Damien Brunner ist der vermutlich spektakulärste Schweizer Stürmer seiner Generation in der National League. Bald wird er 38 – und hängt trotzdem noch ein Jahr im EHC Biel an, bei diesem Klub, für dessen Aufstieg und Spielfreude er symbolhaft steht.
Am Sonntagabend gab der EHC Biel die Vertragsverlängerung mit Damien Brunner bekannt. Und ehe das geschah, hielt der Sportchef Martin Steinegger eine kleine Eloge auf den Flügelstürmer. «Er ist für uns in den letzten sechs Jahren mehr als ein Spieler gewesen», sagt Steinegger. Wenn er ihm zuschaue, müsse er daran denken, wie er als Kind selbst auf dem Pausenplatz Hockey gespielt habe. «Er hat sich diese kindliche, fast naive Spielfreude bewahrt, eine ansteckende Unbeschwertheit», sagt Steinegger.
Und es stimmt: Brunner war so etwas wie das Gesicht für das teuflisch schnelle, mitreissende Bieler Offensivhockey unter Antti Törmänen, mit dem der Klub im Frühjahr bis in den Final stürmte. Törmänen gab dem Künstler die Freiheiten und das Vertrauen, von denen dieser wie wenige andere zehrt.
Dass Brunner dem Schweizer Eishockey ein weiteres, vermutlich wirklich finales Jahr erhalten bleibt, ist die beste Nachricht des noch jungen Jahres. Kürzlich veröffentlichte die NZZ eine «Bucket-List» mit Sporttips für 2024. Sie sei an dieser Stelle um den Punkt, Brunner noch einmal live zu bestaunen, erweitert.
Das einseitigste Tauschgeschäft in der Geschichte des Schweizer Eishockeys ermöglichte Brunners Aufstieg
Brunner wird im März 38 Jahre alt, hinter ihm liegen viele bewegte Jahre. Sein Stern ist im Herbst 2008 quasi aus dem Nichts aufgegangen. Er war nie für Junioren-Nationalteams aufgeboten worden und versauerte in Kloten auf der Tribüne. Erst das einseitigste Tauschgeschäft in der Geschichte des Schweizer Eishockeys änderte das: Brunner wurde nach Zug transferiert, im Gegenzug wechselte Thomas Walser nach Kloten.
Walser produzierte für Kloten in 51 Partien sechs Skorerpunkte und beendete seine Karriere zwei Jahre später in der Nationalliga B. Brunner fand im feurigen Trainer Doug Shedden den perfekten Förderer und skorte nach Belieben. 2011/12 wurde er als erster Schweizer seit Guido Lindemann dreissig Jahre zuvor Liga-Topskorer und wechselte darauf in die NHL.
In Nordamerika wurde Brunner nicht glücklich, bei den New Jersey Devils verlor er jene Leichtigkeit, die ihn immer ausgemacht hatte. Die Flucht nach Lugano machte es nicht besser. Er war oft verletzt, haderte mit sich und seinem Körper. Und wurde vom späteren Nationaltrainer Patrick Fischer als Sündenbock vorgeschoben. Der Zwist wurde beigelegt, als Brunner 2021/22 im Spätherbst der Karriere die Zeit zurückdrehte. Fischer wollte ihn kurzfristig sogar für die Olympischen Spiele in Peking aufbieten. Bis er merkte, dass das so spät aufgrund der Covid-Regeln gar nicht möglich war.
In Biel findet Brunner die ersehnte familiäre Atmosphäre
Brunner war in Lugano der teuerste Spieler in der Historie des Schweizer Eishockeys. Aber seinen Bestimmungsort fand er erst in Biel. 2018 landete er dort, obwohl sein Vertrag in Lugano noch nicht zu Ende war. Er verzichtete auf nicht wenig Geld, um den Wechsel zu ermöglichen. Und fand in Biel jene familiäre, ungezwungene Atmosphäre, nach der er sich gesehnt hatte. Inzwischen hat er seine langjährige Partnerin, die Spitzenbeachvolleyballerin Nina Brunner, geheiratet; das Paar will bald eine Familie gründen.
Dass Brunner de facto selbst entscheiden konnte, ob er weitermachen will oder nicht, zeigt sein Ansehen im Klub. Zumal die Organisation vor einem einschneidenden Umbruch steht. Mit Beat Forster (Rücktritt), Luca Hischier (Genf-Servette), Tino Kessler (Davos), Mike Künzle (Zug), Yannick Rathgeb (Gottéron) und Joren van Pottelberghe (Lugano) verabschieden sich zum Saisonende etliche Teamstützen.
Der Aderlass wird nicht abzumildern sein, aber Steinegger sagt, er erwarte, dass die Konsolidierungsphase nur zwei Jahre dauern werde; dann soll die Mannschaft wieder in der Lage sein, Play-off-Serien zu gewinnen. «Mehr Zeit haben wir nicht, die Leute erwarten Erfolge und Resultate», sagt Steinegger. Der Optimismus könnte auch daher rühren, dass es im Sommer «Überraschungstransfers» geben werde, wovon einer, der sich in Biel auskennt, kryptisch spricht. Will heissen: dass Spieler den Weg ins Seeland finden, die anderswo unter Vertrag stehen.
Biel steht vor einem Umbruch
Die veränderte Erwartungshaltung rund um den Klub zeugt davon, wie schnell sich die Zeiten ändern: Zwischen 1990 und 2018 gewann Biel keine einzige Play-off-Serie in der höchsten Liga. Heute wird davon ausgegangen. Einer, der von dieser Entwicklung erzählen kann, ist der sechsfache Meister Forster, der in den letzten Zügen seiner famosen Karriere steht und mit bald 41 inzwischen der älteste Spieler der Liga ist.
Forster wechselte ein Jahr vor Brunner nach Biel, in den ersten Interviews sprach er vom Meistertitel, als der Klub noch Lichtjahre davon entfernt schien. Er sagt: «Ich bin von den Teamkollegen und unserem CEO zusammengestaucht worden. Es hiess: ‹Das kannst du nicht sagen, wir sind hier in Biel.› Und ich dachte: ‹Ja, na und?› Das war eine meiner wichtigsten Aufgaben hier: Das Denken zu verändern, die Mentalität. Wir haben in jeder Hinsicht einen gewaltigen Weg hinter uns.»
Bald wird sich eine neue Mentalität bilden müssen, eine frische Hierarchie auch. Der Wandel ist in erster Linie finanziellen Zwängen geschuldet, in gewisser Weise ist Biel Opfer seines eigenen Erfolgs geworden: Spieler haben sich so vorteilhaft entwickelt, dass sie nun anderswo vergoldet werden. Wobei Steinegger sagt, der Umbruch sei durchaus auch gewollt: «Wir mussten das angehen, bevor es zu spät ist.» Er meint: ehe das Team zu alt und satt ist.
Auf die Finalqualifikation folgte unter dem kauzigen Trainer Matikainen der Absturz auf Platz 8
Schon mit der Trainerwahl versuchte der Sportchef, neue Impulse zu setzen: Auf den feinfühligen Psychologen Törmänen folgte Petri Matikainen, ein ehemaliger Gendarm, der in Finnland schon einmal mit einer Kettensäge in der Kabine auftauchte. Unter Matikainen spielt Biel eine sehr mittelmässige Saison, vor dem letzten Viertel der Qualifikation ist das Team nur im 8. Rang klassiert.
Immer wieder gab es Misstöne und Irritationen, der Stürmer Künzle etwa wäre beinahe vorzeitig nach Zug transferiert worden. Am schwersten wogen anhaltende Verletzungssorgen, die sich aber verflüchtigt haben. Fit wirkt das Kollektiv und bereit für ein letztes Hurra; von den Mannschaften in der unteren Tabellenhälfte dürfte der EHC den unangenehmsten Play-off-Gegner darstellen, an Talent mangelt es in Biel nicht.
Womöglich setzt es noch einmal Energien frei, dass in Biel eine Ära bald zu Ende geht. Schon 2022/23 zogen die Akteure Kraft aus einer speziellen Situation: Sie wollten dem an Krebs erkrankten Törmänen den Titel widmen. Am Ende fehlte nur ein Sieg dazu.
Brunner fehlte im siebenten Spiel in Genf verletzt, auch das sind Facetten seiner Karriere: die anhaltenden gesundheitlichen Schwierigkeiten, die ihn immer wieder aus der Bahn werfen. Und das bisher vergebliche Streben nach einem Titel. Es wäre eine der kitschigeren Geschichten im Schweizer Eishockey der letzten Jahre, sollte er seine Karriere doch noch vollenden können. Dafür muss Biel in diesem Frühjahr seine verlorene offensive Magie wiederfinden. Es ist ein Unterfangen, bei dem es zuträglich ist, den kreativen Freigeist Brunner im Team zu haben. Doch der 4:2-Sieg am Sonntagabend gegen die SCL Tigers brachte den nächsten Dämpfer: Kurz nachdem er zum 1:0 getroffen hatte, fiel Brunner im Startdrittel nach einem Zusammenprall aus. Am Montag wird eine MRI-Untersuchung Aufschluss darüber geben, wie lange er ausfällt.