Der zweisprachige Fernsehkanal Telebielingue verliert die Konzession und zieht den Entscheid vor das Bundesverwaltungsgericht. Es geht um Millionen und, noch wichtiger, um Identität.
Die Kamera läuft. Die beiden Besitzer von Telebielingue, Stefan Niedermaier und Fredy Bayard, sitzen im Fernsehstudio ihres Senders. Es ist der 16. Januar 2024. Niedermaier sagt: «Wir lassen uns nicht aus einer Beamtenstube einstampfen.» Bayard sagt: «Ich fühle eine unglaubliche Motivation, in den Kampf zu gehen.»
Niedermaier und Bayard beschäftigen 220 Mitarbeiter. Sie sind Verleger und Besitzer der Bieler Gassmann-Gruppe. Eines 170-jährigen Unternehmens mit zwei Zeitungen, einem Radiosender, einem Onlineportal, einer Druckerei und dem zweisprachigen Fernsehsender Telebielingue. Doch jetzt droht dem Sender das Ende.
Ab 2025 fehlen Telebielingue 3,6 Millionen Franken Fördergelder pro Jahr. 25 Jahre lang hatte der Sender eine Konzession für die Region Biel. Nun hat das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr und Kommunikation (Uvek) die Konzession für 9 Jahre neu vergeben. An Canal B, einen Sender in Gründung, dessen Muttergesellschaft in Neuenburg sitzt und keine Erfahrung mit zweisprachigen Formaten hat.
I. Der Appell
Telebielingue hingegen ist in der Region Biel so etwas wie immaterielles Kulturerbe. Nach der Verfügung des Uvek gibt der Bieler Stadtpräsident eine Erklärung ab. Darin schreibt er, der Entscheid berücksichtige die gelebte Zweisprachigkeit in Biel nicht. Die Gemeinde Grenchen stimmt zu und kündigt an, einen Rekurs zu stützen.
Die sozialdemokratische Bieler Nationalrätin Andrea Zryd lanciert eine Petition für Telebielingue. Die beiden anderen Nationalräte der Region, der Grüne Kilian Baumann und der SVP-Politiker Manfred Bühler, unterschreiben. Mit ihnen 2300 weitere Bielerinnen und Bieler.
In Biel sagen sie, der Entscheid des Uvek habe die Region aufgeschreckt wie eine Ohrfeige. Viele fragen sich: «Warum hat Telebielingue die Konzession verloren?», «Was können wir dagegen tun?» und «Wie weiter?».
Wenige Tage nach dem Entscheid des Uvek, am 16. Januar, rufen Niedermaier und Bayard ihre Angestellten zusammen. Viele von ihnen fürchten um ihre Stelle. Die beiden Verleger schwören sie auf das Kommende ein und sagen: «Wir verlangen Akteneinsicht. Wir ziehen den Entscheid vor das Bundesverwaltungsgericht.» Und vor allem: «Wir machen weiter. Mit euch. Mit oder ohne Konzession.»
Danach setzen sich Bayard und Niedermaier ins Fernsehstudio und wiederholen den Aufruf. Dieses Mal richten sie ihn an die ganze Region.
II. Der Fehler
Wenige Schritte von den Studios von Telebielingue entfernt, an der Zukunftsstrasse 77 in Biel, befindet sich das Bundesamt für Kommunikation (Bakom). Wer sich um eine Fernsehkonzession bewirbt, muss ein Dossier beim Bakom einreichen und einen Katalog von Anforderungen erfüllen.
Punkte werden beispielsweise für Investitionen in die Ausbildung der Journalisten vergeben, für die Anzahl der Angestellten, die Qualitätssicherung, die Vielfalt der Themen und Formate, den Umgang mit der Zweisprachigkeit und das Gesamtkonzept der Bewerbung. Entscheidend für die Vergabe ist einzig, was im Dossier steht.
Beim Bakom will niemand reden. Es handle sich um ein laufendes Verfahren, schreibt das Amt und verweist auf die Verfügung des Uvek vom 11. Januar. Darin ist der Entscheid gegen Telebielingue begründet.
Über die Bewerbung von Telebielingue ist in der Verfügung des Uvek unter verschiedenen Punkten zu lesen: «nicht konkret», «nicht plausibel und nachvollziehbar», «nicht explizit». Über die Bewerbung von Canal B schreibt das Uvek hingegen: «nachvollziehbar und plausibel».
Am Ende schreibt das Uvek über den Gesamteindruck der Bewerbung von Telebielingue: «zwar lesbar, aber nur teilweise kohärent». Canal B erreicht die volle Punktzahl. Insgesamt erhält Canal B elf Mal die Höchstpunktzahl, Telebielingue sechs Mal.
Die Verfügung ist öffentlich einsehbar. Immer mehr Bielerinnen und Bieler, die der Entscheid des Uvek zunächst aufregte und die in diesen Tagen diese Verfügung lesen, fragen sich nun: «Warum hat Telebielingue nicht ein sauber ausformuliertes Dossier eingereicht?»
III. Die Verteidigung
Seit dem Entscheid des Uvek sind zwei Wochen vergangen. Stefan Niedermaier und Fredy Bayard stehen in der Redaktion von Telebielingue am Bieler Bahnhof. Sie hadern immer noch. Mit dem Bakom. Mit dem Uvek. Mit Bundesrat Albert Rösti.
Bayard und Niedermaier räumen aber auch Fehler ein. Bayard sagt: «Wir sind zu naiv an die Bewerbung herangegangen. So hart, wie wir den Bund kritisieren, müssen wir auch gegen uns selbst sein.» Doch Bayard bemängelt, wie das Verfahren abläuft, dass nur zählt, welche Zahlen für Weiterbildungen im Dossier stehen. «Wir hätten dieses Spiel mitmachen können, denn in einem Bewerbungsdossier kann ich aus einer Zwei ganz leicht eine Vier machen.»
Niedermaier sagt: «Wir haben in unserer Bewerbung weniger phantasievoll in die Zukunft geschaut als die Konkurrenz. Aber wir sind Unternehmer, wir bauen keine Luftschlösser.»
Es sind Argumente, die viele Leute teilen. Sie sehen das Konkrete und nicht das Abstrakte. Sie kennen die Journalisten, die in den Büros am Bieler Bahnhof arbeiten. Die Journalisten von Telebielingue beginnen ihre Redaktionssitzungen auf Französisch und beenden sie auf Deutsch. Seit 25 Jahren wachsen junge Mädchen im deutschsprachigen Nidau ebenso mit dem Sender auf wie kleine Buben im frankofonen Péry. Sie wissen, was die andere Sprachgruppe bewegt, auch wenn sich ihre Wege nie kreuzen.
Was viele Bielerinnen und Bieler am meisten stört: Keiner weiss, wer das Dossier von Telebielingue bewertet hat.
Laut dem Bakom handelt es sich um ein «breit abgestütztes Team» aus Juristen, Finanz- und Medienexperten. Auch Bayard und Niedermaier rätseln, wer den Entscheid getroffen hat. Bayard sagt: «Die Kommunikation des Bakom erinnert an einen zurückgezogenen Einsiedler, der ein Schweigegelübde abgelegt hat.»
IV. Die Anklage
Der Prozess zur Vergabe der Konzession schliesst eine öffentliche Anhörung ein. Interessierte Gemeinden, Kantone und Institutionen können sich beim Bakom schriftlich zu den eingegangenen Bewerbungen äussern. Ist eine Konzession umkämpft, füllt sich der Briefkasten.
Die drei Kantone Bern, Freiburg und Solothurn, die Städte Biel und Grenchen, weitere Akteure wie das Forum du Bilinguisme oder der Conseil du Jura bernois reichten im Sommer 2023 Stellungnahmen ein. Insgesamt waren es elf Schreiben. Sieben sprechen sich klar für die Bewerbung von Telebielingue aus. Vier äussern sich neutral. Für Canal B spricht sich keine Stellungnahme aus.
Das Bakom teilt mit, die Anhörung solle dazu dienen, allfällige bisher noch nicht bekannte relevante Aspekte zu erkennen.
Canal B, der Sender, dem das Uvek die Konzession erteilte, möchte laut Bewerbung zwei Sender betreiben. Nach Sprachen getrennt. Dazwischen will Canal B «Brücken bauen» und so jeder Sprachgruppe ermöglichen, «sich zu verstehen» und «sich anzunähern». In einer Stellungnahme an das Bakom aus dem Sommer 2023 schreibt Canal B, man wähle einen weiter führenden Ansatz als Telebielingue, das sich im Wesentlichen darauf beschränke, seine Sendungen zu übersetzen.
Das Uvek lobt diesen Ansatz in seiner Verfügung ausdrücklich und schreibt, so sollen die Besonderheiten der beiden Sprachregionen berücksichtigt werden. Bei Telebielingue schütteln Bayard und Niedermaier den Kopf.
Die meisten Stellungnahmen zur öffentlichen Anhörung lobten explizit den Umgang von Telebielingue mit der Zweisprachigkeit. Das Prinzip: ein Sender, dasselbe Programm für zwei Sprachgruppen. In einem Format wechselt der Journalist laufend zwischen den Sprachen. So wie das im Alltag viele Menschen tun. Auf Telebielingue sehen alle Zuschauer dasselbe und besprechen später im Bekanntenkreis dieselben Themen. Auf Deutsch und Französisch.
Virginie Borel, die Geschäftsführerin des Forum du Bilinguisme, sagt, die DNA von Telebielingue sei zweisprachig, der Sender setze mit seinem Programm Bindestriche zwischen die Sprachgruppen. «Das Konzept von Canal B mit zwei getrennten Kanälen entspricht hingegen nicht der Zweisprachigkeit, wie wir sie in dieser Region erleben.»
Das Uvek spricht Canal B für das Kriterium des zweisprachigen Programms mit 150 die maximale Punktzahl zu. Telebielingue erhält 100 Punkte, weil das Dossier nicht explizit auf die Besonderheiten der jeweiligen Sprachen und Sprachregionen eingehe.
Im gesamten Bewerbungsverfahren erhält Canal B 125 Punkte mehr als Telebielingue. 50 davon verliert Telebielingue allein beim Punkt Zweisprachigkeit.
V. Das Urteil?
Der Rekurs habe nun höchste Priorität, sagen die beiden Verleger. Bis Anfang Februar müssen sie ihn einreichen. Parallel planen sie die Zukunft ohne Fördergelder. «Es herrscht Aufbruch», sagt Niedermaier. Bayard spricht von einem möglichen Befreiungsschlag. Am besten sei ohnehin, wenn der Staat den Unternehmen nicht zu viel hineinrede. Er sagt: «Das kann der Auslöser sein, die Fesseln des Bakom zu sprengen und unser Produkt neu aufzuziehen.»
Auch Niedermaier sieht Chancen, spricht von einer «grünen Wiese». Für ihn ist Telebielingue eine starke Marke, auch in Zukunft. Er sagt: «Lineares Fernsehen, das Bakom, all das ist Tradition. On demand, also Fernsehen auf Abruf, ist die Zukunft.»
Und wie sieht die aus?
Zunächst entscheidet das Bundesverfassungsgericht, ob Telebielingue die Konzession endgültig verliert. Laut dem Bakom war bisher kein Unternehmen mit einem Rekurs gegen die Konzessionsvergabe erfolgreich.
Wenn Telebielingue künftig ohne 3,6 Millionen Franken Fördergelder pro Jahr wirtschaften muss, braucht es Geld von anderswo. In diesem Fall sind seine Inhalte künftig vermutlich Teil des Online-Abos der Gassmann-Gruppe. Die Zukunft von Telebielingue hängt also von den Bielerinnen und Bielern ab und davon, ob sie für ihr immaterielles Kulturerbe bezahlen wollen. Sie sind die letzte Instanz.