Die französische Malerin Suzanne Valadon war eine Bohémienne im Kreis von Toulouse-Lautrec und Edgar Degas. Ihr bewegtes Leben ist jetzt in einer Pariser Ausstellung zu entdecken.
Ein unglücklicher Sturz vom Trapez bedeutete das Ende ihrer Zirkusdarbietungen. Marie Clémentine Valadon, 1865 geboren und am Montmartre in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen, musste sich notgedrungen umorientieren. Sie nannte sich nun Maria, wie manche Italienerin auf dem Modellmarkt der Place Pigalle, und verdingte sich mit Posen in Ateliers.
Der Maler und Plakatgestalter Henri de Toulouse-Lautrec war nicht der einzige, der sie engagierte. Jean-Jacques Henner, Pierre Puvis de Chavannes oder Pierre-Auguste Renoir malten sie ebenfalls. Allerdings meinte Toulouse-Lautrec, der biblische Vorname Suzanne passe besser zu ihr, weil sie doch von Alten beäugt werde, wenn sie, wie bei ihm, die Hüllen fallen lasse.
Durch ihre Kontakte mit Künstlern besann sie sich ihrer kindlichen Leidenschaft für das Zeichnen und nannte sich jetzt Suzanne Valadon. Zudem machte sie sich, ermutigt von Edgar Degas, an das Anfertigen von Druckgrafik. Der Maler gab nicht selten den Kauz, doch nach einem Blick auf ihre Zeichnungen soll Degas voll des Lobes gesagt haben: «Sie gehören zu uns!» Etwas später wagte sie sich ans Pastellieren, dann an Leinwand, Pinsel und Palette.
Berühmter Sohn Utrillo
Zum romanhaften Bohèmeleben der Autodidaktin gehören auch viele Affären – darunter eine mit Erik Satie, Pianist im Kabarett «Chat Noir» sowie Nachbar in der Rue Cortot, wo sie lange ihr Atelier hatte – und die Nöte einer Mutter. Mit nur achtzehn Jahren gebar sie 1883 Maurice Utrillo, den sie später zum Malen animierte, um ihn vom Trinken abzubringen. Der einigermassen unvorhergesehene Erfolg ihres Sohnes, etwa mit Szenen vom Montmartre, die heute in keinem besseren Museum fehlen, hat ihr Œuvre zumindest international gesehen lange in den Hintergrund treten lassen.
Jetzt zeigt das Centre Pompidou eine erstaunlich umfangreiche Werkschau ihrer Zeichnungen, Druckgrafiken und Gemälde und erlaubt damit generationenübergreifend eine Entdeckung. Die letzte grosse Pariser Valadon-Schau fand 1967 statt. Dabei war die Künstlerin seit den 1890er Jahren mit ihren Bildern besonders in Kreisen der Kreativen, aber auch bei Kritikern, Galeristen und Sammlern zu einer festen Grösse geworden.
Bis zu ihrem Tod 1938 blieb sie dafür bekannt, an figurativer Kunst festgehalten zu haben. Ismen hatte sie weitgehend ignoriert. Eines der Merkmale ihrer Kunst war der Einsatz von oft sehr leuchtenden Farben. Die Kunstgeschichte und ihre Kanonbildung fanden dafür aber zunächst keine Schublade.
Spleenhafte Stoffe
In der Schau wird nun deutlich, was Suzanne Valadon umtrieb und welchen Themen und Motiven sie nachging. In puncto Malerei ergänzen einige Landschaften und Stillleben ihr starkes Interesse an Figurenbildern, Porträts und vor allem Akten. Hier tauchen zwar, neben wenigen anderen Männern, ihr Sohn (als Kind wie auch als Erwachsener) und dessen Freund André Utter auf, den sie heiratete. Doch stehen Frauen im Mittelpunkt ihrer Bildwelten, die, textilfrei oder bekleidet, geradezu spleenhaft von üppigen Mustern umgeben sind: Faltenreiche Tücher und dekorative Stoffe gehören zu fast jedem Gemälde.
Als einst von Alten beäugte «Susanna im Bade» wusste sie diese Frauen ohne Idealisierung noch Voyeurismus respektvoll in Szene zu setzen. Ein Plus der zweihundert Exponate umfassenden Schau sind die eingefügten Bilder von Toulouse-Lautrec oder Degas sowie von ebenso in den letzten Jahren wiederentdeckten Malerinnen wie Juliette Roche, Georgette Agutte, Jacqueline Marval oder Émilie Charmy. Im Dialog oder Kontrast mit diesen Werken wird ein Stück weit ersichtlich, dass Valadon eine nahezu unverwechselbare Handschrift entwickelte. Dazu gehörte eine oft starke Betonung der Konturen.
In unserer Zeit des raschen Applauses, der einst Ausnahmephänomenen vorbehalten war, verwundert es nicht, dass Valadon nun das Etikett einer Pionierin der Moderne angeheftet wird. Ohne Zweifel malte sie eine Reihe einprägsamer, ja erstaunlicher Bilder. Dazu gehört «Adam et Ève» (1909). Das Bild zeigt sie selbst und den viel jüngeren André Utter nackt. Die beiden waren gerade frisch verheiratet, was einen Skandal bedeutete.
Bemerkenswert ist auch «Le Lancement du filet» (1914), die dreifache Ansicht desselben als athletischer Fischer mit Netz, sowie das «Portrait de Mauricia Coquiot» (1915), einer reifen Dame mit Vergangenheit ebenfalls am Zirkus. Schliesslich wäre da ihre wohl bekannteste Komposition: «La Chambre bleue» (1923) mit der Darstellung einer kräftig gebauten, Zigarette rauchenden, wie eine Odaliske in gestreifter Hose unbekümmert auf einem Sofa Ruhenden. Keines dieser Bilder hat allerdings eine Weichenstellung bewirkt und den Verlauf der Avantgarde bestimmt.
Feministische Studien
Suzanne Valadon frappiert mit der Stärke ihrer Zeichnung. Doch als Malerin stösst sie an Grenzen, wie nicht wenige qualitativ enttäuschende Bilder zeigen. So beeinträchtigt der Hang zu starker Ausarbeitung von Reflexen und Schattierungen, besonders auf Hautpartien, die Frische des Entwurfs. Formale Aspekte ihrer Gemälde wurden von feministischen Studien unterbelichtet. Diese haben dafür Valadon in den letzten fünfzig Jahren ins kollektive Bewusstsein zurückgeholt und letztlich auch zu dieser Schau geführt.
Malerei beschränkt sich aber nicht auf tatsächliche und vermeintliche gesellschaftliche Positionen, sondern wird von Komposition, Form, Linie und Farbe mitbestimmt. Inspirationsquelle für Valadons möglicherweise intuitiv entwickelte Synthesen dürfte die Kunst von Émile Bernard, Paul Gauguin und Paul Cézanne gewesen sein, besonders aber Werke der Fauves wie Charles Camoin, Henri Manguin, André Derain und Henri Matisse.
In Lebensfreude mündete das aber nicht: Valadon schuf keine so unbeschwerten Bilder wie die Fauve-Künstler. Ihre Anflüge von Hedonismus, wie ihn Stoffe, Blumen und ein bemerkenswerter Kolorismus vermitteln, kommen nicht immer an gegen eine unbestimmt bleibende Last in ihren Werken. Diese deutet möglicherweise auf Abgründe ihres Umfelds hin, die selbst die starke Persönlichkeit herausgefordert haben dürften, die Suzanne Valadon zweifellos war.
Das wirkt weniger pionierhaft als realitätsnah und menschlich. Der Einblick in das wechselvolle Leben und Werk der Künstlerin ist Gelegenheit, sie zu entdecken oder neu zu betrachten, auf jeden Fall den Blick auf die Moderne zu erweitern.
«Suzanne Valadon», Centre Pompidou, Paris, bis 26. Mai, Kat. 42 Euro.