Erst wurde die Dampflok abgeschafft, nun geht es dem Dieselmotor an den Kragen. Batteriegetriebene Züge sollen die alten Loks ersetzen.
Auf der Schiene von Insel zu Insel: Akku-betriebene Züge fahren in Schleswig-Holstein auf Strecken, denen die Elektrifizierung fehlt. Nicht etwa zu den Inseln an Nord- und Ostsee, sondern zu «Strominseln» mitten im Schienennetz. Dorthin, wo Energie aus der Oberleitung zum Aufladen der Batterien zur Verfügung steht. Das ist die eine Möglichkeit, den umweltschädlichen Dieselbetrieb auf Nebenstrecken zu beenden. Die andere: Stromerzeugung aus der Brennstoffzelle mit Wasserstoff als Energieträger.
Auch wenn beide Systeme noch mit Kinderkrankheiten zu kämpfen haben, eröffnet sich für die Bahnindustrie ein interessanter Markt. Allein in Deutschland müssen rund 3000 Dieseltriebzüge im Nahverkehr durch ökologisch saubere Nachfolger ersetzt werden. In Europa liegt der Bestand bei 8200, weltweit bei 12 500 Fahrzeugen, wie das Bahnberatungsunternehmen SCI Verkehr ermittelt hat. Viele davon würden noch viele Jahre weiterfahren – nicht umweltfreundlich, aber kostengünstig.
Die Alternative zu den innovativen Zugsystemen wäre – wie in der Schweiz – die Elektrifizierung fast aller Strecken. Das Problem: In Deutschland sind erst gut 60 Prozent des Netzes mit Oberleitungen ausgestattet. Selbst wenn es 70 Prozent wären, müssten nach Berechnungen des Bundesverkehrsministeriums 2500 Kilometer umgerüstet werden. Das ist völlig illusorisch. Stattdessen herrscht Inselbetrieb: Im Streckennetz werden nur kurze Abschnitte oder einzelne Bahnhöfe elektrifiziert. Das reicht, um die Batterien aufzuladen.
«Künftig können so in Schleswig-Holstein jährlich mehr als zehn Millionen Liter Diesel und damit rund 26 000 Tonnen CO2 eingespart werden», erklärt der Nahverkehrsverbund Nah.SH. Als Aufgabenträger für den Schienennahverkehr hat der Verbund beim Schweizer Stadler-Konzern 55 zweiteilige batterieelektrische Triebzüge mit Lithium-Ionen-Batterien des weltweit eingesetzten Fahrzeugtyps Flirt bestellt. Sie wurden im Berliner Werk gebaut. Alle Züge sind seit 2024 im täglichen Einsatz.
«Der Flirt ist ein echter Bestseller, den wir in den unterschiedlichsten Varianten mehr als 2750 Mal verkauft haben», sagt der Marketing- und Vertriebsvorstand Ansgar Brockmeyer lobend über sein Produkt. Die Batterieversion für den Regionalverkehr ist die jüngste Variante. Nach Schleswig-Holstein will auch Rheinland-Pfalz mit ihr das Dieselzeitalter auf der Schiene beenden; 44 Züge sind bestellt. «Grosses Interesse gibt es auch im Ausland, etwa in Italien, Österreich, Dänemark, Norwegen und auch in Nordamerika, wo das elektrifizierte Netz noch wenig ausgebaut ist», sagt Brockmeyer. Auch Wettbewerber sind auf dem Markt. So verkauft Siemens Mobility die Batterieversion seines Elektrotriebwagens Mireo.
In Norddeutschland fahren Wasserstoffzüge
Ebenso ist der Bahnindustrieriese Alstom mit einer Weiterentwicklung seiner Elektrotriebwagenplattform Coradia im Geschäft mit batteriebetriebenen Zügen. Zuvor war der Konzern allerdings Pionier beim Brennstoffzellenantrieb. Nach mehrjähriger Erprobung von zwei Vorserienzügen ging Coradia vor zwei Jahren auf dem Netz der Eisenbahnen und Verkehrsbetriebe Elbe-Weser (EVB) in Betrieb. Auf der 124 Kilometer langen Strecke von Cuxhaven über Bremerhaven und Bremervörde nach Buxtehude fahren die Nachfolger mit Wasserstoffantrieb. Eine Weltpremiere, die sogar der «New York Times» eine Meldung wert war. Der im Alstom-Werk in Salzgitter gebaute iLint ist ein «intelligent» konstruierter «leichter innovativer Nahverkehrstriebwagen».
Rein äusserlich unterscheidet sich der Neuling kaum vom Lint ohne i, dem Dieselvorgänger. Die intelligente Neuerung ist der alternative Antrieb, der grösstenteils auf den beiden Dächern des zweiteiligen Zuges installiert ist. Der EVB-Geschäftsführer Christoph Grimm erklärt: «Komponenten sind zum einen Drucktanks für den Energielieferanten Wasserstoff, zum anderen sogenannte Brennstoffzellenstacks.»
In den Brennstoffzellen wird durch die Zusammenführung von Wasserstoff und Sauerstoff in einer kontrollierten elektrochemischen Reaktion elektrische Energie erzeugt – und das völlig emissionsfrei. Der Strom lädt eine Batterie, die den Elektromotor des Zuges antreibt. Wie bei batterieelektrischen Zügen gewinnt die Batterie Energie aus der sogenannten Rekuperation, der Rückgewinnung von Energie beim Bremsen.
Am Rande des Bahnhofs Bremervörde wurde eine Wasserstofftankstelle errichtet, an der die Züge ebenso schnell betankt werden können wie ihre dieselbetriebenen Vorgänger. Eine Tankfüllung mit rund 130 Kilogramm Wasserstoff reicht pro Zug und Betriebstag für eine Fahrleistung von tausend Kilometern.
Weniger umweltfreundlich ist derzeit noch die Energieversorgung. Der Wasserstoff ist ein Nebenprodukt eines Chemiewerks in Stade an der Elbe und wird per Tankwagen angeliefert. Die geplante Produktion von grünem Wasserstoff vor Ort in Bremervörde mit Windrad und eigenem Elektrolyseur steht noch aus. Zwar haben Niedersachsen und der Bund das Projekt bisher grosszügig mit fast 100 Millionen Euro gefördert, doch die Finanzierung dieses letzten Projektteils verzögert sich.
Die Flotte von 14 iLint ist ausgeliefert. Die Fahrgäste freuen sich über den Fahrkomfort ohne brummende Motoren und Abgase und das schnelle Anfahren wie bei der S-Bahn. Die Politik feiert – so Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil – den «Meilenstein auf dem Weg zur Klimaneutralität im Verkehrssektor». Das internationale Interesse ist gross: Delegationen aus aller Welt haben Bremervörde bereits besucht, um die Wasserstoffzüge im Regelbetrieb zu sehen und von den Erfahrungen der EVB zu lernen.
Mangelnde Zuverlässigkeit bei Wasserstoffbahnen
Initiator und Geldgeber des Projekts ist die Landesnahverkehrsgesellschaft Niedersachsen (LNVG). Dort ist man von den Wasserstoffzügen nicht nur begeistert. «Wir sind mit der Verfügbarkeit der Züge nicht zufrieden, auch wenn uns natürlich klar ist, dass wir bei dieser völlig neuen Technologie immer mit Überraschungen rechnen müssen», erklärt die LNVG-Geschäftsführerin Carmen Schwabl. Bei der EVB heisst es, die Zuverlässigkeit liege nur bei 70 Prozent im Vergleich zu den alten Dieselzügen.
Die Brennstoffzellen als zentrale Komponenten würden zu oft ausfallen. Der Hersteller Alstom hat Konsequenzen gezogen und verkündet, dass er die erste Generation der Brennstoffzellen durch eine zweite, weiterentwickelte ersetzen wird. Beim zweiten deutschen Einsatzgebiet der neuen Technik, der Taunusbahn, führte das Qualitätsproblem zum Rückfall. Vorübergehend fahren dort auf mehreren Strecken wieder Dieselzüge. Das Modernisierungsprogramm für die iLint dauere noch bis ins nächste Jahr, erklärte ein Sprecher, aber die Technologie an sich sei marktreif.
Ursprünglich wollte Niedersachsen seine Dieselbahnen im grossen Stil auf Brennstoffzellenzüge umstellen. Inzwischen habe sich aber die Batterieelektrik mit dem Einsatz von Batteriezügen weiterentwickelt, sagt Schwabl: «Überall dort, wo Bahnstrom und Oberleitungen oder Strominseln zumindest teilweise vorhanden sind, werden Dieseltriebzüge nach und nach durch Batterietriebzüge ersetzt. Dort ist diese Technologie im täglichen Betrieb wirtschaftlich sinnvoller.» Für das EVB-Netz sei die Brennstoffzellentechnologie aber nach wie vor die überzeugende Lösung.
Das sieht auch die Bahnindustrie so. So haben auch Stadler und Siemens Wasserstoffzüge für den Nahverkehr im Programm, sehen sie aber in vielen Netzen eher als zweite Wahl. Der Stadler-Manager Brockmeyer rechnet vor: «Die Wasserstofferzeugung für die Brennstoffzelle, also die Aufspaltung von Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff durch Elektrolyse, kann in Sachen Energieeffizienz nicht mit batterieelektrischen Antrieben mithalten.» Denn allein bei diesem Prozess gebe es einen Energieverlust von 50 Prozent. Auch die Speicherung des Energieträgers auf den Dächern der Züge in Spezialflaschen unter dem hohen Druck von 350 bar sei aufwendig.
Hinzu kommt: Wasserstoff ist bislang ein knappes Gut, das viele zur Energiegewinnung nutzen wollen. Die ohnehin nicht gerade günstige Antriebsart wird so eher verteuert.
Das müsse aber nicht das Ende des Wasserstoffantriebs bedeuten, heisst es in der Bahnbranche. Es komme immer auf die örtlichen Gegebenheiten an. 80 bis 100 Kilometer Bahnstrecke ohne stationäre Stromversorgung gelten als maximal batterietaugliche Distanz. Muss der Nahverkehrszug weiter fahren, empfiehlt es sich, über eine Wasserstofflösung nachzudenken – oder eine Strominsel für den Batteriezug zu bauen.
Individuelle Lösungen für das eine oder das andere System sind durchaus gefragt. Die Konzerntochter DB Energie, die den Bahnbetrieb mit Strom versorgt, hat in einem Gemeinschaftsprojekt mit Siemens Mobility im Bahnbetriebswerk Tübingen einen Innovation-Hub eingerichtet. Ziel ist es, den begehrten Wasserstoff für den Eigenbedarf vor Ort selbst herzustellen. Mit Ökostrom aus der Oberleitung wird Wasser in der Elektrolyse in grüne Antriebsenergie umgewandelt. Diese kann in Tanks zwischengespeichert und mit neu entwickelter Schnellladetechnik in Wasserstoffzüge getankt werden. Das Projekt ist gerade zu Ende gegangen, die Auswertung läuft.
Batterieelektrik könnte auch nicht elektrifizierte Fernbahnstrecken umweltfreundlicher machen. Eine Projektidee von Stadler: Eine bereits bestellte Serie von Flirt-Zügen für Norwegen soll «bimodal», sowohl klassisch elektrisch unter Oberleitung als auch auf Strecken ohne Fahrdraht mit dieselelektrischem Antrieb fahren.
Anstelle des Dieselgenerators will der Hersteller ein batterieelektrisches System einbauen. Dann könnten die Züge auf der 700 Kilometer langen Nordlandbahn von Trondheim nach Bodö emissionsfrei fahren. Von (Strom-)Insel zu Insel: 14 kurze Abschnitte müssten dafür elektrifiziert werden, damit die Züge ohne Tankstopps durchgehend umweltfreundlich unterwegs sind. Ob es dazu kommt, ist noch offen. Brockmeyer ist zuversichtlich: Der Vorschlag sei von der Direktion in den norwegischen Verkehrswegeplan aufgenommen worden.