Die Masern sind zurück – auch in der Schweiz. Die Behörden reagieren mit Massnahmen, die an die Corona-Pandemie erinnern.
Am Dienstagabend vor einer Woche geht bei der Schulleitung der Primarschule Winkel ein alarmierender Anruf des Kantons ein: Die Leiterin des schulärztlichen Dienstes teilt mit, dass es an der Schule einen bestätigten Masernfall gebe. Dies bestätigt der Schulpflegepräsident von Winkel, Julian Leserri, auf Anfrage der NZZ.
Leserri erzählt, was dann geschah: «Wir haben sofort alle zuständigen Lehrpersonen und Eltern informiert. Alle Kinder, welche mit dem betroffenen Kind in der infektiösen Phase Kontakt hatten, mussten sofort in Quarantäne beziehungsweise zu Hause bleiben. Dasselbe galt für die Lehrpersonen.»
Es ist einer der ersten bestätigten Masernfälle an einer Zürcher Schule. Laut dem Volksschulamt mussten seit Ende Oktober bisher drei Klassen kurzzeitig in Quarantäne gehen. Aus den Städten Zürich und Winterthur sind keine Zahlen bekannt.
Insgesamt sind seit Jahresbeginn im Kanton insgesamt 11 Masernfälle gezählt worden, wie die Gesundheitsdirektion mitteilt. Zum Vergleich: 2024 gab es insgesamt 13 Fälle, nur einmal war eine Schule tangiert.
Gemäss einer gut informierten Quelle handelt es sich bei den jüngsten drei Fällen um Kinder im schulpflichtigen Alter. Die Gesundheitsdirektion bestätigt nur, dass sie alle Mitglieder derselben Familie seien.
Am Dienstagnachmittag – eine Woche nach dem Telefonat an die Schule Winkel – hat das Volksschulamt nun eine E-Mail an die Zürcher Schulen versendet mit einer Anleitung, wie sie sich bei einem Masernverdacht verhalten müssen. Der Massnahmenplan sieht vor, dass alle Schülerinnen und Schüler sowie Lehrpersonen der betroffenen Klasse umgehend nach Hause gehen. Dann müssen sie schnellstmöglich – innert drei bis fünf Stunden – ihren Impfausweis fotografieren und einreichen.
Der Schularzt oder die Schulärztin prüft den Ausweis und meldet sich bei den Betroffenen. Kinder und Erwachsene, die nachweisen können, dass sie geimpft sind, gelten als immune Kontaktpersonen. Alle anderen können mittels einer Blutentnahme prüfen lassen, ob sie über Antikörper verfügen – was auch dann der Fall sein kann, wenn sie zu einem früheren Zeitpunkt einmal an Masern erkrankt sind.
Nur in diesen Fällen darf die Quarantäne mit der Erlaubnis des Arztes verlassen werden. All jene Personen, die nicht als immun gelten, müssen zu Hause in Isolation gehen, sofern der erste Kontakt zur erkrankten Person weniger als 72 Stunden her ist. Die Isolation dauert 21 Tage. Für Schulkinder bedeutet dies: Schulausschluss. Es gibt eine Ausnahme, wie das Volksschulamt schreibt: Wer sich nach einem Verdachtsfall innert 72 Stunden impfen lässt, muss nicht isoliert werden.
In der Schule Winkel ging es nicht ohne Isolation – obwohl es zunächst gut aussah.
Der Schulpräsident Julian Leserri erzählt, nach der ersten Meldung sei alles ohne Zwischenfälle und effizient abgelaufen. Am Mittwochmorgen letzter Woche seien alle Kinder und Lehrpersonen zu Hause geblieben. Zudem sei am gleichen Tag die ganze Schule über die Masernfälle informiert worden.
Am Donnerstag konnten alle Kontaktpersonen wieder in die Schule gehen, da sie entweder geimpft waren oder die Masern bereits durchgemacht hatten. Leserri war erleichtert.
Doch ausgestanden war die Sache nicht. Denn in einer anderen Klasse gab es ebenfalls einen Verdachtsfall. Darauf folgte dasselbe Prozedere, alle Betroffenen mussten in Quarantäne gehen und ihren Impfausweis fotografieren. Diesmal war das Ergebnis ein anderes. Leserri sagt, bei mehreren Kontaktpersonen ohne Immunitätsnachweis sei gemäss den Empfehlungen des schulärztlichen Dienstes verordnet worden, dass sie drei Wochen zu Hause bleiben müssen.
Corona-Pandemie war lehrreich
Der Hintergrund solcher Vorsichtsmassnahmen: Masern sind eine hochansteckende Virusinfektion, die via Tröpfchen übertragen wird, etwa durch Husten oder Niesen. Die Krankheit untersteht der Meldepflicht des Bundesamts für Gesundheit (BAG).
Normalerweise klingt eine Maserninfektion ohne bleibende Folgen wieder ab. Manchmal kann eine Erkrankung aber zu schweren Komplikationen führen – im schlimmsten Fall zum Tod. Wie die Gesundheitsdirektion schreibt, sind in der Schweiz derzeit keine schweren Verläufe bekannt.
Während der Corona-Pandemie sind Quarantäne, Isolation und Meldepflicht vielerorts zur Normalität geworden. Darum war die Schule in der Gemeinde Winkel gut auf die neuerliche Ausnahmesituation vorbereitet, wie Julian Leserri sagt. «Alle nicht immunisierten Schüler, die sich in Isolation befinden, gehen weiterhin zur Schule, nur halt im Homeschooling.» Einige hätten sich vielleicht gewünscht, es wäre nicht so, scherzt er – dann hätten sie drei Wochen schulfrei gehabt.
Die Erfahrungen der Corona-Pandemie hatten laut Leserri noch einen anderen positiven Effekt: Akzeptanz. Alle Eltern und Kinder hätten sich an die Quarantäne-Bestimmungen gehalten, niemand habe sich dagegen gewehrt. Deshalb ist er zuversichtlich, dass auch im Fall weiterer Masernfälle an der Schule alles reibungslos laufen werde.
Masern galten in der Schweiz als eliminiert
Seit 2019 galten die Masern in der Schweiz laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) eigentlich als eliminiert. Dank den Massnahmen gegen das Coronavirus konnten sie sich während der Pandemie nicht mehr verbreiten. 2021 wurde in der ganzen Schweiz kein einziger Fall gemeldet. Warum sich die Fälle derzeit wieder häufen, ist laut der Zürcher Gesundheitsdirektion nicht klar. Klar ist gemäss ihr aber: Die Impfung ist das wirksamste Mittel zur Eindämmung.
Die Masernimpfung gilt als sehr gut verträglich und bietet einen nahezu hundertprozentigen Schutz, der lebenslang anhalten soll. Bei einer Durchimpfungsrate der Bevölkerung von 95 Prozent sollte sich das Virus nicht mehr ausbreiten können.
Das Problem ist: Nicht alle Erwachsenen haben die nötige zweite Impfung gemacht. Besonders bei den 40- bis 60-Jährigen gibt es Impflücken. Diese könnten ein Grund für die derzeitigen Masernausbrüche sein.
Häufungen von Masernfällen sind derzeit weltweit zu beobachten. Besonders im Süden der USA breitet sich die Krankheit wieder aus. Bis zum 11. März haben die Behörden über 250 Fälle bestätigt. Beim jüngsten Ausbruch sind zwei Personen gestorben, die mit Masern infiziert waren – ein sechsjähriges Kind und ein erwachsener Mann. Gesundheitsexperten vermuten, dass die niedrige Durchimpfungsrate die Eindämmung des Ausbruchs erschwert. In vielen amerikanischen Gliedstaaten liegt diese unter der kritischen Schwelle von 95 Prozent.