Zu viele Schiffe für zu wenig Fracht – vor diesem Schreckensszenario stehen MSC, Maersk und andere Giganten der Weltmeere. Ihr Erfolg stand schon vor Trumps Rundumschlag auf wackeligen Beinen.
An guten Wünschen fehlte es bei Adrians Taufe nicht. «Mögest du Wohlstand und Stolz für alle bringen», schallte es ihm vom Rednerpult entgegen, hinweg über Dutzende geladene Gäste. «Mögen deine Reisen ruhig und erfolgreich sein! Mögest du alle glücklich machen, die mit dir reisen, und ihnen Sicherheit bieten!»
Das ist eine lange Liste. Aber «Adrian Maersk» ist auch ein grosses Containerschiff, das an diesem strahlenden Frühlingsmorgen im Hafen von Rotterdam eine Flasche Bollinger-Special-Cuvée vor den Bug geknallt bekam.
Der Frachter kann über 16 000 Container aufnehmen, gefüllt mit T-Shirts, Autoteilen, Computern, Medikamenten und allem anderen, was die Weltmeere überqueren soll. Aneinandergereiht wären diese Container 100 Kilometer lang, werden aber auf ein Schiff von nur 350 Metern Länge gestapelt. Nur so ist der globalisierte Welthandel möglich.
Die Flotten wachsen schneller als die Fracht
«Adrian» kann die Wünsche gut brauchen. A. P. Möller-Maersk, die weltweit zweitgrösste Reederei, schickt ihren Sprössling auf ungewisse Fahrt. Noch nie waren auf den Weltmeeren so viele Containerschiffe unterwegs, und es werden noch mehr. Ihre Frachträume wollen gefüllt werden. Wie gut das künftig gelingt, ist unsicher.
Wie es mit dem Welthandel weitergeht, weiss niemand. Das grösste und drängendste Problem ist seit vergangener Woche Donald Trump: Die umfangreichen Zölle, mit denen der US-Präsident die amerikanische Wirtschaft schützen will, könnten eine Kettenreaktion auslösen. Vielleicht findet sich die Handelsschifffahrt bald in einem Wirbelsturm wieder.
Als Maersk vor vier Jahren den Bau der «Adrian» in Auftrag gab, war die Welt eine andere. Es herrschte die Corona-Pandemie. Die Menschen blieben daheim, aber gaben ihr Geld im Internet aus. Eine Flut von Bestellungen liess Spediteure frohlocken. Die Frachtpreise schossen in die Höhe, Lieferketten knirschten. Die Gewinne der Reeder sprudelten, en masse bestellten sie Containerschiffe.
Seither sind die Werften damit beschäftigt, die Aufträge abzuarbeiten. Inzwischen sind viele Schiffe fertig. Die Transportkapazität auf den Weltmeeren wuchs vergangenes Jahr um 11 Prozent, wie die auf Logistik spezialisierte Unternehmensberatung Alix Partners schätzt. 2025 dürften weitere 6 Prozent hinzukommen.
Damit kommen mehr zusätzliche Schiffe als zusätzliche Fracht auf die Meere. Alix prognostiziert, dass die Seefracht in diesem Jahr nur um 2 bis 3 Prozent zulegen wird. Die Zürcher Kantonalbank (ZKB) geht neu von einer Stagnation aus. Prognosen sind sehr schwierig. Klar scheint nur: «Die Trump-Zölle werden den internationalen Handel und Transport neu formen», sagt Philip Damas, Lieferketten-Experte beim Logistikberater Drewry.
Die Schweizer MSC hat Maersk überholt
Jetzt geht eine Furcht um auf den Weltmeeren – die Furcht vor Überkapazität. Wenn mehr Schiffe unterwegs sind, als sich mit Waren füllen lassen, droht ein Zerfall der Frachtpreise und der Gewinne der Reeder. Zu hohe Schiffsbestellungen und anschliessender Katzenjammer sind ein regelmässiges Muster in der Branche. Aber diesmal ist die Fallhöhe besonders gross.
Keiner wäre davon potenziell so betroffen wie die weltgrösste Reederei: MSC aus der Schweiz. Das verschwiegene und nicht kotierte Unternehmen aus Genf hat seine Flotte in den vergangenen Jahren aggressiv erweitert, sowohl durch Neubestellungen wie auch durch Käufe gebrauchter Schiffe. Dadurch verdrängte MSC im Jahr 2022 die dänische Maersk von der Branchenspitze. Auch 2024 wuchs die Transportkapazität von MSC laut Alix noch um 12 Prozent.
Bei Maersk übt man sich in Zweckoptimismus. Es gebe Mittel, um auf Überkapazität zu reagieren, versichert der Vizepräsident Karsten Kildahl in Rotterdam im Gespräch mit Journalisten. Reeder könnten alte Schiffe verschrotten, was sie in den vergangenen Jahren kaum getan haben. Das Abwracken reduziert Kapazität und Kosten. Neue Schiffe wie die «Adrian» sind effizienter.
Eine andere Hoffnung: In Trumps erster Amtszeit, während des Handelskonflikts der USA mit China, habe sich der Handel nur verlagert, so Kildahl. Der Handel innerhalb des asiatischen Raums habe zugenommen, und europäische Käufer von Waren hätten mit ihren Bestellungen jene Lücken gefüllt, die amerikanische Käufer hinterlassen hätten.
Fabian Engels von Alix Partners sieht deshalb eine grosse Chance für Europa – insbesondere wenn der alte Kontinent mit Strafzöllen gegen die USA reagiert: «Das würde die Voraussetzungen für asiatische Exporte nach Europa verbessern.» Denn die asiatischen Exporteure könnten gezwungen sein, sich zu günstigeren Preisen neue Märkte zu erschliessen.
Nicht jeder teilt diesen Optimismus. Das letzte Mal hätten sich die Handelsmuster verschoben, aber die Volumen seien weiter gewachsen, bestätigt Damas von Drewry. Allerdings: Damals waren Trumps Zölle längst nicht so hoch und umfassend. «Eine durch Zölle ausgelöste Rezession in den USA oder anderen Ländern könnte die Volumen schrumpfen lassen. Das wäre neu.»
Terroristen schützen die Gewinne der Reeder
Im Moment erhalten die Reeder noch Schützenhilfe – von Terroristen. Ende 2023 begannen die Huthi-Rebellen in Jemen, mit Raketen und Drohnen auf Frachter in der Strasse von Bab al-Mandab zu schiessen. Die Meerenge verbindet das Rote Meer mit dem Golf von Aden und ist eine der wichtigsten Schifffahrtsrouten der Welt. Wer den Suezkanal benutzt, muss dort entlang.
Doch seit über einem Jahr ist diese Route für die allermeisten Frachter zu gefährlich. Die Schiffe fahren lieber um das Kap der Guten Hoffnung und umrunden Afrika. Das dauert bis zu zwei Wochen länger. Ohne den Ausfall des Suezkanals wäre die Überkapazität auf den Meeren schon viel problematischer für die Reeder. Stattdessen braucht es mehr Schiffe als zuvor, um dieselbe Menge Fracht ans Ziel zu bringen.
Peter Heijkoop ist der Umweg sehr recht. Heijkoop ist der Kapitän der «Adrian» und stand schon im Jahr 2015 auf der Brücke eines Frachters, als Piraten sein Schiff vor der Küste von Somalia entern wollten. Gelungen ist das den Angreifern nicht. Aber für Heijkoop war es das Schlimmste, was ihm je auf See passiert ist. «Man will in einem Stück zu Frau und Kindern nach Hause kommen», sagt er. «Der Umweg um das Kap der Guten Hoffnung ist sicherer.»
Für seinen Arbeitgeber ist er auch lukrativer. Nach den Huthi-Angriffen sind die Frachtpreise in die Höhe geschossen. Zwar nicht so stark wie während der Pandemie, aber es reichte, um die Bilanz der Reeder markant aufzuhellen. Im Februar 2024 stellte Maersk für das vergangene Jahr noch einen Betriebsverlust (Ebit) von bis zu 5 Milliarden Dollar in Aussicht. Tatsächlich resultierte für 2024 ein Betriebsgewinn von 6,5 Milliarden Dollar – das drittbeste Ergebnis der Firmengeschichte. Nur die Pandemie war profitabler.
MSC und Maersk haben sich überworfen
Wie profitabel das Jahr 2025 verläuft, hängt davon ab, ob und wann der Suezkanal wieder genutzt werden kann. Die Unsicherheit ist enorm: Maersk kalkulierte bereits vor den Trump-Zöllen mit einer Spannweite von einer schwarzen Null bis zu 3 Milliarden Dollar Gewinn. MSC legt keine Geschäftszahlen oder Prognosen offen. Dem Vernehmen nach verfügt der Branchenprimus über erhebliche Cash-Reserven. Zur Not könnte er einen Preiskrieg durchhalten, um seine Position auszubauen.
Skrupel muss MSC nicht haben, denn seit wenigen Monaten ist das Tischtuch mit Maersk zerschnitten. Viele grosse Reedereien tun sich in Allianzen zusammen, die wie Code-Sharing-Agreements von Fluggesellschaften funktionieren: Auf manchen Strecken vermarkten sie ihre Schiffe gemeinsam, um sie besser auszulasten. MSC und Maersk waren ein Jahrzehnt lang in der Allianz 2M verbunden.
Doch jüngst stieg Maersk aus und kooperiert seit Februar mit Hapag-Lloyd aus Deutschland in einem Bündnis namens Gemini. Der Grund: Die Dänen haben ein neues Betriebsmodell ausgearbeitet, bei dem MSC nicht mitziehen wollte. «Wir machen es jetzt ziemlich anders, als es beim traditionellen Weg der Handelsschifffahrt üblich ist», sagt Lars Mikael Jensen von der Maersk-Tochter APM Terminals.
Traditionell fahren Containerschiffe eine Route mit einer Reihe von Häfen ab, zum Beispiel von Asien nach Europa. Doch bei Gemini pendeln sie zwischen wenigen grossen Häfen. Kleinere Schiffe bringen die Fracht von ihren Ursprungsorten zu diesen grösseren Häfen beziehungsweise transportieren sie auf dem letzten Reiseabschnitt von dort zu den Zielhäfen. Ähnlich wie Airlines, die ihre Passagiere mit Regionalflügen zu den Drehkreuzen bringen, von denen die Interkontinentalflüge starten.
Die Frachter sollen wieder pünktlich fahren
Jahrelang tüftelte Maersk an dem neuen Modell. Der Planungsaufwand ist gross, denn es muss viel mehr Fracht umgeladen werden als zuvor. Doch gerade das soll die Lieferungen viel pünktlicher machen. Wenn jedes Schiff weniger Häfen anlaufe, gebe es weniger potenzielle Gelegenheiten für Verzögerungen, kalkuliert Maersk.
Pünktlichkeit ist in der Logistik entscheidend. Doch bei der Seefracht hat sie sich seit der Corona-Krise aus vielen Gründen erheblich verschlechtert. Maersk will wieder Verlässlichkeit bieten und hofft, damit Kunden zu binden. Das könnte sich erst recht auszahlen, falls ein Wirbelsturm aus Handelskollaps und Überkapazität die Branche erfasst. Die ersten Resultate zur Pünktlichkeit seien vielversprechend, heisst es.
MSC hingegen fährt weiter nach dem traditionellen Modell, lässt die Frachter eine Handvoll Ziele pro Tour abklappern – und zählt darauf, dass die Kunden ihre traditionelle Aversion gegen häufiges Umladen ihrer Fracht behalten.
Werden grössere Häfen überhaupt noch gebraucht?
Direkt neben der «Adrian Maersk» lag an diesem Tag die «Gudrun Maersk» in Rotterdam vor Anker. Sie ist der erste Frachter der Reederei, der nach dem Gemini-Fahrplan aus Asien nach Europa gekommen ist. Hoch über dem Pier surren die riesigen ferngesteuerten Kräne und heben Container um Container vom Schiff, stapeln sie zu neuen Bergen oder setzen sie auf selbstfahrende Transporter.
Das Container-Tetris am Boden muss aufgehen, wenn schnell und effizient umgeladen werden soll. Als Europas grösster Hafen ist Rotterdam einer der zentralen Hub-Punkte in Maersks Netz. Maersk rüstet seine Anlagen auf, um die komplexeren Gemini-Abläufe zu bewältigen. In den kommenden Jahren soll der Rotterdamer Container-Terminal an der Maasvlakte 2, einem aufgeschütteten Landstrich direkt am Meer, seine Kapazität verdoppeln. Da käme ein Handelskollaps ungelegen.
Früher hätte die «Gudrun» sieben Häfen auf dem Kontinent angesteuert. Mit Gemini sind es nur zwei: Rotterdam und danach Hamburg. Dennoch ist Eile geboten, denn in den Hamburger Hafen kann der Frachter nur bei Flut einlaufen. Dazu müsste er an diesem Morgen bis 9 Uhr in Rotterdam ablegen – und schafft es nicht. Als die Champagnerflasche an der «Adrian» zerbricht, ist die «Gudrun» noch da.
Immerhin: Die nächste Flut kommt bestimmt. Wenigstens das ist derzeit auf See noch sicher.
Schwere See beim Klimaschutz
bet. · Mit 16 000 Containern an Bord ist die «Adrian Maersk» zwar ein grosser Frachter, zählt aber nicht zu den allergrössten. Die bringen es inzwischen auf 24 000 der typischen 20-Fuss-Container. MSC, Maersks grosser Rivale aus der Schweiz, unterhält gleich sechs dieser Riesen. Das ist Rekord. Dafür gehört die «Adrian» zu einer anderen exklusiven Gruppe: Ausser mit Schweröl kann sie auch mit Methanol betrieben werden. Bis jetzt hat Maersk erst eine Handvoll dieser Schiffe im Einsatz.
Der Motor ist bereit – der Markt nicht
Die Schifffahrt ist ein Klimasünder. Rund 3 Prozent des jährlichen Ausstosses von Treibhausgasen entstammen dem Verbrennen der traditionellen Schiffstreibstoffe. Gesucht werden alternative Brennstoffe – aber noch ist offen, was sich durchsetzt: Methanol oder Ammoniak, bevorzugt klimaneutral erzeugt, oder zumindest verflüssigtes Erdgas (LNG)? Das LNG ist zumindest nicht ganz so klimaschädlich wie Schweröl. Maersk setzt auf einen Mix und bestellt nur noch Schiffe, die ausser mit Schweröl mit einer dieser Alternativen betrieben werden können.
In der Praxis kommt Methanol erst selten zum Einsatz. Auch die «Adrian» wird primär mit Schweröl laufen. Es fehlt an der Infrastruktur in den Häfen, und klimaneutrales Methanol ist längst nicht in der Menge verfügbar, welche die Schifffahrt benötigt. Auch ist es deutlich teurer als Schweröl. Zwar hat sich die Branche unter dem Dach der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation (IMO) zur Klimaneutralität bis 2050 verpflichtet. Aber wie die nötige Regulierung aussehen soll, um dieses Ziel zu erreichen und alternative Treibstoffe wirtschaftlich zu machen, ist umstritten.