Die Studentenvertretung der Universität Würzburg glaubt, dass es am Lehrstuhl für Neueste Geschichte «neurechte» Strömungen gebe. Die Beschuldigten weisen die Vorwürfe zurück. Sie sehen sich von der Hochschulleitung im Stich gelassen.
Linke studentische Kreise im bayrischen Würzburg machen mobil. Sie sind überzeugt: Die historische Fakultät der altehrwürdigen Julius-Maximilians-Universität ist von einem «neurechten» Netzwerk durchzogen. Nach Ansicht der Studentenvertreter unterhält es Kontakte in offene rechtsextreme Kreise und nimmt Einfluss auf die Lehre.
Der Fall steht exemplarisch für eine politisierte Studentenvertretung, die geschickt öffentlichen Druck auf Wissenschafter aufbaut und die von Beginn an auf maximale mediale Aufmerksamkeit setzt.
Es begann Mitte März, als das Studierendenparlament der Universität einen Beschluss «gegen neurechte Diskursverschiebung in der Lehre» verabschiedete. Vergangene Woche griffen regionale Medien die Vorwürfe auf, seitdem ist die Empörung im linken Milieu auch ausserhalb der Universität gross.
Publikation unter Pseudonym in einer rechten Zeitschrift
Die Vorwürfe richten sich gegen Peter Hoeres, den Inhaber des Lehrstuhls für Neueste Geschichte, vor allem aber gegen den seit 2019 für Hoeres tätigen Mitarbeiter Benjamin Hasselhorn. Er steht im Zentrum der Aufregung. Im Kern geht es um den Vorwurf, dass Hasselhorn in der rechten Zeitschrift «Sezession» vor mehr als zehn Jahren unter Pseudonym mehrere Texte veröffentlicht hat. Die Studenten halten das für unvereinbar mit einem öffentlichen Lehrauftrag und forderten Hasselhorn auf, in einer eidesstattlichen Erklärung auszuschliessen, dass er der Autor der Texte ist.
Das tat er nicht. Stattdessen räumte der Historiker vergangene Woche gegenüber dem Bayrischen Rundfunk und der Würzburger Regionalzeitung «Mainpost» ein, in «Sezession» unter Pseudonym publiziert zu haben.
Die Vorwürfe stehen schon länger im Raum. Die Vermutung, dass Hasselhorn und nicht ein gewisser «Martin Grundweg» Verfasser mehrerer dort erschienener Texte war, gibt es seit Ende 2021. Damals versuchte der Historiker Niklas Weber in der linken Tageszeitung «TAZ» genau das nachzuweisen. Der von der Parteistiftung der Linkspartei geförderte Promotionsstudent führte Übereinstimmungen in Texten Hasselhorns mit den Artikeln im Heft als Beleg an. Hasselhorn gab es damals nicht zu, leugnete aber auch nicht, Verfasser der Texte zu sein.
Mit dem unter Beweis gestellten philologischen Belastungseifer lag der Autor der «TAZ» also richtig, wie sich jetzt zeigte. Fraglich ist allerdings, ob das auch für die damit verbundene Anklage zutrifft, Hasselhorn wolle das Denken der sogenannten Neuen Rechten anschlussfähig machen.
Hasselhorn weist das im Gespräch mit der NZZ entschieden zurück. Inhaltlich seien seine Beiträge für die «Sezession» nicht zu beanstanden. Sie stünden schliesslich an keiner Stelle im Gegensatz zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Der fühle er sich als CSU-Mitglied aus Überzeugung verpflichtet.
Für die Demokratie habe er sich auch in dem inkriminierten Beitrag «Demokratie von rechts» ausgesprochen. Darin führte Hasselhorn den konservativen Historiker Friedrich Meinecke als Gewährsmann für sein Plädoyer für die Demokratie an. Dieser habe nach dem Ersten Weltkrieg Konservative und Rechte zur Unterstützung der Weimarer Republik bewegen wollen. Leider habe, so Hasselhorn, sein Versuch, das rechte Milieu vor dem Rückzug in die Fundamentalopposition zu bewahren, nicht gefruchtet.
Schon 2014 sei ihm zudem klar geworden, dass sich die Zeitschrift in eine Richtung entwickle, in deren Umfeld er nicht publizieren wolle. Er habe deshalb den Kontakt abgebrochen. Davon abgesehen sei das Magazin 2014 noch nicht vom Verfassungsschutz beobachtet worden.
Tatsächlich tauchen im Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt für das Jahr 2014 weder das Magazin noch das herausgebende Institut auf. Die ihrem Selbstverständnis nach «rechtsintellektuelle» Zeitschrift wurde bis 2024 vom «Institut für Staatspolitik» in Schnellroda in Sachsen-Anhalt herausgegeben. 2021 stufte der Verfassungsschutz des Bundeslandes die Einrichtung als «gesichert extremistisch» ein. Im vergangenen Jahr löste sie sich dann auf. Die Zeitschrift wird seither von einem Verlag herausgegeben.
Hoeres verweist auf die Freiheit der Lehre
Hasselhorns Chef Hoeres stellt sich vor seinen Mitarbeiter. «Man kann in Deutschland Molotowcocktails werfen und wird Aussenminister, aber von der Meinungsfreiheit gedeckte Artikel sollen ein Problem sein», sagt er mit Blick auf den früheren grünen Politiker Joschka Fischer. «An der Verfassungstreue Hasselhorns habe ich nicht den geringsten Zweifel.»
Auch die gegen seine Person erhobenen Vorwürfe weist er zurück. An seinem Lehrstuhl gebe es kein neurechtes Netzwerk. Er beschäftige Mitarbeiter aller politischen Richtungen. Und anders als von den Studenten behauptet, fänden die NS-Zeit und der Holocaust sehr wohl Niederschlag im Lehrangebot. Die Studenten, die er regelmässig befrage, hätten sich zudem nie über das Angebot beschwert. Grundsätzlich gelte die grundgesetzliche Freiheit von Lehre und Forschung, in die sich die Studentenvertretung nicht einmischen dürfe.
Hoeres wie Hasselhorn vermuten eine von langer Hand geplante Kampagne. Sie weisen auch darauf hin, dass aktuelle Anlässe fehlten. Auch habe keiner ihrer Studenten die Vorwürfe erhoben. Stattdessen würden untereinander gut vernetzte Studentenvertreter wie der Vorsitzende des Studentenparlaments Jonas Keim von der Linken Liste oder Zuri Klaschka von den Grünen die Sache vorantreiben. Letztlich gehe es darum, Hasselhorn in einer heiklen Karrierephase zu canceln. Die Studenten hätten schliesslich darüber gesprochen, welche Folgen ihre Forderungen für den frisch habilitierten Historiker haben könnten – ausbleibender Ruf von anderen Universitäten inklusive.
Eindruck einer Kampagne liegt nahe
Diese Überlegungen finden sich sogar in den Protokollnotizen von der Sitzung des Studierendenparlaments, die der NZZ vorliegen. Explizit gefordert wird Hasselhorns Absetzung darin zwar nicht. Zum Eindruck, eine Kampagne geplant zu haben und nicht unvoreingenommen an der Aufklärung möglicher Missstände interessiert zu sein, trugen die Studenten aber selber bei. Von Beginn an war ihr Vorgehen auf maximale Öffentlichkeitswirkung berechnet.
Bereits bei der Sitzung des Studentenparlaments waren Pressevertreter anwesend. Wenig später berichteten dann der Bayrische Rundfunk und die in Würzburg ansässige Regionalzeitung «Mainpost» in einer gemeinsamen Recherche über den Vorgang. Die Studenten gaben der Pressestelle der Universität zudem einen Hinweis, dass ihr Beschluss wohl ein Medienecho auslösen werde.
Vor allem aber, darauf legen Hoeres und Hasselhorn Wert, hätten die Studenten zu keinem Zeitpunkt das Gespräch mit ihnen gesucht. Dies werde in den Protokollnotizen aber wahrheitswidrig behauptet. Der von Hoeres und Hasselhorn erhobene Vorwurf der politisch motivierten Vorverurteilung geht damit nicht ins Leere.
Jonas Keim, der Vorsitzende des Studierendenparlaments, wollte sich der NZZ gegenüber nicht zur Frage äussern, warum man Hoeres und Hasselhorn nicht vorher angehört habe. Er verwies aber darauf, dass eine Gruppe von Geschichtsstudenten durch Erfahrungsberichte aus Veranstaltungen zu dem Beschluss beigetragen habe. «Vollkommen unabhängig von vorherigen Gesprächen ist es das Recht der Studierenden, einen Antrag im Studierendenparlament zu stellen», sagte Keim.
Hoeres prüft rechtliche Schritte gegen die Studenten
Die Universitätsleitung sieht sich jetzt mit zwei unversöhnlichen Forderungen konfrontiert. Hoeres und Hasselhorn sind überzeugt, Opfer einer Kampagne zu sein, die allein auf publizistischer Kontaktschuld fusst, und bestehen auf ihrer Rehabilitierung. Die Studentenvertreter wiederum fordern einen Eingriff in das Lehrangebot an der historischen Fakultät und einen umfänglichen Kampf gegen rechts an der ganzen Universität.
Auch die Jugendorganisation der Grünen in der Stadt und andere Gruppen haben sich den Vorwürfen der Studenten angeschlossen. Sie fordern die Universitätsleitung auf, den angeblichen neurechten Umtrieben ein Ende zu setzen und diese für die Zukunft zu verhindern.
Die Universität selbst äusserte sich bislang nur knapp. Sie verwies auf die Freiheit der Lehre, die Verpflichtung zur Verfassungstreue und versprach sonst, die von den Studenten vorgebrachten Punkte zu untersuchen.
An diesem Freitag soll es ein Gespräch zwischen dem Universitätspräsidenten Paul Pauli und Hoeres geben. Der erwartet von der Alma Mater, endlich ihrer Fürsorgepflicht nachzukommen. Das sei bislang nicht der Fall gewesen. Schliesslich habe die Universität nach dem Beschluss des Studentenparlaments vor ihrer knappen öffentlichen Stellungnahme weder mit ihm noch mit Hasselhorn gesprochen. Unabhängig davon lassen beide rechtliche Schritte gegen die Studenten wegen übler Nachrede und falscher Verdächtigung prüfen. Deren Vorstoss könnte also noch auf mehreren Ebenen ein Nachspiel haben.