Trumps erratische Zollpolitik macht nicht nur die Börsen fassungslos. Doch der Präsident ist in der Irrationalität seines Handelns kein historisch einmaliger Ausreisser.
Weshalb macht er das bloss?
Weshalb beginnt Trump einen Handelskrieg, der nach Ansicht der meisten Ökonomen vor allem den USA Schaden zufügt? Höhere Zölle lassen die Preise und die Inflation in Amerika steigen, während die positiven Effekte wie die Wiederansiedlung von Industriebetrieben ungewiss sind. Eine Zollschlacht ist im höchsten Mass irrational, ausser man sieht in ihr nur den Auftakt zu Verhandlungen. Dagegen aber spricht, dass der Protektionismus eine der wenigen Konstanten in Trumps Denken ist.
Dass sich gewählte Politiker ebenso wie Monarchen oder Diktatoren irrational verhalten, beschäftigte schon die amerikanische Historikerin Barbara Tuchman. In ihrem Buch «Die Torheit der Regierenden» untersuchte sie die Unvernunft der Macht in der Geschichte, seit die Trojaner das hölzerne Pferd mit den Angreifern im Bauch in ihre Stadt zogen.
Unvernunft ist kein Privileg von Populisten
Warum agieren die Inhaber hoher Ämter so oft in einer Weise, die der Vernunft und dem aufgeklärten Eigeninteresse zuwiderläuft? Warum bleiben Vernunft und Verstand so häufig wirkungslos? Diese Fragen stellte Tuchman 40 Jahre vor Trump.
Seinen Fall hätte die Historikerin allerdings aus ihrer Beispielsammlung ausgeschlossen. Denn die Verblendung eines einzelnen Politikers ist zu häufig, als dass es sich nach Ansicht der Historikerin lohnen würde, ihr eine Abhandlung zu widmen. Sie konzentrierte sich auf Fälle, in denen eine herrschende Kaste den Staat über viele Jahre schädigte.
Als Gründe nennt Tuchman Selbstüberhebung, Unfähigkeit, Dekadenz oder Starrsinn, kurz: das Mängelwesen Mensch. Gegen Torheit ist niemand gefeit. Nur weil wir künstliche Intelligenz besitzen, ist die natürliche Intelligenz nicht gewachsen.
Ein Streifzug durch die Geschichte lehrt, dass die Irrationalität die ständige Begleiterin der Politik ist. John Adams, der zweite Präsident der Vereinigten Staaten, erklärte: «Während alle anderen Wissenschaften vorangeschritten sind, tritt die Regierungskunst auf der Stelle; sie wird heute kaum besser geübt als vor drei- oder viertausend Jahren.»
Die Einsicht gilt von Troja bis Trump. Der 47. Präsident ist keine Ausnahme, keine Monstrosität in sonst so aufgeklärten Zeiten. Er ist eine historische Konstante. Wem das zu fatalistisch klingt, mag sich damit trösten, dass die Welt trotzdem nicht zugrunde gegangen ist.
Mangelnde Vernunft ist auch kein Privileg von Populisten, wie die etablierten politischen Kräfte nicht müde werden zu behaupten. John F. Kennedy verhielt sich töricht, dabei war er geradezu ein Anti-Trump: Pragmatisch und unideologisch vertrat er moralische Grundsätze, auch wenn er sich nicht immer daran hielt.
Dennoch war es Kennedy, der sein Land tief in den Sumpf des Vietnamkriegs zog. Das amerikanische Engagement entwickelte sich von einer bescheidenen Mission mit Militärberatern zu einem Einsatz mit allen Tötungswerkzeugen des industriellen Kriegs: Flächenbombardements, Napalm und dem berüchtigten Entlaubungsmittel Agent Orange.
Viele erklären Trumps Handeln mit seiner niedrigen Gesinnung und Primitivität. Das aber ist fromme Täuschung. Selbst beste Absichten schützen nicht vor Scheusslichkeiten: siehe Vietnam. Ausgerechnet Richard Nixon, für viele der Erzschurke unter den US-Präsidenten, hatte einen Plan und beendete den unseligen Krieg. Seine Vorgänger waren ohne klare Strategie in das Militärabenteuer gestolpert, Getriebene des Moments und der scheinbaren Sachzwänge.
Kennedy ahnte, dass die USA den Krieg nicht gewinnen würden: «Wenn er je zu einem Krieg des weissen Mannes wird, werden wir ihn verlieren wie vor einem Jahrzehnt die Franzosen.»
Der Präsident erkannte die Wahrheit, aber er handelte nicht danach. Er glaubte zutiefst an die amerikanische Mission, die Freiheit zu verteidigen. Vietnam war nur der Schauplatz, der Vietcong nur der Platzhalter in der universellen Auseinandersetzung zwischen Freiheit und Kommunismus.
In der Politik behalten die Überzeugungen oft die Oberhand über den Realitätssinn. Kennedy handelte in voller Kenntnis der Fakten, doch er zog es vor, diese in einer Weise zu interpretieren, die seiner Weltsicht entsprach. Daher sollte man nicht darauf vertrauen, dass Trump sein Vorgehen grundlegend ändern wird, auch wenn er angesichts des Chaos an den Märkten vorläufig zurückweicht.
Die menschliche Gabe, die Tatsachen den Meinungen zu unterwerfen, ist nahezu unerschöpflich; vor allem wenn die Akteure Überzeugungstäter sind wie das Mastermind der US-Zollpolitik, Peter Navarro, und sein Präsident.
Dummheit ist politischer Unvernunft zuträglich, doch Intelligenz schützt nicht davor. Kennedys engste Mitarbeiter und Minister galten geradezu als «The Best and the Brightest», als Vertreter der geistigen Elite Amerikas. Sie waren wie Trumps Mannschaft «Loyalisten»: ihrem Präsidenten treu ergeben, gleich alt und wie er Veteranen des Zweiten Weltkriegs.
Männer, die glaubten, die Welt zu kennen, und doch stolz darauf waren, Höflinge an Kennedys Hof zu sein. Wenn ein Herrscher kein starkes Gegengewicht in seiner Umgebung hat, steigt das Risiko von Fehlentscheidungen. Homogenität im Denken fördert ideologische Übertreibungen.
Die Wähler sind nicht besser als die Politiker
Die Torheit der Regierenden ist nur eine Seite der Medaille. Die andere ist die Irrationalität der Regierten. Steigende Preise, fallende Kurse und damit ein Loch in der Altersversorgung sollten selbst in der Wolle gefärbte Trump-Anhänger an ihrem Idol verzweifeln lassen und den Republikanern eine Niederlage bei den Zwischenwahlen bescheren. Das Szenario ist aber längst nicht so gewiss, wie die kommentierende Klasse verkündet.
Die Ökonomen glaubten lange an den «Homo oeconomicus», der rational seine Interessen vertritt. Das war schon vor Trump weltfremd. Der Mensch hat Emotionen, Ängste und Ideale – seine Entscheidungen sind im besten Fall halbwegs rational.
Wie sich das auswirkt, lehrt der Brexit. Auch dieser schadete der Wirtschaft, wenngleich nicht in dem Mass, wie von den Ökonomen prophezeit. Dennoch entschieden sich die Briten im Referendum 2016 für ihn. Sie verhalfen ausserdem Boris Johnson, dem lautesten Propagandisten des Austritts, drei Jahre später zu einem glanzvollen Wahlsieg.
Die Brexit-Parole «Take back control» war den Briten wichtiger als wirtschaftliche Vernunft. So sollte man damit rechnen, dass auch Trumps Wähler die grandiose Geste der nationalen Selbstbehauptung höher veranschlagen als trockene Kennziffern.
Zudem können irrationale Entscheidungen einen rationalen Kern haben, selbst wenn ihn die meisten Beobachter nicht sehen (wollen). Die Europafrage hatte die Tories tief gespalten und der nationalistischen Unabhängigkeitspartei gewaltig Auftrieb gegeben. Mit dem Referendum suchte Premierminister David Cameron den Befreiungsschlag. Er verlor die Abstimmung zwar und trat zurück. Seine Partei blieb indes acht weitere Jahre an der Macht. Die Nationalisten wurden geschwächt.
Der Brexit, der als eine der grossen Dummheiten der Zeitgeschichte gilt, zahlte sich für die Tories aus. Für sie war das Hasardspiel eine riskante, aber erfolgreiche Wette.
Die Torheit der Regierenden wird vollends zu einem Vexierspiel, wenn man eine weitere Variable in die Gleichung einbezieht. Vernünftig zu handeln, bringt in der Demokratie nicht unbedingt Erfolg. Kanzler Gerhard Schröder musste das bitter erfahren. Seine Hartz-Reformen trugen dazu bei, dass Deutschland einen unvergleichlichen Aufschwung erlebte.
Dennoch verlor der Sozialdemokrat Wahl und Amt. Für ihn wäre es machtpolitisch sinnvoller gewesen, das wirtschaftlich Unvernünftige zu tun. Die SPD verleugnete die Reformen und ihren Urheber. Sie trat den langen Marsch in den Niedergang an. Aus einer Partei des Mittelstandes wurde eine Partei der Sozialhilfeempfänger.
Politische Torheit basiert nur selten auf schlichter Dummheit oder Borniertheit. Sie ist die Folge eines Kalküls, das Chancen und Risiken abwägt, auch wenn es am Ende irrt. Politik entsteht im Wechselspiel zwischen den Emotionen der Regierenden und denen der Regierten. Da verspricht die Unvernunft nicht selten mehr Ertrag als die Vernunft.
Die Herrschenden handeln im Augenblick. Die wenigsten besitzen eine echte Strategie, die auch den übernächsten Spielzug vorhersieht. Der Historiker hat es da einfacher als der Politiker. Er ist der Prophet der Vergangenheit und nicht der Spielball der Gegenwart.