Die Solothurner Freisinnigen verlieren einen Regierungssitz an die SVP. Die Wahl ist historisch. Und sie zeigt, dass die FDP ein doppeltes Frauenproblem hat, eins bei sich selbst und eins mit der SVP.
Viel Hag und wenig Garten: Das ist der Kanton Solothurn. Wild verästelt und verzweigt liegt er zwischen Bern, dem Aargau und Baselland, ist weder richtig gross noch richtig klein, liegt irgendwie dazwischen, in jeder Hinsicht. Manche meinen, Solothurn sei eine Durchschnittsschweiz. Wenn das stimmt, muss sich die FDP Schweiz Sorgen machen. Der ehemals stolze Solothurner Freisinn hat bei den diesjährigen kantonalen Wahlen zwei schmerzhafte Niederlagen erlitten.
In beiden Fällen heisst die grosse Siegerin SVP. Am Sonntag hat sie nach vielen erfolglosen bis blamablen Versuchen erstmals einen Sitz in der Kantonsregierung erobert – zulasten der FDP, die neu nur noch einen Regierungsrat stellt. Bereits im März hatte die SVP die Freisinnigen bei den Kantonsratswahlen zum ersten Mal in der Geschichte als stärkste Partei im Kanton abgelöst.
Mit Frauen kann die SVP gewinnen
Die Folgerungen, die der Politologe Lukas Golder von GfS Bern aus den Wahlen in Solothurn zieht, verheissen für die FDP nichts Gutes. Im Zentrum seiner Argumentation stehen die Frauen: «Die SVP lernt gerade, dass sie mit Frauen bei Majorzwahlen deutlich bessere Chancen hat, auch wenn diese weniger bekannt sind als männliche Kandidaten.» Tatsächlich waren in Solothurn prominente SVP-Männer von Roland Borer bis Christian Imark reihenweise gescheitert, bevor nun mit Sibylle Jeker eine relativ unbekannte Kandidatin souverän gewählt wurde.
Weitere Beispiele sind die St. Galler Ständerätin Esther Friedli oder die Zürcher Regierungsrätin Natalie Rickli. «Ganz offensichtlich haben Wähler anderer Parteien weniger Hemmungen, SVP-Frauen zu wählen als -Männer», sagt Golder, der selber in der Region Solothurn lebt. Er geht davon aus, dass die SVP nun in der ganzen Schweiz vermehrt Frauen portiert, um insbesondere im Ständerat zuzulegen, der ebenfalls nach den Regeln des Majorz gewählt wird.
«Wenn das gelingt, dürfte vor allem die FDP darunter leiden», sagt Golder. Zum einen, weil sie der SVP am nächsten stehe, zum anderen, weil sie – vor allem wegen der Konkurrenz durch die GLP – Mühe habe, zugkräftige Frauenkandidaturen aufzubauen und Wählerinnen anzusprechen.
Kritisch wird es für den Freisinn, wenn er gleichzeitig auch bei den Nationalratswahlen verliert. Das scheint aus heutiger Sicht – nicht zuletzt nach den Solothurner Wahlen – durchaus realistisch. In acht von zehn Kantonen, in denen seit den nationalen Wahlen vom Oktober 2023 die Parlamente neu bestellt worden sind, hat die FDP verloren.
Allerdings sollte man keine voreiligen Schlüsse ziehen. In manchen Kantonen, in denen die FDP markant verloren hat, ist sie nach wie vor relativ gut positioniert. So liegt sie etwa in Solothurn noch haarscharf über der 20-Prozent-Marke, ab der man von einer Volkspartei sprechen kann. In der Waadt und in Appenzell Ausserrhoden kann die FDP sogar Werte über 30 Prozent vorweisen. In Zürich hingegen kommt sie noch auf 16 und in Bern auf 11 Prozent. Das alles sind Werte aus kantonalen Parlamentswahlen. Bei den Nationalratswahlen schneidet die FDP traditionell schlechter ab.
Setzt sich der kantonale Trend national fort, droht Ungemach. «Wenn die FDP 2027 bei den National- und den Ständeratswahlen verliert, wird sich zwangsläufig die Bundesratsfrage stellen», prophezeit Lukas Golder. Schon heute ist die Partei mit zwei Sitzen im Bundesrat rein rechnerisch übervertreten. Entscheidend ist vermutlich der Ausgang des Zweikampfs zwischen der FDP und der Mitte-Partei, die nur einen Bundesratssitz hat, obwohl sie im Nationalrat nur noch knapp hinter der FDP liegt und im Ständerat vor ihr.
«Turnaround muss auf nationaler Ebene stattfinden»
Was also kann die FDP unternehmen, um eine Niederlage 2027 abzuwenden? Vor allem: Wie soll sie damit umgehen, dass sie in manchen Kantonen tatsächlich noch als grosse Volkspartei etabliert ist, während davon in anderen keine Rede mehr sein kann? «Eine inhaltliche Differenzierung, die Rücksicht auf regionale Befindlichkeiten nimmt, funktioniert nicht», sagt der Politologe Golder. «Der Turnaround muss auf nationaler Ebene stattfinden. Aber wenn ich sehe, wie sich die FDP in den kantonalen Wahlen bis jetzt entwickelt, kann ich mir nicht vorstellen, wie dies bis 2027 gelingen soll.»
Golder sieht im Prinzip zwei Optionen: eine weitere Annäherung an die SVP mit Abweichungen vor allem in aussenpolitischen Fragen – oder vermehrte Kooperationen mit dem Mitte-links-Lager in umwelt- oder sozialpolitischen Fragen, was eine deutliche Abkehr vom Kurs der amtierenden Führungsequipe um Präsident Thierry Burkart bedingen würde. Welche Variante ist eher erfolgversprechend?
«Die FDP muss von Fall zu Fall entscheiden, wie viel Nähe zur SVP sie braucht, aber auch erträgt», sagt der Politologe. In Solothurn wäre aus seiner Sicht eine Listenverbindung sinnvoll gewesen, in anderen Kantonen sehe das anders aus. Ihren liberalen Kern aber, findet Golder, dürfe die FDP gerade auch in gesellschaftsliberalen Fragen keinesfalls verlieren.
Muss die FDP der SVP sogar dankbar sein?
Einen klaren Plan für die FDP hat Simon Michel, seines Zeichens Unternehmer, Nationalrat und einziger Vertreter der Solothurner FDP im Bundeshaus. Er sagt: «Wir müssen uns klar als rechte bürgerliche Partei positionieren, die sich für eine liberale, offene und international vernetzte Schweiz einsetzt.» Frei übersetzt: Die FDP marschiert in vielen Fragen mit der SVP, grenzt sich aber gezielt dort ab, wo die SVP am weitesten geht – bei der Europa- und der Ausländerpolitik.
Simon Michel selbst formuliert es so: «In vielen Bereichen haben wir Übereinstimmung mit der SVP, das müssen wir nicht verstecken.» Auch die FDP, findet Michel, solle sich für eine harte Asylpolitik einsetzen und für eine vernünftige Energiepolitik mit modernen AKW – «aber wir sind nicht fremdenfeindlich, wir wollen eine gute Zusammenarbeit mit unseren Nachbarn, und wir wollen aus der Schweiz keine Insel machen». Michel geht davon aus, dass die FDP Wähler zurückholen kann, die heute der SVP die Stimme geben, sich aber an deren «zu extremen» Positionen in der Ausländer- und der Aussenpolitik stören.
Aus dieser Perspektive kann die FDP sogar dankbar sein, dass die SVP zurzeit mit mehreren radikalen Initiativen für Unruhe sorgt: gegen die Personenfreizügigkeit, für eine strikte Auslegung der Neutralität, für die Rückkehr zu systematischen Grenzkontrollen. «Das sind drei Steilpässe für uns», freut sich Michel, «bei allen diesen Themen können wir uns abgrenzen und den Leuten aufzeigen, wie schädlich es für die Schweiz wäre, wenn die SVP sich durchsetzen würde.»
Die FDP müsse lauter und härter werden, fordert Michel, müsse die Widersprüche der SVP offensiver ansprechen: dass ihre Initiativen die letzten Reste der Rüstungsindustrie zerstören, die Landesverteidigung beschädigen, den Fachkräftemangel verschärfen, den Asyldruck erhöhen würden – das müsse die FDP immer und immer wieder betonen. «Wir müssen den Kampf suchen, dann gewinnen wir ihn auch.»
Ob das gelingt? Eine wichtige Weichenstellung steht kurz bevor: Im Oktober will die FDP an einer Delegiertenversammlung ihre Position zu den neuen Verträgen mit der EU festlegen. Simon Michel, einer der wichtigsten Befürworter, hofft auf eine klare Mehrheit für die Abkommen. Andere in der FDP sind skeptischer. In einem Punkt aber herrscht wohl Einigkeit: Unabhängig davon, wie sie ausgeht, ist die Debatte über die neuen Verträge mit der EU nicht nur für die Schweiz potenziell folgenschwer, sondern auch für die FDP.