Sara Künzli, Chefin des Amts für Raumentwicklung, erklärt, wie sie dem wachsenden Widerstand gegen den Umbau des Landes begegnet.
Sara Künzli ist seit Sommer 2024 Chefin des kantonalen Amts für Raumentwicklung. Als solche muss sie das Wachstum des Kantons Zürich so organisieren, dass dieser trotz beschränktem Platz auch in Zukunft ein attraktiver Standort für alle bleibt.
Frau Künzli, kennen Sie diesen Gedanken im Zug, im Zoo oder in der Badi, dass es einfach zu viele Leute hat? Kennen Sie Dichtestress?
Ja, ich kenne Dichtestress. Zum Beispiel am Samstagmorgen in der Stadt Zürich. Da hat es spürbar mehr Leute als früher. Ich dachte mir auch schon, dass ich auf einen anderen Tag ausweichen muss, um einzukaufen.
Die SVP will per Initiative die 10-Millionen-Schweiz verhindern – was halten Sie davon?
Ich halte wenig von fixen Beschränkungen. Ich bin auch Juristin und Raumplanerin geworden, weil mir Werte wie Gerechtigkeit und sozialer Zusammenhalt wichtig sind. Dazu gehört es, auch neue Mitglieder in die Gesellschaft aufzunehmen.
Aber es würde Ihren Job als Chefin des Amts für Raumentwicklung erleichtern – Sie müssten sich nicht mehr überlegen, wie Sie 2 Millionen Menschen im Kanton Zürich unterbringen.
Ich weiss nicht, ob es einfacher würde. Die Herausforderungen bestehen ja jetzt schon – obwohl wir noch nicht 2 Millionen sind. Die Nutzungsansprüche an den knappen Raum im Kanton sind hoch, und es bestehen viele Zielkonflikte.
Wenn der Druck schon jetzt hoch ist: Ist es da überhaupt sinnvoll, Platz für noch mehr Menschen zu schaffen?
Man muss an gesellschaftliche und volkswirtschaftliche Zusammenhänge denken, nicht nur an den verfügbaren Raum. Uns geht es im Kanton Zürich auch deshalb so gut, weil wir wachsen.
Denken Sie insgeheim nicht: Eigentlich würde ich lieber auf die Bremse treten?
Das ist nicht meine Aufgabe. Aber es ist wichtig, dass sich die Kantonsregierung mit der Steuerung des Wachstums befasst – weil das nicht allein über die Raumplanung geht.
Die Kantonsregierung hat letztes Jahr das Projekt «Wachstum 2050» lanciert, um zu klären, wie der Kanton Zürich weitere 400 000 Menschen aufnehmen kann. Wo sollen die alle hin?
Ich bin überzeugt, dass der bisherige Weg ein guter ist: Statt das Wachstum über den ganzen Kanton zu verteilen, sollen 80 Prozent auf die urbanen Zentren konzentriert werden, die gut erschlossen sind. Zudem trennen wir Bau- und Nichtbaugebiet konsequent, um die Landschaft zu bewahren.
Die Zentren ausbauen tönt gut, aber in der Stadt Zürich geht der Ausbau weniger schnell voran als gedacht. Zudem reichen die Reserven dort nur für 70 000 Menschen.
Das Wachstum soll nicht nur in den Städten Zürich und Winterthur stattfinden, sondern auch in den angrenzenden Agglomerationsgemeinden und anderen urbanen Gebieten.
Werden die eher noch stärker betroffen sein als die Stadt?
Ja, das passiert zum Teil bereits. Im Limmattal und im Glatttal etwa wächst die Bevölkerung überproportional schnell.
Der Arbeitsplatz von Sara Künzli liegt mitten in der Stadt Zürich, ihr Einsatzgebiet reicht weit darüber hinaus.
Das klingt nach einer verkehrten Welt. Warum wird an den Stadträndern verdichtet statt im Zentrum?
Es gibt einerseits eine Verteilung des Wachstums innerhalb des Kantons. Und andererseits gibt es auch innerhalb einer Gemeinde für die Verdichtung geeignete und weniger geeignete Quartiere. Wir müssen die gebaute Realität berücksichtigen. Gerade in den Zentren hat es oft historische Ortskerne, die die Qualität einer Stadt ausmachen. Darum ist allgemein akzeptiert, dass diese sich nicht so stark verändern sollen. Anders als neuere Quartiere.
Wenn die Stadt über ihren Rand hinauswächst: Sollten dann auch die politischen Grenzen neu gezogen werden?
Aus planerischer Sicht nicht, auf kantonaler Ebene denken wir die Stadt und ihre umliegenden Gemeinden bereits jetzt über die politischen Grenzen hinaus. Themen, die alle betreffen, werden dabei abgestimmt, zum Beispiel der Verkehr. Die Stadt Zürich löst viele Probleme zwar eigenständig, aber es gibt Kooperation über die bestehenden Grenzen hinweg – und das ist auch nötig.
Müsste es in der Stadt nicht deutlich mehr in die Höhe gehen?
Das könnte eine Lösung sein, da ist man dran. Ich denke nicht an Skylines wie im Ausland – ich zweifle, ob Hochhäuser wirklich dazu beitragen, mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Aber eine deutliche Erhöhung der Ausnützung am richtigen Ort hilft. In diesem Zusammenhang finde ich es vernünftig, dass man die Grenze, ab der ein Haus als Hochhaus zählt, von 25 auf neu 30 Meter anheben möchte. Dadurch kann man ein oder zwei Geschosse höher bauen als bisher, ohne dass die strengeren Bestimmungen für Hochhäuser gelten.
Seit zehn Jahren setzt der Kanton Zürich nun auf diesen Plan, die Zentren auszubauen und die Landschaft zu schützen. Aber der Widerstand wächst. Scheitert dieser Ansatz gerade?
Das glaube ich nicht. Aber der Unterschied ist: Man erlebt jetzt, was es bedeutet, wenn nach diesem Ansatz gebaut wird. Es wird für die Bevölkerung real. Das löst Emotionen aus.
Sie leben selbst am Zürcher Stadtrand in Witikon, wo viel gebaut wird. Wie geht es Ihnen damit?
Dort sind Grünflächen verschwunden, aber das Quartier wurde auch belebt. Ich erlebe das mit meiner Familie mit vier Kindern nicht als Nachteil.
In Kloten ist die Bevölkerung skeptischer. Sie hat vor kurzem an der Urne ein Grossprojekt versenkt, das Wohnraum für 7000 Menschen geschaffen hätte – das wurde als Warnsignal und Wendepunkt gewertet.
Die ansässige Bevölkerung erkannte offenbar den Nutzen dieses Projekts nicht. Wenn verdichtet gebaut wird, dürfen wir nicht nur an jene Menschen denken, die neu hinzuziehen. Die Qualität muss auch für die ansässige Bevölkerung stimmen. Das Ziel ist eine Lösung, die von der Mehrheit akzeptiert wird. Das geht nur durch Zusammenarbeit – davon sind wir überzeugt.
Was hätte man anders machen müssen?
Wir hatten das Gefühl, dass die Beteiligten dort alle Bedürfnisse abgeholt haben. Aber in der Bevölkerung wogen wohl die Vorbehalte gegen noch mehr Neuzuzüger schwerer.
Das klingt nach sehr komplizierten Verfahren. Kritiker sagen: Die Raumplanung ist nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems, dass zu wenig Wohnraum entsteht.
Die Raumplanung ist ein Teil dieser Komplexität. Früher war es einfacher, man konnte auf der grünen Wiese Ideen entwickeln. Heute planen wir mitten im bebauten Raum. Dazu kommen viele neue Anforderungen, so etwa der Klima- und Umweltschutz. Es sind häufiger Interessenabwägungen notwendig. Daran müssen wir unsere Prozesse anpassen.
Ein häufiger Einwand ist, dass Verdichtung zu Verdrängung führt. Wird das für Sie zum Problem?
Ja, die Raumplanung hat sich früher nicht so intensiv um soziale Fragen kümmern müssen. Das hat sich geändert. Wir wollen auch in Zukunft eine gute Durchmischung der Wohnbevölkerung. Wichtig ist auch, dass die Leute nah am Arbeitsplatz wohnen können. Ich habe persönlich erlebt, wie schwierig es ist, in Zürich eine bezahlbare Wohnung zu finden: Zwei meiner Kinder, die in der Stadt arbeiten, mussten sehr lange suchen. Wir haben eine gesellschaftliche Verantwortung, Lösungen zu finden, um die Verdrängungseffekte abzuschwächen.
Nämlich?
Ein Ansatz ist die Regelung, preisgünstigen Wohnraum einzufordern, wo dichter gebaut werden darf. Aber ich glaube nicht, dass gesetzliche Vorschriften immer das Richtige sind.
Was dann?
Ich richte lieber einen Appell an die Gesellschaft: Wir sind selbst dafür verantwortlich, so zu bauen, dass wir eine gute Lebensqualität für alle Bevölkerungsgruppen erreichen. Wir können nicht alles ins Gesetz schreiben und meinen, wir hätten dann keine Probleme mehr. Es gibt zu viele Zielkonflikte.
Jetzt haben wir die hohe Ebene der Raumplanung verlassen und befinden uns ganz unten beim konkreten Bauprojekt. Richtet sich Ihr Appell an die Grundeigentümer?
Ja, wir erleben oft, dass bei grossen Bauvorhaben individuelle Interessen im Vordergrund stehen, etwa eine maximale Ausnützung. Aber es gibt daneben auch viele öffentliche Anliegen, die berücksichtigt werden müssen. Wir kommen besser miteinander zurecht, wenn wir wieder mehr an die Gesamtgesellschaft denken. Wer baut, sollte daran interessiert sein, dass sein Projekt von der örtlichen Bevölkerung getragen wird.
Die Bevölkerung merkt vor allem, dass sich durch die Neubauten das Gesicht des öffentlichen Raums verändert. Im schnell wachsenden Affoltern am Albis etwa wollten laut der Stadtpräsidentin die Grundeigentümer bei einem grossen Verdichtungsprojekt die Gestaltung partout nicht koordinieren – es resultierte ein entsprechend enttäuschendes Ergebnis.
Es ist wichtig, dass man bei jedem Projekt auch an den Aussenraum denkt, an die Aufenthaltsqualität im Quartier. Dieser Punkt wurde in der Vergangenheit nicht immer ausreichend beachtet.
Passiert das nicht sowieso, weil ein attraktives Umfeld im Interesse der Bauherrschaften ist?
Nein, das passiert nicht automatisch. Dazu müssen die Leute, die bauen, für das Thema sensibilisiert werden. Die Siedlungsentwicklung nach innen muss Qualität haben, sonst wird sie nicht akzeptiert.
Sollen Gemeinden hier in private Planungen eingreifen?
Gemeinden haben hier eine entscheidende Rolle. Wir ermutigen sie, sich dafür einzusetzen, und unterstützen sie dabei. Der Austausch mit der Bevölkerung und den Grundeigentümern kann zum Beispiel an Infoanlässen, Workshops oder Quartierbegehungen stattfinden. Dieser kooperative Ansatz trägt dazu bei, langwierige formelle Verfahren und rechtliche Auseinandersetzungen zu reduzieren.
Zu Sara Künzlis Verantwortung gehören neben der Raumplanung auch die Abteilungen Archäologie und Denkmalpflege sowie die Geoinformation.
Könnte man es nicht viel einfacher haben, indem man den eingeschlagenen Kurs korrigiert und an den Stadträndern wieder neues Bauland einzont?
Das wäre eine einfallslose, billige Lösung mit hohen Verlusten. Damit würden wir noch mehr wertvolles Kulturland verbrauchen – und hätten danach keine bessere Siedlungsqualität. Dann stehen wir in zwanzig Jahren wieder am gleichen Ort wie heute.
Es heisst, die bestehenden Baulandreserven im Kanton böten Platz für 600 000 Leute. Doch davon merkt man wenig. Warum werden diese Reserven kaum genutzt?
Da spielen viele Faktoren hinein. Viele Grundstücke sind bereits bebaut, aber nicht vollständig ausgenutzt. Der Entscheid, zu erweitern oder neu zu bauen, hat mit Steuern, Einkommen, der Lebensplanung und auch mit komplizierten Bauverfahren zu tun.
Apropos komplizierte Verfahren: Müsste das Baugesetz entrümpelt werden?
Für Bauherrschaften ist es sicher sehr schwierig, da durchzublicken. Jede Bestimmung in diesem bald fünfzigjährigen Gesetz ist aber einst von der Bevölkerung angenommen worden. Man war der Ansicht, dass es ohne diese Regeln nicht gut kommt. Ich plädiere eher für weniger Vorschriften, dafür sollen die Behörden bei der Anwendung wieder mehr Ermessensspielraum haben. Gute Baukultur erreichen wir nicht über Gesetzesbestimmungen, sondern in einem gesellschaftlichen Aushandlungsprozess.
Wir erleben stattdessen, dass es immer neue Möglichkeiten gibt, Bauvorhaben anzufechten.
Nachbarn haben es heute tatsächlich leicht, Bauvorhaben um Jahre zu verzögern. Das ist eine Fehlentwicklung, früher war das strenger geregelt. Ich finde es richtig, dass sich ein Nachbar in einem Rechtsstaat wehren kann, wenn ihn ein Projekt in seinen Interessen betrifft. Aber heute kann man auch Gründe geltend machen, die einen gar nicht direkt tangieren.
In Otelfingen gibt es ein riesiges Areal mitten im Dorf, das seit fünfzig Jahren brachliegt, weil sich die Besitzer nicht auf ein Projekt einigen können. Ist das ein Einzelfall?
Nein, wir kennen solche Parzellen. Das Stichwort heisst Baulandmobilisierung – die Frage, ob man die Eigentümer zum Verkauf an eine bauwillige Person bewegen soll. Bisher waren wir beim Kanton der Ansicht, dass dies nicht nötig ist, weil der Druck gross genug ist. Jetzt haben wir aber festgestellt, dass es den einen oder anderen Fall gibt, wo dies nicht zutrifft. Dem müssen wir nachgehen. In manchen Fällen sind die Bauzonenreserven aber auch schlicht am falschen Ort.
Inwiefern?
Das Bauland liegt an Orten, die nicht erschlossen sind und wo kein Interesse an einer Bebauung besteht. Wir haben mit dem kantonalen Mehrwertausgleich ein finanzielles Anreizsystem geschaffen, das dafür sorgen sollte, dass solche Parzellen wieder ausgezont und dafür Land am richtigen Ort eingezont wird. Die Idee war, ganz ohne Zwang Bauland in die urbanen Räume zu transferieren. Aber das funktioniert noch nicht, weil wir noch kein Geld haben, um Auszonungen finanziell zu unterstützen.
Zweifeln Sie angesichts all dieser Probleme nie daran, dass Ihr Job überhaupt zu bewältigen ist?
Nein. Ich sehe meine Aufgabe als Amtschefin genau darin, dass wir trotz den zahlreichen Herausforderungen den Blick fürs Gesamtsystem nicht verlieren. Nur dann bekommen wir die grossen Probleme in den Griff. Wir können diese nicht am Einzelfall lösen. Das wird heute leider oft versucht – und gelingt dann häufig nicht.