Der Maschinenhersteller Netstal gehörte die letzten acht Jahre dem chinesischen Staat. Nun verkauft ihn sein Eigentümer Sinochem an den deutschen Anlagenbauer Krones. Am Firmensitz in Näfels herrscht Erleichterung.
Gross war die Aufregung, als der traditionelle Glarner Maschinenhersteller Netstal 2016 mitsamt seiner deutschen Muttergesellschaft Krauss Maffei vom chinesischen Staatskonzern Chem China übernommen wurde. Was die Chinesen wohl mit der Firma, für die sich um die Jahrtausendwende einst auch Christoph Blocher interessiert hatte, anstellen würden, fragte man sich nicht nur im Glarnerischen bange. Ob die damals 370 Arbeitsplätze am Firmensitz in Näfels erhalten bleiben würden, oder ob der neue Eigentümer das Unternehmen mitsamt seinen Produktionsanlagen nach China verlagern würde?
Schon lange Verkaufsgerüchte
Die Befürchtungen bewahrheiteten sich nicht. Netstal produziert – mit heute 400 Beschäftigten vor Ort – nach wie vor in Näfels Spritzgussmaschinen für den Weltmarkt. Hingegen wird es mit der chinesischen Eigentümerschaft schon bald vorbei sein: Wie am Montag bekanntwurde, plant der deutsche Maschinenbaukonzern Krones, Netstal für 170 Millionen Euro zu übernehmen. Der Kaufvertrag soll noch im Verlauf der kommenden Woche unterzeichnet werden.
In den vergangenen Jahren gab es immer wieder Gerüchte, der Mischkonzern Chem China brauche Geld und wolle Netstal sowie weitere Firmen aus seinem umfangreichen Portfolio loswerden. So berichtete die Nachrichtenagentur Reuters im Oktober 2020 mit Verweis auf Insider, Netstal stehe zum Verkauf. Dabei wurde ein Preis von 200 bis 300 Millionen Dollar genannt.
Die damaligen Spekulationen hingen mit der hohen Verschuldung zusammen, die sich Chem China im Zuge mehrerer milliardenschwerer Akquisitionen aufgehalst hatte. So hatte das Unternehmen im vergangenen Jahrzehnt unter anderem nicht nur Krauss Maffei, sondern auch den Basler Agrochemiekonzern Syngenta und den italienischen Reifenhersteller Pirelli erworben.
Zu unterschiedliche Geschäfte
Mittlerweile ist Chem China mit dem chinesischen Düngemittelhersteller Sinochem unter dem Dach der Sinochem Holdings Corporation fusioniert worden. Dieses riesige Industriekonglomerat, das die Zahl seiner Mitarbeiter mit über 220 000 angibt, steht ebenfalls in chinesischem Staatsbesitz.
Der jetzige Grund für die Veräusserung von Netstal sind dem Vernehmen nach in erster Linie strategische Überlegungen. Bei Krauss Maffei ist man offenbar zu dem Schluss gelangt, als Hersteller von Maschinen für die Produktion vorab von Autoteilen nicht mehr der geeignete Eigentümer der Glarner Firma zu sein. Die Netstal-Spritzgussmaschinen werden primär von Firmen geordert, die Rohlinge und Deckel für Getränkeflaschen aus PET produzieren.
Mit dieser Ausrichtung passt das Unternehmen gut zu Krones. Der deutsche Konzern produziert Anlagen für die Getränkeabfüllung und gilt in diesem Geschäft als Weltmarktführer.
Krones verspürt Rückenwind
Allerdings wird das börsenkotierte Unternehmen die Profitabilität seiner neuen Tochterfirma auf ein höheres Niveau hieven müssen. Es räumt in einer Medienmitteilung ein, dass die Ertragskraft von Netstal gegenwärtig unter der eigenen liege.
Krones erwirtschaftete 2022 – unter Ausklammerung ausserordentlicher Posten – eine operative Marge (Ebitda) von fast 9 Prozent. Auf mittlere Sicht hat es sich 10 bis 13 Prozent vorgenommen. Ein solches Niveau würde im Bereich der Anlagenhersteller eine höchst ansehnliche Leistung darstellen.
Laut den Analytikern von Baader Helvea Equity Research blickt das Management von Krones dank einem starken Auftragseingang auf das laufende und das kommende Jahr «mit riesiger Zuversicht». So rechne es damit, den Umsatz 2024 um über 10 Prozent zu steigern, hielten die Marktbeobachter Anfang vergangenen Novembers fest. Bewahrheitet sich diese Annahme, würde Krones erstmals einen Umsatz von über 5 Milliarden Euro erwirtschaften.
Gewinn von Marktanteilen
Die Zuversicht der Firma aus Neutraubling bei Regensburg kontrastiert auffallend mit der Krisenstimmung, die zurzeit weite Teile der Industrie und insbesondere den Maschinenbausektor in Deutschland prägt. Doch auch bei Netstal ist man optimistisch gestimmt. Das Unternehmen gewinnt laut eigenen Angaben dank einer Neuentwicklung Marktanteile. Zurzeit liege dieser bei den Spritzgussmaschinen für den PET-Bereich bei über 10 Prozent, sagt der Geschäftsführer Renzo Davatz. Ziel sei es, ihn zu verdoppeln. Im vergangenen Jahr betrug der Umsatz der Glarner Maschinenbaufirma rund 200 Millionen Euro.
Davatz war in den vergangenen ein, zwei Jahren stark damit beschäftigt, Netstal organisatorisch aus der rund fünfmal so grossen Krauss-Maffei-Gruppe herauszulösen und damit die Voraussetzungen für einen Verkauf zu schaffen. In diesem Zusammenhang baute das Unternehmen auch eigene Verkaufsbüros in verschiedenen Ländern auf.
Laut der Mitteilung von Krones soll Netstal die Geschäfte weiterhin eigenverantwortlich führen. Es sei kein Stellenabbau geplant, sagt Davatz. Der Geschäftsführer, der seine berufliche Laufbahn beim Unternehmen einst als Elektromechanikerlehrling begonnen hatte und 2016 – kurz nach der Übernahme durch Chem China – mit der Firmenleitung betraut wurde, wird selbst seine Funktion weiter ausüben.
Entfremdung von China
Der Manager verspricht sich im Verbund mit Krones nicht nur einen besseren Zugang zu Kunden aus der Lebensmittelindustrie, sondern auch bessere Konditionen im Einkauf von Komponenten und Rohmaterialien. Mit dem bisherigen chinesischen Eigentümer habe Netstal wenig zu tun gehabt, sagt Davatz. Offenbar gab es kaum Synergien, oder diese wurden nicht genutzt.
Bei Netstal dürfte, auch wenn dies niemand offen anspricht, die Erleichterung darüber überwiegen, wieder zu einem europäischen Konzern zu gehören. Nach der hastigen Einkaufstour von Chem China und weiteren Firmen aus der Volksrepublik Mitte vergangenen Jahrzehnts war es ohnehin rasch ruhig um chinesische Akquisitionen im Westen geworden.
Seit der Pandemie ist gar eine Entfremdung spürbar, wie westliche Firmenvertreter immer wieder anmerken. Eine baldige Wiederannäherung scheint aus heutiger Sicht wenig wahrscheinlich zu sein. Eher könnten sich westliche und chinesische Geschäftskreise noch weiter voneinander entfernen.