Senad Sakic hat bei der Polizei und in der Politik Karriere gemacht. Mit den Nidwaldner Behörden will er die Bevölkerung einspannen, um ein grausames Verbrechen zu klären.
Es ist der einzige ungeklärte Mord im Kanton Nidwalden. Am 21. September 2014 wurde im Vierwaldstättersee bei Stansstad eine Leiche entdeckt. Die Umstände am Fundort deuteten darauf hin, dass die Frau einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen war. Die Ermittlungen ergaben, dass es sich um eine Prostituierte handelte, die in der Stadt Luzern auf dem Strassenstrich gearbeitet hatte.
Trotz intensiven Untersuchungen konnte bis heute nicht geklärt werden, wer die 36-jährige Frau aus Bulgarien ermordet hatte. Doch der Nidwaldner Kripochef Senad Sakic und der zuständige Staatsanwalt Alexander Vonwil lassen auch mehr als zehn Jahre nach der Tat nicht locker. Sie haben eine Sonderkommission eingesetzt und die rund 5000 Seiten umfassenden Verfahrensakten nochmals durchforstet.
Recherchen im Rotlichtmilieu
Dank modernsten kriminaltechnischen Möglichkeiten ergaben sich neue Ansätze für die Fahndung nach dem Täter. Am kommenden Freitag wollen die Behörden in Stans neue Details zum Cold Case bekanntgeben. Eine wichtige Rolle bei der Aufklärung könnte die Bevölkerung spielen. Allenfalls haben sich neue Anhaltspunkte zum Aussehen des Täters ergeben.
Sakic und Vonwil setzen bei der Fahndung auf eine Fernsehsendung, die einst Kultcharakter hatte, in der Schweiz aber seit über 20 Jahren nicht mehr ausgestrahlt wird. Die ZDF-Sendung «Aktenzeichen XY . . . ungelöst» wird den Fall am 26. März thematisieren. Bereits am 20. März rollt «SRF Dok» den Mord neu auf. Laut einer Medienmitteilung von SRF führen die Recherchen ins Zentralschweizer Rotlichtmilieu, aber auch nach Varna. Aus dieser Stadt in Bulgarien stammt die ermordete Frau, und dort lebt ihre Familie heute noch.
Senad Sakic befasst sich nicht nur beruflich, sondern auch politisch mit dem Fall und den Gefahren für die Prostituierten. Der 46-jährige Kripochef sitzt nämlich als Vertreter der Mitte-Partei auch im Luzerner Stadtparlament. Dort hat er im Oktober 2024 ein Postulat eingereicht, in dem er eine Lösung fordert, damit Sexarbeiterinnen sicher und unter menschenwürdigen Bedingungen arbeiten können.
In seinem Vorstoss erwähnt er das Tötungsdelikt von 2014, das er nun aufklären will. Die Situation auf dem Strassenstrich im Ibach, einem Luzerner Industriegebiet am Rande der Stadt, bezeichnet er «gelinde gesagt als einen Skandal». Immer wieder komme es dort zu Gewaltdelikten bis hin zu Morddrohungen. Es brauche nun endlich eine geeignete Infrastruktur, idealerweise auch eine Umgebung, die zumindest ein gewisses Mass an Kontrolle garantiere.
Sakic weiss, wovon er spricht. Er kennt das Leben auf der Strasse. Sieben Jahre lang war er als Polizist in der Stadt Luzern für das Quartier mit dem höchsten Ausländeranteil zuständig. Bis zu seiner Ernennung zum Chef der Nidwaldner Kriminalpolizei im Jahr 2022 hat er eine klassische Karriere gemacht, wie sie für viele Secondos typisch ist.
Sein Vater war in den 1970er Jahren aus Bosnien in die Schweiz gekommen und eröffnete hier ein Restaurant. Das dafür nötige Wirtepatent erwarb der Sohn Senad, der damals erst 18 Jahre alt war und mitten in einer kaufmännischen Lehre steckte. Zur Polizei kam der zweifache Vater, weil er sich schon immer für Recht und Gerechtigkeit einsetzen wollte, wie er anlässlich seiner Vereidigung als Chef der Kriminalpolizei gegenüber der «Nidwaldner Zeitung» sagte.
Nach elf Jahren in verschiedenen Funktionen bei der Kantonspolizei Luzern wechselte er zur Kantonspolizei Zürich. Dort spezialisierte er sich auf den Bereich Wirtschaftskriminalität, insbesondere die Bekämpfung von missbräuchlichen Konkursen, der sogenannten Konkursreiterei. Parallel dazu studierte er Betriebswirtschaft und Rechtswissenschaften und schloss beide Studien mit dem Master ab.
Trauriger Fang auf der Schlepperroute
Einer breiteren Öffentlichkeit wurde Sakic durch ein Verbrechen bekannt, das im September 2022 Schlagzeilen machte. Damals stoppte die Nidwaldner Kantonspolizei auf der Autobahn bei Hergiswil einen Bus mit 23 Flüchtlingen. Die Männer aus Afghanistan, Syrien, Indien und Bangladesh sollten von einem Schlepper von Norditalien nach Deutschland gebracht werden.
Der Leiter der Kriminalpolizei war bei dieser Aktion selbst anwesend. Die Kontrolle sei nur dem «Instinkt der Beamten» zu verdanken gewesen. Es habe sich um einen Zufallsfund auf einer Schlepperroute gehandelt. Den Zustand der Flüchtlinge beschrieb er in der NZZ so: «Sie waren sehr erschöpft von der entbehrungsreichen Reise.» Sakic ging in den Coop nebenan, um Wasser für die halb verdursteten Migranten zu kaufen.
Der Einstieg in die Politik gelang Sakic im zweiten Anlauf. Nachdem er 2023 mit seiner Kandidatur für den Luzerner Kantonsrat noch gescheitert war, klappte es 2024 mit dem Stadtparlament. Und das, obwohl einige seiner Bekannten seine Wahlchancen als gering eingeschätzt hatten. «Die Rechten wählen dich nicht, weil du ein Jugo bist – die Linken wählen dich nicht, weil du ein Polizist bist. Das musste ich mir von Kollegen anhören», erzählte Sakic während des Wahlkampfs dem Onlineportal «Zentralplus».
Mit der ihm eigenen Hartnäckigkeit hat er sich dennoch durchgesetzt. Nun hofft Sakic, dass diese Tugend und die neuen kriminaltechnischen Möglichkeiten auch im Fall der ermordeten Prostituierten zum Durchbruch führen.