleibt, spielen insbesondere technologische Spillover-Effekte eine entscheidende Rolle.
Die Militärforschung hat zudem wiederholt Innovationen hervorgebracht, die auch in der Privatwirtschaft eine transformative Wirkung entfalteten. Der Draghi-Report hebt die Bedeutung von Investitionen in Forschung und Entwicklung als Schlüsselfaktor für die Steigerung der europäischen Produktivität hervor.
Das US-Unternehmen Palantir dient als anschauliches Beispiel: Technologien, die ursprünglich für militärische Zwecke entwickelt wurden, finden längst auch im kommerziellen Bereich Anwendung. Die KI-gestützten Softwarelösungen des Unternehmens ermöglichen es, innerhalb weniger Minuten aus einer Vielzahl von Datenquellen optimierte Handlungsoptionen abzuleiten. Bei Naturkatastrophen zum Beispiel erhalten Unternehmen Informationen über betroffene Kunden oder Lieferanten, mögliche nutzbare Ausweichrouten für die Logistik, Substitutionsmöglichkeiten von Transportmitteln, Folgen auf Kostenrechnung und Cashflow oder Szenario-Analysen zu Reaktionen von Wettbewerbern.
Trotz dieser positiven Impulse bleibt Vorsicht geboten: Aufrüstung kann ebenso zur Stabilisierung wie zur Eskalation geopolitischer Spannungen beitragen. Die Entwicklung vor dem Ersten Weltkrieg zeigt exemplarisch, dass militärische Hochrüstung auch destabilisierende Effekte entfalten kann. Der Historiker Christopher Clark beschreibt in seinem Werk «Die Schlafwandler» eindrucksvoll, wie die europäischen Akteure jener Zeit in die Katastrophe taumelten.
Militärausgaben sind letztlich eine Abwägung zwischen Sicherheit und wirtschaftlicher Effizienz. Institutionen, die sich mit Verteidigung befassen, müssen nachweisen, dass ihre Mittel effizient und zielgerichtet eingesetzt werden. Das gilt auch für Infrastrukturausgaben. Für die Regierung von Bundeskanzler Merz in Deutschland wird es entscheidend sein, die zusätzlichen Haushaltsmittel effizient einzusetzen. Nur ein Abbau von Bürokratie und eine Reduktion von Regulierung werden es ermöglichen, das volle Potenzial der angekündigten Investitionen zu heben und die neuen Schulden wirtschaftlich tragfähig zu machen.
Anleger fokussieren: Trittbrettfahren mit europäischer Dynamik – inklusive Absicherung
Die Kapitalmärkte begrüssen die Abkehr von der dogmatischen Sparpolitik in Deutschland. Die Aufweichung der zu starr konzipierten Schuldenbremse wird von vielen Ökonomen als überfällig betrachtet. Die gezielte Unterscheidung zwischen laufenden Ausgaben des Staates und zukunftsgerichteten Investitionen ist im geopolitischen Kontext entscheidend: Infrastruktur, Verteidigung, Bildung und Digitalisierung sind nicht nur Kostenfaktoren, sondern das Fundament staatlicher Resilienz und Wettbewerbsfähigkeit.
Allerdings reagieren auch die Zinsen auf die angekündigte Ausgabenpolitik: Die Bondmärkte preisen bereits höhere Finanzierungskosten ein, da sie eine deutlich steigende Verschuldung Europas erwarten.
Für Anleger bleibt der Blick auf die innovative Schweizer Unternehmenslandschaft spannend. Viele kleine und mittelgrosse Unternehmen sind eng mit europäischen Kunden verzahnt und könnten von den Investitionsprogrammen in Infrastruktur und Rüstung profitieren. Besonders Unternehmen aus der Bauwirtschaft, der Industrieautomation und der Energieeffizienz stehen im Zentrum dieser Entwicklung. Etwas Rückenwind könnte es auch von der Währungsfront geben: Der Euro hat sich jüngst aufgewertet, was den Schweizer Exporteuren etwas Entlastung gibt.
Sollten die Europäer es mit den neuen Haushaltsdefiziten allerdings übertreiben, Kapital abermals in ineffiziente Strukturen lenken und erste Anzeichen einer erneuten Schuldenkrise aufflackern, dürfte der Franken rasch wieder an Stärke gewinnen. Für Anleger kann daher ein Übergewicht in Schweizer Werten eine doppelte Funktion übernehmen: Partizipation an Europas Erneuerung – und gleichzeitig Absicherung gegen mögliche Rückschläge.
Tristan Bregy
Tristan Bregy war im Alter von 29 Jahren Gründer des unabhängigen Vermögensverwalters Valère Consulting in Zürich und später Gründungspartner der Valeria Capital AG in Liechtenstein, einem europäischen Asset-Manager. Für Letzteren verwaltet er eine aktive Multi-Asset Fondsstrategie. Mit einem Master-Abschluss in Applied History und einer internationalen Qualifikation als Finanzanalytiker (CIIA) bringt er ein Verständnis der modernen Geschichtswissenschaft verbunden mit wirtschaftlichen Zusammenhängen in seine Arbeit ein.