Der Chef der Freien Wähler wollte die deutschen Rekordschulden eigentlich im Bundesrat blockieren. Dann änderte er seine Meinung. Im Gespräch erklärt er, warum – und greift Friedrich Merz an.
Herr Aiwanger, der scheidende Deutsche Bundestag hat einer Änderung des Grundgesetzes zugestimmt und ein gigantisches neues Schuldenpaket beschlossen. Sie könnten das Ganze im Bundesrat am Freitag unter Umständen noch stoppen. Warum tun Sie es nicht?
Wir können es eben nicht stoppen. Wenn wir das vorhätten, käme es vorher zum Koalitionsbruch. Die anderen Minister der Freien Wähler und ich wären dann nicht mehr Teil der Bayerischen Staatsregierung. Die CSU sässe am Freitag allein im Bundesrat und würde mit Ja stimmen. Und nächste Woche würden im Freistaat die Koalitionsgespräche zwischen CSU und SPD beginnen. Das wollen wir auch im Interesse Bayerns vermeiden.
Markus Söder könnte als CSU-Chef und Ministerpräsident für Bayern mit Ja stimmen, obwohl er noch keine neue Regierungsmehrheit im Landtag hätte?
Ja. Die SPD würde er dafür noch nicht brauchen, erst zum Weiterregieren nachher.
Diese Erkenntnis ist für Sie aber neu, oder? Vor wenigen Tagen haben Sie noch laut darüber nachgedacht, die Grundgesetzänderung zu stoppen, falls es am Freitag auf die Stimmen von Bayern ankommen sollte. Deutsche Landesregierungen, deren Koalitionspartner uneins sind, enthalten sich im Bundesrat.
Die Situation hat sich in den letzten Tagen zugespitzt. Am Schluss stand der Bruch der Koalition im Raum. Damit war für uns Ende Gelände.
Im Netz erhielten Sie erst viel Zuspruch, dann hagelte es Spott. Hubert Aiwanger sei als bayrischer Löwe gesprungen und als Söders Bettvorleger gelandet, hiess es. Können Sie darüber lachen, oder ärgert Sie das?
Ich sage es ganz nüchtern: Das ist realpolitische Realität. Das Wort «real» benutze ich bewusst zwei Mal, weil das, was wir erlebt haben, jede Partei in regelmässigen Abständen erlebt: Man tut aufgrund politischer Zwänge Dinge, die man eigentlich anders sieht oder gerne anders machen würde. Die Grünen haben irgendwann zum ersten Mal einem Kriegseinsatz zugestimmt. Die SPD hat die Hartz-IV-Reformen durchgesetzt. Die Union muss auch jetzt Kröten von Rot-Grün schlucken, sonst kommt sie nicht in die Regierung. Wer überleben will, muss sich in schwierigen Zeiten anpassen können. Wer immer stur geradeaus fährt, fährt irgendwann an einen Baum. Auch das ist verantwortungslos.
Wie gross war der Druck aus den eigenen Reihen?
Das war nicht das Entscheidende. Aber ja, es gibt in Bayern viele Kommunalpolitiker, auch von den Freien Wählern, die gesagt haben: «Wir sind finanziell erledigt, organisiert uns frisches Geld. Woher ihr das Geld nehmt, ist euer Ding.» Dann haben wir den Haushalt des Freistaats Bayern vor der Nase, wo wir auch schon Einsparungen machen mussten, die weh getan haben, und wo es weitere Einsparungen geben wird. Und wir haben Leute auf der Strasse, die demonstrieren und mehr Geld für weniger Arbeit verlangen. Und irgendwann treffen diese Realitäten aufeinander.
Bayern wird am Freitag auf Ihren Wunsch eine Protokollerklärung im Bundesrat abgeben. Was wird der Inhalt sein?
Wir werden fordern, den Reformdruck im Bund aufrechtzuerhalten, beim Bürgergeld und auch bei der Migration. Ein wichtiges Thema ist die Konnexität der Kommunen. Das heisst: Wenn der Bund neue Aufgaben erfindet für die kommunale Ebene, dann muss er auch das Geld dafür zur Verfügung stellen. Dieser Geist geht mit uns Freien Wählern von Bayern aus nach Berlin, wenngleich wir das jetzt leider nicht juristisch einfordern können.
Wozu dann die, mit Verlaub, leeren Worte? Wenn sich der neue Bundestag kommende Woche konstituiert, wird Ihre Erklärung niemanden mehr interessieren.
Nichts davon ist einklagbar, das stimmt. Aber in unserer Erklärung kommt eine politische Sichtweise zum Tragen, mit der wir auf die Arbeit der Bundesregierung schauen wollen und werden. Wenn statt uns Freien Wählern künftig die SPD in der Bayerischen Staatsregierung sässe, dann gäbe es keinen Reformdruck in Richtung Berlin. Dann gäbe es Forderungen nach noch mehr sozialen Wohltaten. Es geht um die richtige Orientierung, um den Reformgeist, der aus Bayern kommt. Wir werden hier die nächsten Jahre auf die Regierungsparteien in Berlin einwirken. Wenn auch in Bayern CSU und SPD zusammen regieren würden, würde das alles verschlimmern.
Eigentlich wollten Sie ja nicht nur Ihren Geist nach Berlin schicken. Ihr Ziel war es, die Freien Wähler erstmals in den Bundestag zu führen. Stattdessen haben Sie Ihr Ergebnis von 2021 unterboten: 1,5 statt 2,4 Prozent. Eine Schlappe. Woran lag’s?
Na ja, es war eben äusserst schwierig für uns. Wir hatten in absoluten Zahlen gar nicht so viel weniger Wähler als vor vier Jahren und als es das prozentuale Ergebnis vermuten lässt. Aber die Wahlbeteiligung war dieses Mal deutlich höher. Es gingen Leute zum Wählen, die noch nie gewählt hatten. Und am Ende gab es die Zuspitzung über das Migrationsthema. Es wurde einfach zu viel AfD gewählt. Aus Frust. Aus vielfach berechtigtem Frust. Aber die Konsequenz ist ein Schuss ins eigene Knie: Die linken Parteien bestimmen weiter, was in Deutschland passiert. Das war immer schon meine Ansage: Je stärker die AfD, umso mehr hat Rot-Grün zu melden. Ein Teufelskreis.
So argumentieren auch CDU und CSU. Aber die Warnungen verpuffen. Laut der jüngsten Wahlumfrage steht die AfD inzwischen bei 23 Prozent, und der Abstand zur Union wird immer kleiner. Wäre es nicht an der Zeit, über andere Mehrheiten nachzudenken und die sogenannte Brandmauer zur AfD infrage zu stellen?
Wir brauchten neben der Union koalitionsfähige bürgerliche Parteien im Bundestag, wie es die Freien Wähler im Wahlkampf propagiert haben. Dann wäre weder die Schuldenbremse geöffnet worden, noch stünde der Klimaschutz im Grundgesetz. Hauptprofiteur der starken AfD ist Rot-Grün.
Das war keine Antwort auf meine Frage. Aber dann schauen wir noch einmal auf den Freitag im Bundesrat. Ob die zusätzlichen Schulden, denen auch Sie nun zustimmen wollen, sinnvoll eingesetzt oder verpulvert werden, wird man erst in vielen Jahren wissen.
Wollen? Nicht anders können. Die nächste Bundesregierung hat künftig grosse Möglichkeiten. Sie kann viel bewegen, wenn sie es richtig macht. Und sie kann mit dem Geld viel Unsinn machen. Wenn ich beispielsweise die Senkung von Steuern und Energiepreisen finanziere, dann kann die Wirtschaft dadurch vielleicht nicht gleich wieder anspringen, aber zumindest nicht noch weiter absacken. Das wäre eine rentable Investition. Wenn ich mit den Schulden aber Wärmedämmung bezahle, dann wird sich nur die Wärmedämmung im Preis erhöhen. Man muss beim Einsatz der Mittel ständig evaluieren, um möglichst wenig Fehler zu machen. Nicht nur die Politik der nächsten Bundesregierung, sondern die der nächsten drei Bundesregierungen wird darüber entscheiden, ob uns diese Schulden ruinieren oder unser Land modernisieren.
Sie sind 54 Jahre alt. Nach den nächsten drei Legislaturperioden könnten Sie noch immer aktiv in der Politik mitmischen.
Dann wäre ich 66 Jahre alt, jünger als Friedrich Merz heute. Lassen wir uns überraschen, was die Zukunft bringt.
Drei Jahre jünger als Herr Merz heute, richtig. Was ich sagen will: Falls die Erneuerung des Landes auf Kredit schiefgeht, falls die Inflation zunimmt und sich noch weniger Deutsche wegen steigender Zinsen ein Eigenheim leisten können, dann wird das auch Ihnen auf die Füsse fallen. Sie stimmen jetzt für diese Schuldenberge, weil Sie Minister bleiben wollen. Für geordnete Staatsfinanzen werden Sie danach nicht mehr glaubhaft eintreten können.
Wir tun es umso mehr! Noch mal: Wenn wir jetzt davonlaufen und das Feld auch in Bayern der SPD überlassen, dann wird alles nicht besser. Glauben Sie mir, wenn ich es könnte, würde ich am Freitag mit Nein stimmen – um den Reformdruck aufrechtzuerhalten. Es wäre besser, wenn die nächste Regierung erst das Bürgergeld kürzen und die Migration in den Griff kriegen und dann gezielt investieren würde. Wenn sie schon vorher über Schulden investieren kann, dann werden echte Reformen sehr viel schwerer durchzusetzen sein. Es kommt aber nicht nur aufs Geld an, sondern auch auf die politischen Akteure in den Ministerien.
Haben Sie ein Beispiel?
Die Union darf das Innenministerium nicht der SPD überlassen, sonst wird das nichts mit der Wende bei der Migration. Das Gleiche gilt für Wirtschaft und Finanzen.
Was sagen Sie zu Herrn Merz? Hat der CDU-Chef und mutmassliche nächste Kanzler die Wähler getäuscht?
Ich habe mir, wie viele andere Menschen auch, in den letzten Wochen die Augen gerieben. Was Merz jetzt macht, ist etwas ganz anderes als das, was er im Wahlkampf angekündigt hat. Entweder hat er es vorher schon vorgehabt und uns alle hinters Licht geführt. Oder er hat von der SPD und den Grünen neue Meinungen eingehaucht bekommen.
Was erwarten Sie von seiner Kanzlerschaft?
Ich hoffe für Deutschland, dass Friedrich Merz uns alle noch positiv überrascht. Alles, was er seit der Wahl getan hat, war eine negative Überraschung.