Dem Autor Boualem Sansal wurde der Prozess gemacht, weil er die algerische Regierung kritisiert. Nun muss er fünf Jahre ins Gefängnis.
Der algerische Schriftsteller Boualem Sansal provoziert gerne. «Wäre es nicht interessant, alle Moscheen zu schliessen?», fragt Sansal etwa in einem Interview, oder er behauptet: «Der Islam ist die grösste Bedrohung Frankreichs.»
Sansal, Gewinner des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels und einer der bekanntesten algerischen Intellektuellen, veröffentlicht seit mehr als zwanzig Jahren Romane, die den Islamismus und das autokratische Regime in Algerien kritisieren. 2003 wurde ihm deshalb seine Beamtenstelle gekündigt, seither steht er unter Beobachtung.
Jetzt sorgt Sansal wieder für Schlagzeilen, allerdings unfreiwillig: Der 80-jährige Autor wurde am Donnerstag zu fünf Jahren Haft und einer Geldstrafe von 500 000 algerischen Dinar, etwa 3500 Franken, verurteilt. Die Staatsanwaltschaft hatte zehn Jahre Haft gefordert. Unterstützer Sansals befürchten, dass der krebskranke Autor im Gefängnis sterben könnte.
Sansals französischer Anwalt, François Zimeray, schrieb auf X zur Strafe: «Ein Urteil, das den eigentlichen Sinn des Wortes Gerechtigkeit verrät.» Laut Zimeray habe die Anhörung nur zwanzig Minuten gedauert. Verurteilt wurde Sansal wegen Verletzung der territorialen Integrität Algeriens und Veröffentlichungen, die die Stabilität des Landes gefährden. Der Autor wird damit Opfer eines jahrzehntealten Konflikts.
Marokko und Frankreich gegen Algerien
Marokko und Algerien, Sansals Heimatland, befinden sich in einem Konflikt um die Westsahara, ein Gebiet südlich von Marokko. Marokko betrachtet die Westsahara als marokkanisch, während die militante Unabhängigkeitsbewegung Frente Polisario das Gebiet als unabhängigen Staat sieht. Algerien unterstützt den Frente Polisario. Frankreich unterstützt Marokko.
Und Sansal, französisch-algerischer Staatsbürger, unterstützt ebenfalls Marokko – und hat damit die algerische Regierung gegen sich aufgebracht. In einem Interview mit dem rechtsextremen französischen Magazin «Frontières» sagte Sansal vergangenen November, dass der gesamte westliche Teil Algeriens vor der französischen Kolonisierung Algeriens zu Marokko gehört habe, darunter die Städte Tlemcen, Oran und Mascara – und dass die Westsahara ebenfalls zu Marokko gehören solle.
Mutmasslich wegen dieser Aussagen wurde Sansal Mitte November bei seiner Rückreise aus Paris nach Algerien verhaftet und nun verurteilt. Seinem französischen Anwalt wird derweil der Zutritt zu seinem Mandanten untersagt. Das Urteil gegen Boualem Sansal ist auch ein neuer Tiefpunkt in der Beziehung zwischen Frankreich und Algerien.
Frankreich, ehemalige algerische Kolonialmacht, unterstützt seit dem vergangenen Jahr offiziell den marokkanischen Anspruch auf die Westsahara. Präsident Emmanuel Macron unterstrich die neue Position mit einem Besuch in der marokkanischen Hauptstadt Rabat. Algerien zog daraufhin seinen Botschafter aus Paris ab. Seither liegen die Beziehungen auf Eis.
Sansals Anwalt wird Einreise verweigert
Im Prozess gegen Boualem Sansal wandte sich Algerien auch gegen Frankreich. Sansals Anwalt Zimeray durfte nicht nach Algerien einreisen. Zwei unbekannte Männer, so berichten französische Medien, hätten Sansal dies an seinem Gefängnisbett eröffnet. Er solle sich stattdessen einen Anwalt suchen, der «nicht jüdisch» sei. Sansal trat daraufhin in einen Hungerstreik.
Seit Zimeray die Verteidigung Sansals übernommen hat, wird er in algerischen Medien immer wieder als «Zionist» verunglimpft. Die Männer, die Sansal im Gefängnis aufsuchten, verwiesen offenbar auch auf den Hass, der dem Franzosen in Algerien entgegenschlägt: Eine Abgabe des Mandats sei für Zimeray wegen seiner eigenen Sicherheit besser.
François Zimeray sagte nach dem Vorfall, dass er Sansal auch weiterhin vertreten wolle und die Absicht habe, «den Rahmen des algerischen Strafverfahrens zu respektieren». Den Hungerstreik hat Sansal inzwischen auf Anraten seiner Ärzte abgebrochen, weil er sich wegen seiner Krebserkrankung ohnehin in einem schlechten Gesundheitszustand befindet.
Sansal wurde bislang regelmässig aus dem Gefängnis ins Spital und wieder zurück verlegt. Wie gut er versorgt wird, wissen nur wenige – selbst seine Familie hat nur sehr eingeschränkten Zugang zu ihm. Ob er die Haft unter diesen Bedingungen überleben wird, ist unklar. Im Streit um die Westsahara zeigt das algerische Regime mit einem seiner bekanntesten Intellektuellen keine Gnade.