Alberne Hüte, übergrosse Taschen, infantiles Dekor: Warum gerade so viele Erwachsene Lust auf kindlich-verspielte Mode haben.
Schon vor Jahren waren die ersten Anzeichen da. Es begann im Kleinen, also bei den Accessoires. Plötzlich galt es als erstrebenswert, sich einen Schlüsselanhänger an seine Tasche zu hängen, der keinen anderen Zweck hatte, als zu dekorieren: ein kleines Teufelchen von Prada vielleicht. Man wickelte sich Plastikkettchen um Hals und Handgelenke, die eher nach Kaugummiautomat aussahen denn nach Juwelier. Und zeigte so doch irgendwie mehr Persönlichkeit als mit einer asymmetrisch geschnittenen Bluse.
Auch auf grosse Begeisterung stiessen die überbordenden Retro-Kleider von Alessandro Michele bei Gucci von 2015 bis 2022, die Körperteilen nachempfundenen surrealistischen Schmuckstücke von Daniel Roseberry für Schiaparelli 2019 und natürlich die Taubentasche von JW Anderson, die 2022 lanciert wurde und zu der sich mittlerweile eine ganze Menagerie an Clutches gesellt hat, vom Igel bis zum Tortenstück.
Clutch oder Spielzeug?
Die Freude über solche Produkte zeigte, wie ausgehungert viele waren, voller Sehnsucht nach Spass, Ironie, Übertreibung. Auch Anna Wintour, Chefredaktorin der amerikanischen «Vogue», erahnte schon früh das Bedürfnis nach mehr Spielraum: Für die Met-Gala, eines der wichtigsten Modeereignisse des Jahres, organisiert mit dem Metropolitan Museum of Art’s Costume Institute in New York, rief sie 2019 das Motto «Camp» aus.
Bei diesem Begriff geht es nicht ums Zelten. Vielmehr wird das Wort seit einem Essay der Autorin Susan Sontag von 1964 genutzt, um eine künstliche, ironische und übertrieben extravagante Ästhetik zu beschreiben: Der Schauspieler Jared Leto trug eine Nachbildung seines eigenen Kopfes zu einem roten Gewand von Gucci. Die Musikerin Katy Perry trat einmal als Kronleuchter, einmal als Hamburger in Moschino auf. Der Schauspieler Ezra Miller trug unter einer Maske ein exzentrisches Make-up, also gewissermassen eine weitere Maske. Camp kommt bewusst nicht nur verspielt-albern daher; der Stil beinhaltet nostalgische, aber auch gesellschaftskritische Momente.
Alberne Hausschuhe für die Strasse
Genau diese Elemente finden sich nun auf den Laufstegen für den Frühling und den Sommer wieder. Da wäre, natürlich, Moschino, das Label, das nie aufgehört hat, skurril die Wirklichkeit zu verfremden; da schritt ein Model über den Laufsteg, das eine Krone trägt, die an jene erinnert, die Kinder an ihren Geburtstagen tragen.
Marc Jacobs, ebenfalls eine Marke, die sich gerne ironisch-verspielt gibt, setzt auf übergrosse Kleider, die aussehen wie aus Mutters oder Vaters Kleiderschrank, ebenso wie Thom Browne; auch wenn letzteres Label das Thema mehr im Sinne der klassischen Schneiderkunst angeht. Bottega Veneta zeigte ein elegantes Clownkostüm und eine übergrosse Tasche. Coach wiederum Draussenschuhe, die wie hundeförmige Hausschuhe für Kinder aussehen.
Und bei Keburia trugen die Models Jackenberge spazieren. Der Kontrast wirkt umso grösser, weil die Mode auf der anderen Seite des Spektrums nun über Jahre so reduziert daherkam wie schon lange nicht. Selbst jene Modemenschen, die schon in den 1990er Jahren Fans von Jil Sander und Calvin Klein waren, konnten sich über die schlichten Unisex-Schnitte und reduzierten Farbpaletten vieler Marken nur wundern.
Je weniger, desto besser scheint vorbei
Bestes Beispiel dafür: die Idee einer Capsule-Wardrobe, also eine möglichst reduzierte Anzahl an Kleidungsstücken bestmöglicher Qualität in gedeckten Farben, die für verschiedene Anlässe verschieden kombiniert werden können. Egal, ob man sich aus ästhetischen, Zeit- oder Umweltschutz-Gründen für eine solche entscheidet: je weniger, desto besser. Ebenso in diese Kategorie gehören die Lockdown-geprägten Modeverweigerer, die sich in zurückhaltenden Sportklamotten aus teuren Materialien durch den Alltag bewegen. Und jene, die durch edel anmutende Klassiker nach «old money», also altem Reichtum, aussehen wollen.
Interessant auch: Während die Erwachsenenmode so lebendig wird, passiert bei den Kindern das Gegenteil. Sogenannte «sad beige moms» stecken ihre Sprösslinge in gedeckte Farben. Sich bewusst schlicht zu kleiden, gilt schon lange als Zeichen moralischer Überlegenheit. Dafür gibt es diverse Beispiele in der Modegeschichte.
Mönche, Nonnen, aber auch Anhänger anderer Religionen entsagen bewusst Schmuck und Tand. Die französischen Revolutionäre grenzten sich bewusst von der Aristokratie und ihrer luxuriösen Kleidung ab. Die Aufklärung setzte auf Werte wie Funktionalität und Zurückhaltung. Buntes, Kitschiges, Auffälliges gilt bis heute als albern, wird weniger ernst genommen – und gilt als Ablenkung.
In der Schweiz hat man das besonders verinnerlicht: In protestantischen Städten wie Zürich und Genf wurde zur Zeit der Reformation zur Schau gestellter Luxus sogar mit Geld- oder Gefängnis bestraft. Bis heute wirkt diese Zeit nach. Mit dem Aufkommen der Klimabewegung ging es umso mehr darum, wenig, aber hochwertig zu kaufen, das war das neue Statussymbol.
Nostalgische Flucht aus der Jetztzeit
Woher kommt nun diese neue, alte Freude am Infantilen? Sicher hat sie auch mit der gegenwärtig wiederentdeckten Liebe zur 1990er und 2000er Jugendästhetik zu tun; damals flocht sich eine junge Generation Affenschaukeln, hing sich grosse Schnuller um den Hals und trabte mit Chupa-Chups-Lollipops an Partys an: Man lehnte sich gegen die Erwachsenenwelt auf und flüchtete gleichzeitig in eine Zeit, in der man es einfacher hatte, zugleich subtiler und selbstbestimmter.
Es geht weniger um Rebellion – die mit ihren Eltern befreundeten Kinder von heute haben diese weniger nötig. Im gegenwärtigen Konfettiregen aus albernen Schuhen, übergrossen Shirts und komischen Hüten entlädt sich nicht nur die Sehnsucht nach Unbeschwertheit, gepaart mit einer nostalgischen Flucht aus der Misere der Jetztzeit. Vielmehr lehnt man sich auf: Gerade weil die Welt zu düster scheint für gedeckte Farben, setzt man mit Kleidern, die einem selbst und auch anderen ein Lächeln ins Gesicht zaubern, ein Zeichen. So ist man dem Geschehen zumindest nicht wehrlos ausgeliefert.