Im Frühling greifen wieder viele zum Putzlappen und zum Staubwedel. Eine Aufräumberaterin und eine Psychologin sagen, was es dabei alles zu beachten gilt.
Im Frühling erblüht nicht nur die Natur, auch Häuser und Wohnungen erstrahlen in neuem Glanz – es ist wieder Zeit für einen Frühlingsputz. Es steht viel Arbeit an: Fenster putzen, Staub wischen, Schränke ausmisten und – nicht vergessen – das Entsorgen. Mit jedem aufgeräumten Raum kehrt Ordnung ein – nicht nur in die Wohnung, sondern oft auch ins eigene Denken.
Spätestens seit 2019 die Netflix-Serie mit der Japanerin Marie Kondo erschienen ist, ist klar, dass Aufräumen mehr ist, als einfach Dinge in einen Schrank zu verstauen. Ordnung, Putzen und Aufräumen werden zelebriert. In den sozialen Netzwerken teilt man Tipps und zeigt die aufgeräumte Wohnung. Gerade solche perfekt inszenierten Bilder können aber auch Druck ausüben. Man vergleicht und kommt ins Grübeln ob der eigenen, scheinbar unaufgeräumten Wohnung.
Professionell aufräumen? Auch das geht
Karine Paulon hat sich das Aufräumen zum Beruf gemacht. Sie ist Aufräumcoach und hilft Menschen, Ordnung in ihr Zuhause zu bringen. Aufgewachsen in Neuenburg, lebt sie heute in Thalwil. Paulon hat an der ETH Zürich Biologie studiert und arbeitete danach in der IT-Branche. Vor knapp zehn Jahren, lange vor der Netflix-Serie, merkte sie, dass sie etwas anderes machen wollte. Sie entdeckte das Aufräumen für sich. Heute sagt sie: «Aufräumcoach ist ein sehr dankbarer Job. Es ist ganz anders als in der IT.»
Leute in jedem Alter und aus allen sozialen Schichten wenden sich an Paulon. Sie melden sich, weil sie einen Umzug haben, sich zu Hause nicht wohl fühlen oder merken, dass sie wegen der Unordnung an den Anschlag kommen. Auch bei den Geschlechtern ist das Verhältnis laut Paulon einigermassen ausgeglichen: 40 Prozent ihrer Kunden seien Männer.
Für Paulon ist Aufräumen eine Lebenseinstellung. Das Ziel dabei sei nicht, alles radikal wegzuschmeissen. «Es geht darum, nur die Dinge zu haben, die man wirklich braucht», sagt die Aufräumberaterin. Unnötigen Ballast loszuwerden, macht in ihren Augen das Leben einfacher.
Mit einer guten Ordnung gewinne man Zeit: «Man muss nichts suchen, weil man weiss, wo die Dinge sind», sagt Paulon. Als Beispiel nennt sie die Schere. In vielen Haushalten werde sie oft gesucht, was in ganz üblen Fällen zu Streit führen könne. Sei klar, wo die Schere liegt, könne man sich die Sucherei sparen. «Ordnung gibt einem die Freiheit und die Zeit, zu tun, worauf man Lust hat», sagt Paulon.
Aufräumen, ausmisten und putzen, das macht auch mental etwas mit uns. Nach getaner Arbeit macht sich Genugtuung breit. Man ist richtig froh, wieder in einer sauberen und aufgeräumten Wohnung zu sitzen.
Aufräumen freut das Gehirn
Warum das so ist, weiss Sandra Jankowski. Die Diplom-Psychologin und Dozentin betreibt eine Praxis für Psycho-, Paar- und Familientherapie in der Nähe von Berlin. Sie sagt: «Wenn wir uns ein Ziel setzen, wie beim Putzen und Aufräumen, und es erreicht haben, werden Endorphine ausgeschüttet, und wir fühlen uns gut.» Zusätzlich würden Stresshormone abgebaut, weil man aktiv sei. «Das freut das Gehirn.»
Gute Ordnung führt auch zu mehr Klarheit. «Beim Aufräumen reduzieren wir Reize in unserer Umgebung», sagt Jankowski. Unordnung vergleicht sie mit blinkenden Lichtern an einer Chilbi. Diese würden stören, und man verspüre eine Unruhe. Ein aufgeräumter Keller oder Schreibtisch hingegen vermittle uns ein befreites Gefühl.
Beim Ausmisten müsse man jedoch aufpassen, sagen sowohl die Psychologin Jankowski als auch die Aufräumberaterin Paulon. Zu den Objekten, die man besitze, habe man unbewusste Beziehungen. Man verbindet mit ihnen positive oder nostalgische Erinnerungen. Hier ist es ratsam, die entsprechenden Objekte nicht gleich wegzugeben, sondern sie in einer Erinnerungs- oder Schatzkiste zu parkieren – um vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt nochmals darüber zu entscheiden.
Die Aufräumberaterin Paulon betont, dass es in ihrer Arbeit zwar oft um Gegenstände gehe, im Zentrum jedoch der Mensch stehe. Hat Paulon einen Auftrag bei einer Kundin oder einem Kunden, lässt sie sich erst einmal das Zuhause zeigen. Die Person soll beschreiben, was sie daran gut und was schlecht findet. Dann wird ein Ziel definiert, das am Ende erreicht werden soll.
Chaos im Kleiderschrank
Danach fängt das eigentliche Aufräumen an. Paulon startet meist bei den Kleidern. «Oft ist es hier besonders chaotisch, und es ist ein gutes Beispiel, um zu zeigen, was beim Aufräumen alles möglich ist», sagt sie.
Die Kleider werden aus den Schränken und Kommoden genommen und neu einsortiert. Bei jedem Stück wird geschaut, ob es einen glücklich macht – nur diese Dinge wandern wieder zurück in den Schrank. Den Begriff «glücklich machen» versteht Paulon sehr breit. Das kann etwas sein, was notwendig ist, also einen klaren Zweck erfüllt, wie zum Beispiel eine Schere am richtigen Platz. Es kann etwas Sentimentales sein, ein Geschenk oder ein Erinnerungsstück aus den Ferien. Das Konzept lässt sich aber auch auf Beziehungen oder eben Ferien anwenden: Was einen nicht glücklich macht, entfernt man aus dem Alltag.
Für Paulon ist wichtig, dass sie den Kundinnen und Kunden nichts vorgibt. Sie macht lediglich Vorschläge. «Ich bin eine Leitplanke und ein Motor, damit man nicht zu lange an einzelnen Dingen herumstudiert», beschreibt sie ihre Rolle.
«Das Entsorgen ist ein wichtiger Teil des Prozesses», sagt Paulon. Kann man das Objekt, das man nicht mehr möchte, an jemanden weitergeben oder spenden? Macht das Objekt im Anschluss möglicherweise jemand anderen glücklich, strahlt das auf einen selbst zurück. Aber: «Ab und zu ist ein Verbrennen oder Zerreissen nötig», sagt Paulon. «Auch das ist o. k.»
Bei ihren Terminen begegnet Paulon auch vielen Ängsten. «Ab und zu sind Dinge mit negativen Emotionen verknüpft», sagt sie. Etwa bei Objekten, die mit einem Trauerfall verbunden sind. «Personen haben manchmal auch Angst, etwas wegzugeben, das sie geschenkt bekommen haben», sagt Paulon. Sie fürchteten, die Gefühle der oder des Schenkenden zu verletzen.
Ordnung kann ansteckend sein
Beim Aufräumen gibt es also viele kleine Hürden. Gerade, wenn man nicht allein wohnt. Das kann zu Konflikten führen, weil die allfällige Unordnung unterschiedlich bewertet wird. «Doch oft sind andere Probleme für den Konflikt ausschlaggebend», sagt die Psychologin Sandra Jankowski. Etwa fehlende Wertschätzung oder eine schlechte Aufgabenverteilung.
Um Abhilfe zu schaffen, hilft es laut Jankowski, zu zeigen, dass die vom Partner geleistete Arbeit gesehen und geschätzt werde. Man könne auch verhandeln, wie die Arbeit aufgeteilt wird. «Wenn eine Person zehn Stunden arbeitet, bleibt viel am anderen Partner hängen», sagt Jankowski. «Da muss es einen Ausgleich geben.»
Laut der Aufräumberaterin Karine Paulon lassen sich im Haushalt auch Zonen definieren, in denen jeder Partner selbst Ordnung hält. «Oft ist Ordnung sehr ansteckend», ist Paulon aber überzeugt. Kinder würden die Eltern nachahmen und Partner ihre Partner. «Wenn schon eine Grundordnung herrscht, ist es auch einfacher, zu akzeptieren, wenn etwas herumliegt», sagt sie.
Aber wie gelingt die Aufräumerei? «Es braucht das richtige Ziel», sagt die Psychologin Jankowski. Es dürfe nicht zu klein sein, dann fehle die Motivation. Zu ambitioniert dürfe es aber auch nicht sein, sonst bestehe die Gefahr einer Enttäuschung. «Es ist besser, kleine Schritte zu machen», hält sie fest. Wenn es viel zu tun gibt, bietet es sich an, einen Plan zu erarbeiten und die Aufgabe in viele kleine Schritte zu unterteilen. «Oder man muss sich die eigene Schwäche eingestehen und holt sich Hilfe», sagt Jankowski. «Bei Freunden – oder einem Aufräumcoach.»
Die Aufräumberaterin Paulon sagt: «Wichtig ist, dass man eine Grundordnung hält.» Dinge, die man oft benötigt, brauchen einen prominenten Platz. Schwere Sachen versorgt man am besten tief. Sachen, die man selten braucht, eher oben oder weiter hinten im Schrank. «Stimmt die Grundordnung, dauert auch das Aufräumen nicht lange.»