Der französische Präsident plant, die Waffenproduktion seines Landes massiv zu beschleunigen. Gleichzeitig will er die europäischen Partner dazu bringen, verstärkt Rüstungsgüter «made in France» zu kaufen.
Ein Präsident vor Kampfjets, umringt von Soldaten in olivgrüner Uniform: Emmanuel Macron weiss um die Macht solcher Bilder. Als sich das französische Staatsoberhaupt am 18. März auf dem Rollfeld der Luftwaffenbasis Luxeuil-Saint-Sauveur fotografieren liess, passte das nahtlos zu seiner Ankündigung, den Militärflugplatz im Nordosten des Landes bis 2035 mit zwei zusätzlichen Rafale-Staffeln auszustatten.
Frankreich macht Ernst mit der Aufrüstung, so die Botschaft – und es beginnt mit seiner Luftwaffe. Rund 1,5 Milliarden Euro, sagte Macron in Luxeuil-Saint-Sauveur, sollten in den Ausbau und die Modernisierung des Standorts fliessen. Die geplanten Staffeln sollen jeweils mindestens 15 Rafale-Kampfjets umfassen – Maschinen, die im Ernstfall den atomwaffenfähigen Marschflugkörper ASMPA-R tragen können. Damit stärkt Paris nicht nur seine konventionellen Fähigkeiten, sondern auch die Glaubwürdigkeit seiner luftgestützten atomaren Abschreckungskraft.
Mehr Unabhängigkeit, mehr Jobs
Zwei Tage später setzten auch der französische Verteidigungsminister Sébastien Lecornu und der Wirtschaftsminister Éric Lombard ein Zeichen: Sie eröffneten in Bergerac, im Südwesten des Landes, ein neues Werk des staatlichen Rüstungskonzerns Eurenco. Es soll künftig 1200 Tonnen Schiesspulver pro Jahr produzieren können, Kostenpunkt: 150 Millionen Euro. Mehr Munition für Frankreichs Streitkräfte, mehr strategische Unabhängigkeit und ausserdem mehr Jobs – 250 neue Mitarbeiter will Eurenco einstellen –, die beiden Minister hatten nur Gutes zu verkünden.
Doch Frankreichs Ambitionen gehen über die nationale Verteidigung hinaus: Macron will nicht nur die militärische Einsatzfähigkeit seines Landes stärken, er will die französische Rüstungsindustrie auch zur tragenden Säule einer europäischen Aufrüstung machen. Wenige Tage vor seinem Besuch in Luxeuil-Saint-Sauveur appellierte Macron in einem Interview an die EU-Partner, ihre Beschaffungspolitik zu überdenken.
Staaten, die sich daran gewöhnt hätten, amerikanische Produkte zu kaufen, sollten davon überzeugt werden, auf «lokale Optionen» umzusteigen. Denn: Wer europäische Sicherheit ernst nehme, so Macron, müsse auch europäisch einkaufen. «Diejenigen, die das Patriot-System kaufen, sollten das neue französisch-italienische SAMP/T wählen. Und wer sich für den F-35 entscheidet, sollte den Rafale in Betracht ziehen», sagte er.
Der Satz bringt Macrons Kalkül auf den Punkt. Europa soll sicherheitspolitisch unabhängiger werden – aber nach Möglichkeit mit französischer Technik, französischen Arbeitsplätzen und französischer Wertschöpfung. Das dürfte in vielen Fällen schwierig werden: Die Niederlande und Belgien bestätigten erst kürzlich, wie das Nachrichtenportal «Politico» schreibt, am Kauf der F-35 festzuhalten. Deutschland und Finnland setzen ebenfalls weiter auf die Kampfjets des amerikanischen Herstellers Lockheed Martin.
Zweitgrösster Rüstungsexporteur
Und auch in Ostmitteleuropa richten die meisten Staaten ihre Rüstungsbeschaffung stark auf die Nato aus und kaufen bevorzugt dort, wo die Standards gesetzt werden: in den USA. Macrons Angebot, auf europäische Alternativen umzusteigen, stösst in diesen Ländern traditionell auf Misstrauen. Kritiker sehen in der Forderung nach mehr europäischer Eigenständigkeit ein verstecktes französisches Verkaufsprogramm. «Buy European» ist für sie in Wahrheit nichts anderes als «Buy French».
Frankreich zählt heute zu den weltweit führenden Rüstungsexporteuren. Laut dem schwedischen Friedensforschungsinstitut Sipri überholte das Land im Zeitraum 2019 bis 2023 sogar Russland und nahm hinter den USA den zweiten Platz ein. Rund 11 Prozent der globalen Waffenexporte stammen mittlerweile aus französischer Produktion. Und der Kampfjet Rafale spielt dabei eine zentrale Rolle: Seit Jahren erzielt das Flugzeug aus dem Hause Dassault Aviation Exporterfolge im Nahen Osten und in Südasien. 2022 machte es 78 Prozent der französischen Rüstungsexporte aus, mit einem Gesamtwert von rund 21 Milliarden Euro.
Die französische Rüstungsindustrie sichert laut dem Branchenverband Gicat direkt und indirekt über 200 000 Arbeitsplätze. Neben Dassault sind vor allem Thales, MBDA, Nexter und Eurenco zentrale Akteure. Macron will diesen Sektor durch staatliche Aufträge und politische Unterstützung auf internationaler Bühne weiter stärken.
Anspruch auf Führungsrolle
Auf europäischer Ebene treibt Macron seine Strategie mit Nachdruck voran. Bereits 2017 hatte er eine europäische Verteidigungsunion ins Spiel gebracht. Inzwischen nutzt er jede Gelegenheit, um die gemeinsame Rüstungsproduktion zu propagieren. Im Frühjahr 2024 schlug Frankreich gemeinsam mit Estland und Tschechien das European Defence Industry Programme vor, mit dem die EU-Kommission Rüstungsaufträge direkt vergeben und gemeinsame Beschaffungen finanziell fördern soll. Ziel ist eine koordinierte Rüstungsplanung – idealerweise mit europäischen Herstellern als Profiteuren.
Auch der European Defence Fund, den Macron früh unterstützte, spielt dabei eine Rolle. Mit einem Volumen von rund 8 Milliarden Euro bis 2027 soll er Forschung und Entwicklung in der europäischen Rüstungsindustrie fördern. Frankreich gehört zu den Hauptnutzern des Fonds – nicht nur über Konzerne wie Thales und MBDA, sondern auch durch länderübergreifende Grossprojekte wie das künftige Luftkampfsystem FCAS, das gemeinsam mit Deutschland und Spanien entwickelt wird.
Kann die Strategie aufgehen? Zwar teilt ein Teil der EU die Sorge um die sicherheitspolitische Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten. Doch in der Praxis dominieren nationale Interessen und industriepolitische Eigenlogiken. Deutschland etwa setzt trotz gemeinsamen Projekten wie FCAS weiter auf transatlantische Beschaffung, ebenso wie viele osteuropäische Staaten. Frankreichs Anspruch auf eine Führungsrolle in der europäischen Verteidigung wird zwar registriert, aber nicht immer geteilt.
Gewaltige Haushaltslücke
Hinzu kommt: Auch im eigenen Land ist Macrons Rüstungsagenda nicht frei von Spannungen. Frankreich steht vor einer gewaltigen Haushaltslücke. Das Staatsdefizit lag jüngst bei 5,8 Prozent des Bruttoinlandprodukts – deutlich über der EU-Obergrenze von 3 Prozent. Die Verschuldung steigt, und das Haushaltsgesetz für 2025 wurde nur mithilfe eines umstrittenen Verfassungsartikels durchgesetzt. Kritiker fragen längst, wie sich milliardenschwere Rüstungsinvestitionen finanzieren lassen, während gleichzeitig die Sozialausgaben steigen und die Wirtschaft kaum wächst.
Macron hatte bei seiner jüngsten Ansprache an die Nation Anfang März von «Reformen, Entscheidungen, Mut» gesprochen. Was das im Detail heisst, das heisst über welche Kürzungen oder Einschnitte der Staat konkret neues Geld für Verteidigungsinvestitionen auftreiben kann, damit soll sich die fragile Minderheitsregierung von Premierminister François Bayrou nun auseinandersetzen. Die bequemste Lösung für Frankreich wäre natürlich, den Weg über gemeinsame EU-Schulden zu gehen – also Europas Aufrüstung auf Kredit zu finanzieren. Das lehnen andere Mitgliedstaaten wie Deutschland oder die Niederlande bisher aber strikt ab.