Schaffhausen muss nochmals wählen. Der Mann, der Thomas Minder aus dem Ständerat verdrängt hatte, hat den falschen Wohnort.
Die Wahl von Simon Stocker als neuer Schaffhauser Ständerat war eine kleine Sensation. Der 42-jährige ehemalige Stadtrat, der erst für die Alternative Liste, später für die SP politisierte, war ausserhalb seines Heimatkantons kaum jemandem bekannt. Dies im Gegensatz zum Favoriten: Thomas Minder. Der parteilose Thomas Minder, der sich später der SVP-Fraktion anschloss, vertrat seinen Kanton seit 2011 in Bern. Im Gegensatz zu Stocker ist der Eigentümer der Kosmetikfirma Trybol eine nationale Berühmtheit. Landesweit bekannt wurde er 2008, als er die eidgenössische Volksinitiative «gegen die Abzockerei» lancierte, die 2013 mit grosser Mehrheit angenommen wurde.
Neuwahlen in Schaffhausen
Doch nun hat das Bundesgericht entschieden, dass die Wahl Stockers aufgehoben wird. In seinem Urteil vom 24. März hält es fest, dass der Politiker am Wahltag vom 19. November 2023 seinen Lebensmittelpunkt nicht im Kanton Schaffhausen, sondern bei seiner Frau und seinem Kind in Zürich gehabt habe. Der Regierungsrat muss eine Neuwahl ansetzen.
Der Schaffhauser Regierungsrat und das Schaffhauser Obergericht hatten anders entschieden. Das Kantonsgericht befand, dass Simon Stocker bei seiner Wahl zum Ständerat seinen politischen Wohnsitz im Kanton Schaffhausen gehabt habe.
Zu einem Fall für das Gericht wurde die Wahl, weil nach Stockers überraschendem Wahlsieg eine Beschwerde eingereicht worden war. Sie stammt von zwei Schaffhauser Bürgern, einem 90-jährigen Mann, der bisher nie politisch aufgefallen war, und einem Unterstützer des Schaffhauser Alt-Ständerats Thomas Minder, den Stocker verdrängt hatte. Beide Beschwerdeführer wollten anonym bleiben und gaben zu verstehen, dass sie ihre Namen hergegeben hätten, ohne Details zu kennen. Dies nährte den Verdacht, dass die Beschwerde Teil eines politischen Plans gewesen war.
Für das Urteil des Bundesgerichts spielen die Hintergründe der Beschwerde allerdings keine Rolle. In ihrem Entscheid halten die Lausanner Richter fest, dass Verfassungsnormen keine Absichtserklärungen seien. Im Kanton Schaffhausen schreibe die Verfassung nun einmal vor, dass in den Ständerat nur gewählt werden könne, wer im Kanton wohne.
Verheiratet und zwei Wohnsitze? Bitte belegen!
Stocker, ein gebürtiger Schaffhauser, ist in seiner Heimatstadt zwar verwurzelt und gut vernetzt, aber zum Zeitpunkt seiner Wahl lebte und arbeitete er mehrheitlich in Zürich, wo auch seine Ehefrau und sein Kind angemeldet waren. Zwar hatte er in Schaffhausen eine kleine Zweitwohnung gemietet und sich dort auch ins Stimmregister eingetragen. Zudem bekräftigte er, wieder nach Schaffhausen ziehen zu wollen, doch das Bundesgericht befand, es genüge nicht, «wenn eine Kandidatur nur von einer hinreichenden Verbindung zum Kanton getragen sei». Verlangt werde ein konkreter und faktischer Wohnsitz in Schaffhausen.
Laut dem Schweizer Zivilgesetzbuch könne eine Person trotz zunehmender Mobilität und mehreren Aufenthaltsorten nur einen zivilrechtlichen Wohnsitz haben – nämlich dort, wo sich ihr Lebensmittelpunkt befinde. Entscheidend seien nicht Absichten, sondern Tatsachen: Wo lebt und schläft die Person in der Regel? Wo verbringt sie ihre Freizeit, und wo pflegt sie ihre persönlichen Beziehungen?
Bei verheirateten Personen liege dieser Lebensmittelpunkt in der Regel am gemeinsamen Wohnort der Familie, argumentiert das Bundesgericht weiter. Dies selbst dann, wenn einer der Partner an einem auswärtigen Ort arbeite oder eine zweite Wohnung habe. Unterschiedliche Wohnsitze von Ehepartnern gälten laut Gesetz als Ausnahme und müssten klar belegt und begründet sein.
Primär in Zürich gelebt
Im konkreten Fall sei zwar ersichtlich, dass Simon Stocker mit der Anmeldung in der Stadt Schaffhausen seine politischen Rechte in Schaffhausen wahrnehmen und auch den Wohnsitz mit seiner Familie in naher Zukunft von Zürich nach Schaffhausen verlegen wollte. Am Wahltag habe er seinen Lebensmittelpunkt aber noch nicht nach Schaffhausen verlegt gehabt. Vielmehr habe er primär in der Stadt Zürich gearbeitet und gewohnt. Er habe dort auch vorrangig die Beziehung zu seiner Frau und seinem Kind gelebt.
Bemerkenswert ist, dass das Bundesgericht die Wahl von Stocker zwar für ungültig erklärt, seine bisherigen Handlungen als Ständerat aber nicht annulliert. Die Aufhebung erfolge ab dem Zeitpunkt des Urteils – nicht rückwirkend, schreibt das Gericht.
Der Regierungsrat des Kantons Schaffhausen muss nun eine Neuwahl ansetzen. Ein automatisches Nachrücken des Zweitplatzierten – Thomas Minder – schliesst das Bundesgericht aus. Denn bei einer Mehrheitswahl handle es sich um eine Persönlichkeitswahl. Die Stimmberechtigten müssten neu entscheiden können.
Arnold Marti, der Anwalt Simon Stockers, kritisiert den Entscheid der obersten Instanz. «Das Bundesgericht geht von einem völlig veralteten Familienbild aus», schreibt er in einer Stellungnahme. «Leben Eheleute in mit einem Kleinkind in intakter Ehe, hält das Bundesgericht den Ort, an dem die Ehefrau und das Kind leben, praktisch zwingend für den gemeinsamen Wohnort. »