Die Zollpolitik des US-Präsidenten belastet die heimische Wirtschaft, Anlagekapital wird nach Europa und Asien umgeschichtet. Der chinesische Tech-Sektor meldet sich eindrücklich zurück.
«Kapital wird immer dorthin gehen, wo es willkommen ist, und dort bleiben, wo es gut behandelt wird. (…) Kapital ist nicht nur Geld. Es sind auch Talente und Ideen. Auch sie werden dorthin gehen, wo sie willkommen sind, und dort bleiben, wo sie gut behandelt werden.»
Walter Wriston, amerik. Banker, ehem. CEO und Chairman v. Citicorp (1919–2005)
Es bleibt das wichtigste Thema an den Finanzmärkten im laufenden Jahr: Anlagekapital verlässt die USA und sucht sich attraktivere Orte im Rest der Welt. In Sachen Performance bilden der S&P 500 und das Tech-Barometer Nasdaq 100 im Vergleich der global wichtigsten Indizes seit Ende 2024 die Schlusslichter.
Die monatlich von Bank of America durchgeführte Fondsmanagerumfrage bestätigt das Bild: Die professionellen Investoren bauen ihre Positionen in US-Aktien ab. Grösste Nutzniesser dieser Verlagerung sind die Börsen in Europa. Nach einer mehrjährigen Phase, in der europäische Aktienfonds auf kumulierter Basis kontinuierlich Abflüsse erlitten haben, zeigt die Dynamik nun in die andere Richtung:
Eine Reihe von Argumenten spricht dafür, dass sich dieser Trend fortsetzt – wenngleich selbstverständlich nicht linear, sondern von Pausen und Gegenbewegungen unterbrochen. Das wichtigste Argument für eine Renaissance der Aktienmärkte in Europa – sowie in China, inklusive Hongkong – liegt in der Politik von Donald Trump.
Das dieswöchige «Big Picture» zeigt, weshalb es sich für Investoren weiterhin lohnen dürfte, Kapital in Europa und Asien zu allozieren.
Vor genau 100 Jahren publizierte John Maynard Keynes eine beissende Kritik mit dem Titel «The Economic Consequences of Mr. Churchill». In dem Buch – der Titel war eine Anlehnung an sein Werk «The Economic Consequences of the Peace» von 1919 – rechnete Keynes mit der ökonomischen Torheit des damaligen Schatzkanzlers Winston Churchill ab: Churchills Plan, das Pfund zum vor dem Ersten Weltkrieg gültigen Wechselkurs wieder an den Goldstandard zu binden, stürzte Grossbritanniens Wirtschaft in eine Depression.
Das Muster – eine Politik, die der ökonomischen Vernunft widerspricht und der heimischen Wirtschaft unnötig schadet – spielt sich auch in der Gegenwart mit Donald Trump ab. Seine wirre Zollpolitik, in Kombination mit der kruden Abbauschlacht des «Department of Government Efficiency» (DOGE), schlägt den Konsumenten in den USA zusehends auf die Stimmung. Wie stark, zeigt Torsten Slok, Chefökonom der Private-Equity-Gruppe Apollo, anhand der folgenden fünf Charts, die auf der monatlichen Umfrage der University of Michigan basieren.
Die Konsumentenstimmung im Land sinkt in allen Einkommensgruppen deutlich:
Die Erwartung steigender Arbeitslosigkeit ist so hoch wie letztmals während der Finanzkrise von 2008/09:
Eine rekordhohe Zahl von Konsumenten geht davon aus, dass sich die Bedingungen für Unternehmen verschlechtern werden. Nicht einmal während der Finanzkrise war der Pessimismus grösser:
Die Haushalte in den USA verlieren die Hoffnung auf steigende Einkommen. Letztmals wurden derart tiefe Werte im Frühjahr 2020, während des ersten Covid-Schocks, registriert:
Während die Konsumenten also einerseits eine markante Eintrübung der Konjunktur befürchten, rechnen sie gleichzeitig mit deutlich steigender Inflation, sowohl über die kommenden zwölf Monate (grün) als auch über die kommenden fünf bis zehn Jahre (blau):
Der GDPNow-Echtzeitindikator der Distriktnotenbank Atlanta hat sich nach seinem Absturz von Anfang März leicht erholt, er signalisiert aber immer noch eine empfindliche Abkühlung der US-Konjunktur im ersten Quartal. Das nächste Update des Barometers erscheint am 26. März.
Selbst die US-Notenbank (Fed) attestiert der Politik aus Washington grosses Verunsicherungspotenzial. «Die neue Regierung ist daran, in vier verschiedenen Bereichen bedeutende politische Änderungen vorzunehmen: Handel, Einwanderung, Steuerpolitik und Regulierung», sagte Fed-Chef Jerome Powell am Mittwoch. «Die Unsicherheit um diese Veränderungen und um ihre Auswirkungen auf die Konjunkturaussichten ist gross.»
Wie deutlich Trump die Konsumenten im Land verunsichert, zeigt Marko Papic, Stratege in Diensten der Research-Boutique BCA, anhand der folgenden Grafik. Kein Präsident in den vergangenen 25 Jahren hat in den ersten zwei Monaten nach seinem Amtsantritt einen derart kräftigen Einbruch in der Konsumentenstimmung provoziert wie Trump in seiner zweiten Amtszeit (rote Kurve):
Das kratzt bereits an der Popularität des Präsidenten. Seine Zustimmungsraten in der Bevölkerung sind seit Ende Januar von etwas über 50 auf unter 48% gefallen (dicke, rote Kurve). Dies steht in markantem Gegensatz zu früheren Präsidenten der Republikanischen Partei (linke Grafik, perforierte rote Kurve). Die Geschwindigkeit des Popularitätsschwundes ähnelt der Entwicklung, die Joe Biden nach 2021 erlitten hatte (rechte Grafik, blaue Kurve):
Bis jetzt deutet nichts darauf hin, dass Trump von seinem Kurs abrücken könnte. Im Gegenteil: Der Präsident hat für den 2. April den «Liberation Day» angekündigt, an dem die USA in grossem Stil «reziproke» Importzölle gegen alle Handelspartner verhängen sollen. Trump spricht vom 2. April als dem Tag, an dem der Rest der Welt Amerika wieder Respekt zollen wird.
Nach allen bisherigen Aussagen erachtet die Trump-Regierung auch Mehrwertsteuern als Importbeschränkungen, weshalb spezifisch die europäischen Staaten – inklusive die Schweiz – in sein Visier geraten könnten.
Das führt zu einer ungemütlichen Frage: Kann es sein, dass Trump der Zustand der US-Wirtschaft und damit auch des Aktienmarktes momentan egal ist?
Scott Bessent, Trumps Finanzminister, ist ein populärer Interviewgast in amerikanischen Nachrichtensendern. In den vergangenen Tagen und Wochen benutzte Bessent in seinen Auftritten auffallend oft den Begriff «Detox»: Die US-Wirtschaft müsse durch eine Phase des Entzugs gehen, und dies sei mit Schmerzen verbunden.
Damit signalisiert die Trump-Regierung zwei Dinge. Erstens: Joe Biden hat eine kranke Wirtschaft hinterlassen, die entgiftet werden muss. Eine damit verbundene Konjunkturschwäche ist Biden anzulasten. Und zweitens: Der Aktienmarkt ist Trump bis auf weiteres egal. Die Hoffnung auf einen «Trump Put», wonach der Präsident mit einem Auge auf den S&P 500 blickt und seine Politik mässigt, sobald die Börsen wanken, ist eine Illusion.
Da und dort ist in Marktkommentaren auch die These zu lesen, Bessent und Trump hätten ein Interesse daran, möglichst früh in ihrer Amtszeit eine K0njunkturschwäche oder sogar eine Rezession zu provozieren. Damit stünde die Wirtschaft bis zu den Kongresswahlen im November 2026 bereits wieder im Aufschwung, und zudem würden in der kurzen Frist die Zinsen am Bondmarkt sinken, was Bessent die Aufgabe erleichtert, fällige Staatsanleihen zu refinanzieren.
Doch wenn das tatsächlich der Plan sein sollte – woran wir zweifeln –, dann macht der Bondmarkt Bessent einen Strich durch die Rechnung. Seit seinem Höhepunkt am 19. Februar hat der S&P 500 unter dem Eindruck des «Growth Scare» fast 8% verloren. Im gleichen Zeitraum hat sich die Rendite zehnjähriger Treasury Notes aber «nur» um rund 30 Basispunkte ermässigt und verharrt immer noch über 4,2%. Im dritten Quartal 2024, als die Finanzmärkte letztmals einen Schwächeanfall der US-Wirtschaft befürchteten, sanken die Zehnjahreszinsen auf 3,6%. Von diesem Niveau sind sie heute weit entfernt.
Das ist umso bemerkenswerter, weil Bessent im Zeitraum der vergangenen vier Wochen fast 400 Mrd. $ aus dem Kontokorrent des Finanzministeriums bei der US-Notenbank abgezogen hat. Der Saldo des Treasury General Account (TGA) ist quasi im freien Fall von über 800 auf derzeit 436 Mrd. $ gesunken:
Mit anderen Worten: Das Finanzministerium konnte fast 400 Mrd. $ an Liquidität beziehen, ohne dafür neue Staatsanleihen emittieren zu müssen. Und trotz dieser Entlastung des Bondmarktes ist die Rendite zehnjähriger Treasury Notes im Umfeld eines «Growth Scare», in dessen Rahmen der S&P 500 mehr als 8% verloren hat, nicht unter 4,2% gefallen.
Das ist ein Hinweis darauf, dass Anlagekapital nicht in grossem Stil vom Aktienmarkt in die Sicherheit von Treasuries umgeschichtet wurde, sondern die USA verlassen hat und anderswo investiert wurde.
In diesem Licht ist auch die Entscheidung des Fed zu sehen, sein Programm des Bilanzabbaus (Quantitative Tightening, QT) zu drosseln und fortan nur noch Treasuries im Umfang von 5 Mrd. $ pro Monat – statt wie bisher 25 Mrd. – abzubauen. Das limitiert den Aufwärtsdruck in der Verzinsung langfristiger Staatsanleihen.
Diese Mischung aus schwindendem Konsumentenvertrauen, einer Abkühlung der Konjunkturdynamik, steigenden Inflationserwartungen, hartnäckig trägen Zinsen sowie einer Regierung, der die kurzfristigen wirtschaftlichen Konsequenzen ihrer Politik egal sind, spricht weiterhin gegen eine baldige Erholung des US-Aktienmarktes.
Aber wieso sollten andere Märkte, namentlich Europa und China, in einer besseren Ausgangslage sein, zumal sie auch unter der Zollpolitik von Trump leiden werden?
Das wichtigste Argument liegt in der Fiskalpolitik.
Deutschlands künftiger Bundeskanzler Friedrich Merz hat seinen Plan, die Schuldenbremse zu Gunsten von Investitionen in Rüstung und Infrastruktur aufzuweichen, durch die Legislative gebracht. Beide Parlamentskammern in Berlin haben dem Vorhaben ihren Segen gegeben, der Bundesrat heute Freitag.
Die ordoliberalen Kommentatoren schäumen über und verurteilen die «Schuldenorgie» von Merz. Doch wir sehen es anders. Das Paket ist sinnvoll. Deutschland hat über Jahrzehnte seine Infrastruktur und seine Verteidigung vernachlässigt. Das Potenzial für volkswirtschaftlich sinnvolle Investitionen in die Infrastruktur ist gross. Weshalb eine zu eng definierte, dogmatische Schuldenbremse ökonomisch ohnehin schädlich ist, haben wir hier beschrieben.
Parallel zu Merz hat die EU-Kommission den Weg geebnet, um Rüstungsausgaben von den Fiskalregeln der EU auszunehmen. Die Tragweite dieses Paradigmenwechsels ist aus Investorensicht nicht zu unterschätzen: Die Fiskalpolitik in Europa wird deutlich expansiver, was das Wirtschaftswachstum erhöhen wird. Die Ökonomen der Deutschen Bank passen ihre Wachstumsprognose für Deutschlands Wirtschaft für das kommende Jahr von 1,5 auf 2% an.
Sollten sich die EU-Staaten in den kommenden Jahren sodann endlich einen Ruck geben und die längst überfällige Integration und Reform ihrer Märkte vorantreiben – wie von Enrico Letta sowie von Mario Draghi überzeugend skizziert –, kann Europa noch weiter an Schwung gewinnen.
Das ist, was für die Finanzmärkte zählt: In Europa nimmt die wirtschaftliche Dynamik dank der expansiveren Fiskalpolitik zu, während sie in den USA abnimmt. Das spricht für ein deutlich freundlicheres Umfeld für die Aktienmärkte in Europa – zumal der Bewertungsabschlag gegenüber den USA immer noch gross ist.
Die gleichen Argumente, die für Europa gelten, gelten in leicht unterschiedlicher Form auch für China.
Auch in der Volksrepublik werden die fiskalpolitischen Hebel immer weiter in Richtung Expansion gedreht. Am Nationalen Volkskongress Anfang März wurde eine geplante Erhöhung des Haushaltsdefizits präsentiert, und zu Beginn dieser Woche stellte die Regierung einen 30-Punkte-Plan vor, um den privaten Konsum anzukurbeln. Zwar wurden die dreissig Vorschläge nicht mit konkreten Zahlen untermauert, aber die Symbolik zählt: Alle Regional- und Lokalregierungen erhalten das Signal aus Peking, dass die Stärkung des Konsums jetzt Priorität hat.
Das fügt sich ins Bild ein, das sich seit der «Whatever it Takes»-Politbürositzung von Ende September 2024 entwickelt hat: Die einzelnen Stützungsmassnahmen sind oft schwammig definiert, klein und enttäuschend, doch sie aggregieren sich in der Summe auf eine substanzielle Expansion der Fiskal- und Geldpolitik. Dass die Stimmung in China allmählich drehen könnte, zeigt sich auch am Zinsniveau: Die Rendite zehnjähriger chinesischer Staatsanleihen hat sich in den vergangenen Wochen vom Tiefpunkt von 1,6% gelöst und notiert derzeit auf 1,85%.
Von einer eindeutigen Rückkehr der «Animal Spirits» an den Aktienmärkten kann bisher erst im chinesischen Technologiesektor gesprochen werden. Der MSCI China Tech 100 Index, der Schwergewichte wie Alibaba, Tencent, BYD und Xiaomi umfasst, hat seit Ende 2024 mehr als 28% gewonnen. Der Standardindex CSI 300, der Banken, Versicherungen, Spirituosenhersteller oder Chemiekonzerne zu seinen Schwergewichten zählt, hat sich im gleichen Zeitraum bloss seitwärts entwickelt.
Der «DeepSeek Moment» von Ende Januar hat den Investoren weltweit in Erinnerung gerufen, dass Konzerne wie Alibaba, Tencent oder Baidu führende Namen auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz sind. Kolosse wie Xiaomi und Huawei (nicht kotiert) haben zudem gezeigt, wie sie in der Not selbst Halbleiter auf hohem Niveau entwickeln können, wenn sie von den USA sanktioniert werden.
BYD schliesslich etabliert sich global als Platzhirsch auf dem Gebiet der Elektromobilität – mit Batterien, die sich in fünf Minuten aufladen lassen, autonomen Fahrsystemen und einem Preis-Leistungs-Verhältnis, das Tesla alt aussehen lässt.
Kurzum: «Big Tech China» hat sich eindrücklich zurückgemeldet und belehrt alle Investoren eines Besseren, die China als «uninvestierbar» abgeschrieben hatten. Nicht nur seit Beginn des Jahres, sondern auch im Vergleich über die vergangenen zwölf Monate hat der MSCI China Tech 100 sein amerikanisches Pendant, den Nasdaq 100, weit hinter sich gelassen:
Trotz dieser Aufholjagd ist der MSCI China Tech 100 mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 17 auf Basis der Gewinnschätzungen für die kommenden zwölf Monate immer noch deutlich günstiger bewertet als der Nasdaq 100, der auf ein KGV von 24 kommt.
Auch im Einzelvergleich zeigen sich zwischen den jeweiligen amerikanischen und chinesischen Pendants erhebliche Bewertungsunterschiede: Nimmt man das Verhältnis von Unternehmenswert (Enterprise Value, EV) zum Betriebsgewinn vor Abschreibungen und Goodwill-Amortisationen (Ebitda) zum Massstab, so ist Tesla für 2025 mit einem EV/Ebitda von 43 bewertet. Der chinesische Konkurrent BYD kommt auf knapp 9 und ist damit fast fünfmal günstiger als Tesla.
Alibaba ist auf Basis dieses Bewertungsmasses noch gut 25% günstiger als Amazon, und Baidu bringt weniger als 20% der Bewertung seines amerikanischen Pendants, Alphabet, auf die Waage. Einzig Tencent und Xiaomi sind leicht teurer als ihre direktesten amerikanischen Vergleichswerte Meta und Apple.
Dieser simple Bewertungsvergleich bietet selbstredend nur eine krude Annäherung, doch trotz der deutlichen Überperformance über die vergangenen zwölf Monate können die chinesischen Tech-Aktien noch lange nicht als überbewertet betrachtet werden. Wege, um auf eine Fortsetzung der Renaissance chinesischer Tech-Aktien zu setzen, bieten unter anderen der KraneShares CSI China Internet ETF (New York Stock Exchange, Tickersymbol KWEB) oder der iShares MSCI China Tech UCITS ETF (ISIN: IE000NFR7C63).