7,4 Milliarden Euro haben Nichtregierungsorganisationen in drei Jahren erhalten. Aber was ist überhaupt eine NGO? Manche sind staatlich kontrolliert, andere verfolgen kommerzielle Interessen.
Am Anfang stand das sogenannte «Katar-Gate»: Der mutmassliche Korruptionsskandal, dessen juristische Aufarbeitung sich weiter hinzieht, hatte Ende 2022 grosse Wellen geschlagen. Die Gelder, die EU-Parlamentarier offenbar von Katar, Mauretanien und Marokko erhielten, sollen unter anderem über Nichtregierungsorganisationen (NGO) geflossen sein.
Der Europäische Rechnungshof, der die ordnungsgemässe Verwendung der EU-Mittel kontrolliert, hat sich in seinem neusten Bericht über die Finanzflüsse zugunsten von NGO gebeugt und dabei erhebliche Mängel festgestellt. Hinweise auf illegale Aktivitäten hat er nicht gefunden, die Informationen über die Subventionen seien aber «bruchstückhaft und unzuverlässig», so die Prüfer.
Es geht um beträchtliche Summen: Satte 7,4 Milliarden Euro haben rund 12 000 NGO aus den Bereichen soziale Inklusion, Chancengleichheit, Gleichstellung der Geschlechter, Klima- und Umweltschutz sowie Forschung und Innovation aus EU-Geldern erhalten – 4,8 Milliarden von der Kommission sowie 2,6 Milliarden aus Töpfen, über welche die Mitgliedstaaten verfügen können. Ganz so klar ist das allerdings nicht, denn die Angaben der nationalen Regierungen sind teilweise schwer miteinander vergleichbar.
Wenige NGO erhalten viel Geld
Mit der Förderung verfolgt die EU das Ziel, dass die NGO durch ständigen Dialog «die Beteiligung der Bürger am demokratischen Willensbildungsprozess» ermöglichen. Die dafür gesprochenen Gelder sind allerdings ungleich verteilt: Rund 30 NGO erhielten mehr als 40 Prozent der Gesamtsumme. Mit den Geldern werden in erster Linie Projekte finanziert, teilweise aber auch Betriebskosten.
Ob der demokratische Prozess auf diesem Weg tatsächlich gefördert wird und die stolzen Summen sich wirklich rechtfertigen lassen, prüfte der Rechnungshof gemäss Mandat nicht. Er stellte aber fest, dass die EU-Mittel «nicht ausreichend transparent offengelegt» worden seien. So existiere zwar ein für alle NGO geltendes Registrierungssystem, eine zuverlässige Übersicht über alle Antragsteller und Nutzniesser gebe es aber nicht.
Eines der Probleme ist, dass die involvierten Stellen nicht das gleiche Verständnis dessen haben, was eine NGO überhaupt ist. Zwar hat das EU-Parlament 2024 eine Definition in die Haushaltsordnung geschrieben, aber diese bietet weiterhin Auslegungsspielraum, und die Mitgliedstaaten haben wiederum eigene Interpretationen.
NGO für Kosmetikindustrie
Beim Subventionsantrag werde die entsprechende Information «auf Grundlage einer Eigenerklärung» eingereicht, so der Rechnungshof. Die Kommission prüfe in der Folge, ob die Organisation tatsächlich einen gemeinnützigen Zweck verfolge. Der Frage aber, ob auch Vertreter staatlicher Stellen in den NGO-Leitungsgremien sässen, sei bislang nicht nachgegangen worden. So hat der Rechnungshof ein Forschungsinstitut als Nutzniesser entdeckt, das staatliche Garantien erhält und dessen Aufsichtsrat ausschliesslich mit Behördenmitgliedern bestückt ist.
Auch die Feststellung der Gemeinnützigkeit scheint zumindest lückenhaft zu sein: Bei einer Stichprobe stiessen die Rechnungsprüfer auf eine «NGO», die neben Forschungstätigkeiten auch «integrierte Dienstleistungen für die Kosmetikindustrie» erbringt. Sie verfolge «eindeutig die geschäftlichen Interessen ihrer gewinnorientierten Mitglieder», so der Rechnungshof. Als dieser nachfragte, stufte sich die Organisation nicht einmal selbst als NGO ein.
Empfehlungen des Rechnungshofes
Problematisch ist auch, dass es erst seit kurzem Regeln gibt, welche Lobbyarbeit zugunsten der europäischen Institutionen untersagen. Ob diese auch eingehalten werden, war nicht Gegenstand des Rechnungshof-Mandats. Nicht zuletzt klärt die EU-Verwaltung nicht systematisch ab, ob die unterstützten NGO Werte wie Rechtsstaatlichkeit oder Menschenrechte propagieren. Auch da verlässt man sich auf Eigenerklärungen der Organisationen.
Der Rechnungshof stellt eine Reihe von Empfehlungen auf, etwa zur Unabhängigkeit einer NGO von staatlichen Stellen und kommerziellen Akteuren oder zur Vergleichbarkeit der Finanzdaten. Bei der bürgerlichen Mehrheit im EU-Parlament rennt er damit offene Türen ein. NGO seien «wichtig und vielfältig», schreibt die CDU/CSU-Gruppe, die Auswahl von Projekten sowie die Feststellung von Interessenkonflikten müsse aber verbessert werden. Die Abkürzung NGO dürfe «kein Freibrief sein für eine willkürliche und unkontrollierte Verwendung von Steuergeldern», so die parlamentarische Geschäftsführerin Monika Hohlmeier.
Die EU-Kommission, an die sich der Bericht wendet, reagiert lakonisch. Sie nimmt die Empfehlungen des Rechnungshofs mehrheitlich an, gibt aber zu bedenken, dass diese nicht «gratis» umzusetzen seien – etwa in Bezug auf eine präzise Definition der NGO. Teile ihrer Antwort klingen freilich so, als möchte sie die Interessierten davon abhalten, die acht Seiten überhaupt zu lesen.
So heisst es in sperrigem Bürokratendeutsch, die Kommission werde «im Lichte der von den Interessenträgern und den gesetzgebenden Organen zugesagten Vereinfachungsagenda auch die Vorteile einer solchen möglichen Klarstellung vor dem Hintergrund des Risikos einer Erhöhung des Verwaltungsaufwands für die Antragsteller für EU-Mittel beziehungsweise für die Dienststellen der Kommission bewerten».
Alleine für diesen Satz wäre der Kommission eine «Vereinfachungsagenda» zu empfehlen. Im Kern erinnert sie aber daran, dass eine bessere Kontrolle der NGO eben auch mehr Bürokratie bedeutet – und genau diese will die EU ja dringend abbauen.