Japans Autoindustrie baut bereits viele Autos in den USA, aber auch daheim für den Export. Diese Doppelstrategie stellt die Japaner nun vor ein Dilemma. Produktionsverlagerungen und Hilfe für Lieferanten sollen eine Lösung bieten.
Die japanischen Automobilhersteller reagieren schnell auf die drohende Zollkrise in den USA. Gemäss Medienberichten hat Toyota seinen Zulieferern bereits angekündigt, sie bei zollbedingten Mehrkosten für Bauteile zu unterstützen. Das könnte «die Aufmerksamkeit auf die Massnahmen anderer Hersteller lenken», meint Shinji Kakiuchi, Autoanalyst bei Morgan Stanley MUFG Securities.
Nissan wiederum stoppt seine Pläne, die Produktion in den USA zu drosseln. Stattdessen soll die Fertigung des SUV Rogue, der in Nordamerika dem weltweit vermarkteten Modell X-Trail vorgezogen wird, von Japan in das nicht ausgelastete amerikanische Werk in Smyrna, Tennessee, verlagert werden, um den Druck durch Zölle zu verringern.
Die japanischen Hersteller reagieren damit schnell auf den enormen Druck, den die hohen, von US-Präsident Donald Trump verhängten Zölle auch auf die ostasiatische Autoindustrie ausüben. Denn die japanischen Hersteller stehen vor einem besonderen Dilemma.
Nissan verlagert Produktion noch stärker in die USA
Zwar haben gerade die Japaner nach einem Handelskrieg mit den USA in den 1980er Jahren bereits grosse Fabriken in den USA aufgebaut. Doch Makoto Tsuchiya, Autoexperte bei Oxford Economics, mahnt, dass die US-Zölle in Höhe von 25 Prozent auf alle Autos und Autoteile den japanischen Automobilsektor «schwer belasten» könnten.
Der Grund: Die Japaner haben nicht nur auf Produktion in den USA sowie auf in den nun ebenfalls besteuerten Nachbarländern Mexiko und Kanada gesetzt. Sie haben auch die Produktion im eigenen Land für den Export verstärkt. So machen die Exporte von Autos und Bauteilen rund 30 Prozent aller Ausfuhren in die USA aus.
Diese Doppelstrategie stellt die japanischen Hersteller jedoch nun vor ein Dilemma. Zwar könnten die Autobauer in grossem Stil die Produktion in die USA verlagern und auch die Zulieferer dazu bewegen. Damit würden sie aber Gefahr laufen, die heimische Zulieferindustrie und damit die eigene Entwicklungsbasis zu schädigen, die einen wichtigen Wettbewerbsvorteil der japanischen Hersteller darstellt.
Selbst für den weltweit grössten Autohersteller Toyota wird dies zu einem Problem: Toyota stellt etwas mehr als die Hälfte seines Absatzes in den USA von zuletzt 2,3 Millionen Autos vor Ort her. Der Rest wird entweder von Mexiko oder Kanada aus importiert – oder aus Japan.
Rund 550 000 Autos exportiert das Unternehmen aus seiner Heimat in die USA, besonders hochpreisige Modelle seiner Premiummarke Lexus. Wegen der drohenden Mehrkosten verlor der Konzern daher seit der Ankündigung der Autozölle Ende März 23,6 Prozent seines Marktwerts. Doch das Problem reicht über negative Folgen für die Bilanz hinaus.
Diese Exporte sind ein wichtiger Pfeiler von Toyotas jahrzehntealtem Versprechen, mindestens drei Millionen Autos in Japan zu bauen. Das entspricht derzeit rund 27 Prozent des weltweiten Absatzes. Damit will der Konzern seinen rund 60 000 Zulieferern in Japan, darunter viele kleine und mittelgrosse Unternehmen, ausreichend Geschäft sichern. Nur hat Toyota keinen grossen Puffer mehr, denn diese Zahl wird seit Jahren gerade noch eingehalten.
Toyota versucht nun die zwei wichtigen Aspekte seiner Strategie, hohe Gewinne und Lieferantentreue, auszubalancieren. Einerseits will Toyota offenbar die zusätzlichen Zollkosten für Teile übernehmen, die von wichtigen Zulieferern aus Mexiko, Kanada oder Japan in die USA exportiert werden. Andererseits hat Toyota seinen Zulieferern zugesichert, das jetzige Produktionsniveau in Japan vorerst beizubehalten. Mittelfristig will der Konzern dann entscheiden, wie es mit den Exporten von Japan nach Nordamerika weitergehen soll.
Warum die Märkte Toyota die teure Hilfe nicht übelnehmen
Der Autoanalyst Kakiuchi glaubt, dass die Investoren neutral auf die unter Umständen teure Entscheidung von Toyota reagieren werden. «Wenn Toyota die Kostensteigerungen seiner Zulieferer übernimmt, wird das kurzfristig die Gewinne belasten», räumt er ein. Gleichzeitig würde Toyota aber seine Lieferkette stärken. Denn der Autobauer würde die Erträge der Zulieferer stützen und ihnen ein klares Signal geben, dass Toyota ihnen Planungssicherheit gibt.
Wichtiger noch: Eine Überraschung wäre Toyotas Schritt nicht. Denn der Hersteller verfolgte diesen Ansatz schon in vergangenen Krisen. Schon während der Corona-Pandemie und des grossen Inflationsschubs hat der Konzern immer wieder erklärt, seine Lieferkette zu stützen. Dazu gehörte auch, einen Teil der gestiegenen Kosten für Löhne, Rohstoffe, Komponenten und Energie zu übernehmen. Zudem erweiterte Toyota den Vorlauf für Bestellungen bei seinen Lieferanten, damit diese mehr Planungssicherheit gewinnen.
Diesen Ansatz kann sich Toyota bei einer fast zweistelligen Gewinnmarge leisten. Aber er ist nicht altruistisch. Gleichzeitig gewinnt der Konzern einen wichtigen Vorteil: die Kooperation seiner Zulieferer mit einem tiefen Einblick in deren Lieferkette.
So kann Toyota besonders gut auf Krisen reagieren, weil der Konzern Engpässe frühzeitig erkennt. Das zahlte sich zuletzt während der Pandemie aus: Während bei den meisten Autoherstellern die Produktion wegen Chip-Engpässen zusammenbrach, verkaufte Toyota weiterhin mehr als zehn Millionen Autos.
Dennoch stünden die Aktienkurse der Zulieferer unter Druck, sagt Kakiuchi. Denn die Anleger zweifelten daran, dass die Unternehmen die höheren Zölle in vollem Umfang an ihre Kunden in den USA weitergeben können. Viele Zulieferer haben nicht nur Japaner, sondern auch amerikanische Hersteller als Kunden.
Nissan wiederum steckt bereits in der Krise und hat deutlich weniger Puffer als Toyota. Doch in den USA haben sich die Probleme in einen Vorteil verwandelt. Der Konzern hat in seinem Werk freie Kapazitäten. Bis zum Sommer sollen diese auf Kosten der japanischen Produktion wieder gefüllt werden. Der Analyst Kakiuchi meint deshalb: «Nissan könnte ab Sommer in der Lage sein, die Auswirkungen der Zölle auf die Kosten bis zu einem gewissen Grad abzufedern.»