Statt Milliarden gibt es Millionen – Zürich geht ganz leer aus.
Für internationale Grossunternehmen gilt seit einem Jahr ein strengeres Steuerregime: Wer mehr als 750 Millionen Euro Umsatz erzielt, muss in jedem Standortland wenigstens 15 Prozent Steuern bezahlen. Wo die lokalen Sätze unter dieser Marke liegen, wird ein Zuschlag fällig – die OECD-Mindeststeuer. Die Schweizer Regierung vermutet, dass in der Schweiz einige hundert inländische und einige tausend ausländische Unternehmen grundsätzlich für die Mindeststeuer infrage kommen.
Durch die neue Regelung hatte man sich hohe Zusatzeinnahmen erhofft. Der Bundesrat sprach von jährlichen Erträgen von 1 bis 2,5 Milliarden Franken in den ersten Jahren. Davon sollten 75 Prozent an die Kantone fliessen und 25 Prozent an den Bund. Politiker haben sich bereits ausgemalt, wie das Geld verwendet werden könnte – etwa für den Ausbau der Armee.
Eine neue Studie des Prüfungs- und Beratungsunternehmens Deloitte zeigt nun aber, dass die Erwartungen wohl zu hoch gegriffen waren. Deloitte hat für seine Untersuchung die 50 grössten börsenkotierten Konzerne der Schweiz unter die Lupe genommen – also Unternehmen wie Novartis, Nestlé, Lindt & Sprüngli, Swatch oder UBS.
Die 50 Konzerne bezahlten insgesamt OECD-Mindeststeuern von 243 Millionen Franken. Davon entfällt etwa ein Fünftel auf das Ausland. In der Schweiz verbleiben weniger als 200 Millionen Franken, also nur ein Bruchteil der vom Bundesrat erwarteten Summe. «Die Einnahmen sind tiefer als bei der Autobahnvignette oder der Alkoholsteuer», sagt Thomas Hug von Deloitte Schweiz.
Auffällig ist, dass ein Grossteil dieser Steuer bei einem einzigen Unternehmen angefallen ist: beim Basler Pharmakonzern Roche. Dieser weist OECD-Steuern von 189 Millionen Franken aus. Zahlreiche andere Unternehmen haben keinen Rappen der sogenannten «top-up tax» bezahlt, darunter Novartis, Nestlé, Swiss Re und die UBS. Warum Roche viel mehr bezahlt als andere Unternehmen, führt der Konzern in seinem Geschäftsbericht nicht weiter aus.
Nur jedes dritte analysierte Unternehmen hat eine Ergänzungssteuer ausgewiesen. Ausserdem sind die meisten Summen vergleichsweise tief. Die Baloise-Versicherung etwa bezahlte rund 100 000 Franken wegen einer Tochtergesellschaft in Liechtenstein.
Was zahlen ausländische Firmen?
Die Zahlen sind mit einer gewissen Zurückhaltung zu interpretieren. Dies erstens, weil in der Anfangsphase Übergangsregeln gelten. Zweitens war ein Teil der OECD-Mindeststeuer im letzten Jahr in der Schweiz noch nicht in Kraft. Es geht dabei um die sogenannte Income Inclusion Rule. Eine Schweizer Holding muss in der Schweiz Steuern bezahlen, wenn bei einer Konzerntochter im Ausland der Steuersatz unter den 15 Prozent liegt. Diese Regel gilt aber erst seit Anfang 2025 und ist in den Abschlüssen der Unternehmen für 2024 deshalb noch nicht ausgewiesen.
Eine weitere grosse Blackbox sind die Schweizer Tochtergesellschaften ausländischer Konzerne. Die Muttergesellschaften weisen in ihren Abschlüssen in ihrem Heimatland in der Regel nicht aus, ob und wie viel Geld sie wegen der OECD-Regelung in der Schweiz bezahlen mussten.
Unklar ist schliesslich die Situation bei privat gehaltenen Unternehmen, weil diese ihre Jahresabschlüsse nicht veröffentlichen müssen.
Kein Geld für Zürich
Bemerkenswert ist die Situation für den Kanton Zürich: Er ist das Herz der Schweizer Wirtschaft und die Heimat zahlreicher Grossunternehmen von A wie ABB bis Z wie Zurich. Von den OECD-Steuern hat er aber kaum etwas. Die meisten Unternehmen mit Zürcher Sitz haben für 2024 keinen Zuschlag entrichtet.
Die Zürcher Bank Julius Bär weist zwar eine OECD-Mindeststeuer von 0,3 Millionen Franken aus, aber in Irland. Der Versicherer Swiss Life meldet eine Zusatzsteuer von 5 Millionen Franken, dies jedoch erst provisorisch.
Völlig unerwartet ist es nicht, dass für Zürich nichts abfällt. Die Kantonsregierung hatte immer wieder betont, dass aus der Steuerreform keine wesentlichen Zusatzeinnahmen zu erwarten seien. Dies liegt hauptsächlich daran, dass der Kanton für Unternehmen bereits ein sehr teurer Standort ist.
Die Belastung liegt weit über der OECD-Mindestmarke von 15 Prozent, dies auch bei einer Senkung der Gewinnsteuer, über welche der Kanton am 18. Mai abstimmen wird. Somit gibt es auch keinen Anlass für eine Zusatzabgabe. Laut Regierungsrat sind höchstens im Einzelfall Ergänzungssteuern möglich, deren Höhe lasse sich aber noch nicht abschätzen.
Eine OECD-Steuer, die nicht so heisst
Hat sich der Bund mit seinen Prognosen also verschätzt? Ganz so einfach ist es nicht. Mehrere Kantone haben ihre Steuern für grosse, gewinnträchtige Unternehmen im Hinblick auf die neuen OECD-Regeln angehoben, damit die Firmen auf eine Mindestbelastung von 15 Prozent kommen.
Rein technisch handelt es sich dabei aber nicht um eine OECD-Ergänzungssteuer, sondern einfach um eine höhere kantonale Abgabe. Entsprechend weisen die Unternehmen diese Steuerzahlungen nicht gesondert aus, und sie tauchen auch nicht in der Deloitte-Studie auf. Gleichzeitig hätten die Kantone ihre Unternehmenssteuern ohne drohende OECD-Regel ziemlich sicher nicht angehoben – es handelt sich also um eine Art versteckte Mindeststeuer.