Die Welt steuert auf eine Wirtschaftskrise zu. Der Kanton Zürich muss Massnahmen ergreifen und seine Kostenbasis reduzieren.
Das Timing ist perfekt.
Just in der Zeit, in der Donald Trump die Zollmauern hochzieht und die Weltwirtschaft in ein Chaos stürzt, stimmt der Kanton Zürich über eine Entlastung für Unternehmen ab. Zürcher Firmen sollen auf ihren Gewinnen nicht mehr 7, sondern noch 6 Prozent Steuern bezahlen. Am 18. Mai kommt die Vorlage an die Urne.
Die Massnahme mag angesichts der globalen Entwicklungen unbedeutend scheinen. Was ist schon ein Prozentpünktchen an Kantonssteuern angesichts der kolossalen Marktverwerfungen und Unsicherheiten?
Exportorientierte Zürcher Industriebetriebe haben derzeit tatsächlich andere Sorgen als die nächste Steuerrechnung. Sie müssen aus dem unberechenbaren Hin und Her des Weissen Hauses eine schlaue Strategie für die nächsten Monate entwickeln – und ihren amerikanischen Kunden erklären, warum die neue Maschine am Ende vielleicht doch 31 Prozent teurer wird.
Gerade in einem solchen Umfeld ist ein Ja zur Zürcher Steuersenkung notwendiger denn je. Oder wie es der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse formuliert: Es sei jetzt alles zu tun, um die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Schweiz zu stärken. Jede zusätzliche Belastung sei zu vermeiden. Stattdessen brauche es Massnahmen zur Entlastung der Unternehmen.
Auch der FDP-Präsident Thierry Burkart hat recht, wenn er in der «NZZ am Sonntag» eine Senkung der Produktionskosten fordert – wozu namentlich die Steuern und Abgaben gehören.
Zürich hat in dieser Beziehung einen Startvorteil. Während andere Kantone erst in langwierigen politischen Prozessen einen Weg finden müssen, wie sie ihren Unternehmen helfen können, haben die Zürcher Stimmbürger einen schon vor Jahren angekündigten Vorschlag abstimmungsreif vor sich liegen. Sie müssen nur noch zustimmen.
Die Steuersenkung ist zwar kein Gegengift für akute tarifliche Notfälle, sie wird die Unternehmen aber langfristig wettbewerbsfähiger machen und ist deshalb richtig.
Sogar die EU wird attraktiver als Zürich
Auch abgesehen von Trump ist die Massnahme angezeigt. Zürich war nie ein Tiefsteuerkanton, aber er bewegte sich lange Zeit im Mittelfeld. Dort lebte es sich ganz gut, bis die anderen Kantone begannen, ihre Steuern zu senken. Obwohl auch Zürich ein bisschen mitmachte – die Gewinnsteuern wurden per Anfang 2021 von 8 auf 7 Prozent reduziert und zwei Mal auch der Steuerfuss –, verlor der Kanton an Boden. Heute ist nur noch Bern für Unternehmen teurer.
Der Kanton Zürich spürt die destruktiven Folgen einer hohen Steuerbelastung vielleicht weniger stark als andere Kantone. Er ist für viele Firmen attraktiv geblieben. Dies gilt etwa für die Tech-Unternehmen, welche in Zürich die Nähe von Giganten wie Google oder Mitbewerbern wie Open AI und der ETH suchen. Für die zahlreichen Startups sind Steuern in der Anfangsphase sowieso kein Thema.
Gleichzeitig ist es eine Tatsache, dass jedes Jahr viele Firmen den Kanton verlassen. Dafür dürfte es mehrere Gründe geben, aber gerade für besonders rentable Unternehmen, also für die besten Steuerzahler, kann es sich finanziell lohnen, nach Zug oder Schaffhausen zu ziehen.
Unbegründete Angst vor Ausfällen
Was spricht gegen eine Steuersenkung? Widerstand gibt es von den Linken und von links regierten Städten wie Zürich. Sie befürchten ein Loch in der Staatskasse. Der Kanton und die Gemeinden könnten dazu gezwungen werden, Leistungen abzubauen, neue Schulden aufzunehmen oder die Steuern für Privatpersonen zu erhöhen.
Es ist bemerkenswert, wie viele Linke in Steuerfragen immer wieder in die gleiche Falle tappen. Egal, ob es sich um die Besteuerung von Reichen oder von Unternehmen handelt: Sie gehen von einer statischen Welt aus, in der Betroffene auf steuerliche Anreize oder Abschreckungen überhaupt nicht reagieren, sondern einfach brav bezahlen, was von ihnen verlangt wird.
Die Realität ist eine andere. Hohe Steuern schrecken ab, tiefe Steuern ziehen an. Und die Steuerbelastung wird umso wichtiger, je stärker bei den Zöllen und Abgaben, bei den Mieten oder beim Personal der Kostendruck zunimmt.
Dass Steuersenkungen nicht tiefere Einnahmen mit sich bringen, sondern für Mehrerträge sorgen können, zeigen frühere Erfahrungen und Beispiele aus anderen Kantonen.
Als Zürich seine Gewinnsteuern in einem ersten Schritt reduzierte, blieb ein Absturz aus. Der Kanton Genf hat von 2018 bis 2023 seine Steuern um gut 40 Prozent gesenkt. Seine Erträge sind um fast 50 Prozent gestiegen. Auch für Schaffhausen hat sich ein Steuerschnitt mehr als ausbezahlt: Die Sätze wurden um 17 Prozent gesenkt, die Firmensteuern haben sich mehr als verdoppelt. Der Kanton hat letztes Jahr so viele Unternehmenssteuern eingenommen wie noch nie.
Trotzdem ist es nicht falsch, über mögliche Steuerausfälle nachzudenken. Diese drohen aber nicht wegen tieferer Steuersätze, sondern wegen einer wirtschaftlichen Abkühlung. Wenn die USA in eine Rezession rutschen sollten und die EU und die Schweiz mit sich reissen, dann werden auch im Kanton Zürich die Steuererträge einbrechen.
Bereits jetzt, ohne Trump, aber wegen des Abschwungs in Deutschland, befinden sich Teile der Schweizer Wirtschaft in der Krise, gerade in der Industrie. Ein Viertel ihrer Mitglieder schreibt Verluste, wie der Swissmem-Präsident Martin Hirzel kürzlich in einem Gespräch mit der NZZ gesagt hat.
Auch auf dem für Zürich wichtigen Finanzplatz rumpelt es. Die UBS baut schon seit längerer Zeit Stellen ab, und das hat Folgen für die gesamte Zürcher Wirtschaft. An 100 Stellen in der Finanzbranche hängen 97 Stellen in anderen Bereichen, von der Gastronomie über die Kreativwirtschaft bis zu Handwerkern.
Schweizweit stammt etwa jeder achte Steuerfranken aus dem Finanzplatz, wie das Staatssekretariat für internationale Finanzfragen für 2022 festhielt. Im Herzen der Schweizer Wirtschaft, in Zürich, dürfte dieser Anteil noch viel grösser sein, auch wenn der Standort in den letzten Jahren an Bedeutung verloren hat. Im Global-Financial-Centres-Index liegt Zürich nur noch auf Platz 21 und sogar hinter dem Rohstoff-Handelsplatz Genf.
Wohin Trumps Kurs die Welt führen wird, weiss niemand genau. Aber die Risiken nehmen zu. Der Kanton Zürich und seine Gemeinden sollten sich auf eine deutliche Verlangsamung des Wirtschaftswachstums oder gar auf einen Rückgang vorbereiten. Und das heisst, dass sie ihre Kostenbasis reduzieren müssen.
Davon ist bis jetzt nicht viel zu sehen. Der Kanton kleckert nicht, er klotzt. Alleine letztes Jahr hat er über 1600 neue Stellen geschaffen, ähnlich viele waren es in den Vorjahren.
Statt mit Kostensenkungen machen der Kanton und die Stadt Zürich mit Projekten von sich reden, die bestenfalls die Eitelkeit der zuständigen Regierungsmitglieder bedienen und schlimmstenfalls der lokalen Wirtschaft schaden. So wurden Millionen in eine defizitäre Rad-WM gepumpt, welche den Zürcher Unternehmen nichts brachte ausser Verkehrseinschränkungen und Umsatzeinbussen.
Die Finanzdirektion hat derweil fast 90 000 Franken für einen 81 Sekunden kurzen Werbefilm ausgegeben. Dieser will den Zuschauern weismachen, dass das kantonale Steueramt «der Antrieb der Gesellschaft» sei. Nicht die Wirtschaft, nicht die Einwohner. Das Steueramt.
Zur Einordnung: 90 000 Franken entsprechen den Kantonssteuern von zehn Ehepaaren mit einem Einkommen von jeweils 150 000 Franken. 20 Steuerzahler haben also ein Jahr lang hart dafür gearbeitet, damit der Staat mit ihrem Geld ein Promo-Video drehen kann.
Beim Kanton hat man zwar schon festgestellt, dass die Aussichten nicht rosig sind. Doch vor einschneidenden Massnahmen schreckt die Regierung noch zurück. Sie hat, immerhin, bei den Investitionen angesetzt und diese zum Teil nach hinten verschoben. Dieser vergleichsweise sanfte Schritt lässt die Rechnung besser aussehen, sie löst aber keine Probleme, solange die Ausgaben einfach in späteren Jahren anfallen werden.
Prämienverbilligung für Reiche
Von einem ausgeprägten Kostenbewusstsein ist auch im Parlament wenig zu spüren. Gerade erst hat der Kantonsrat gegen den Willen der Bürgerlichen entschieden, weitere 50 Millionen Franken in die Prämienverbilligung zu stecken. Dies trotz Warnungen, dass ein solcher Schritt den Armen gar nichts nützt.
Die Vergünstigung der Krankenkasse war ursprünglich für Personen «in bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen» gedacht. Doch weil diese schon bis zum Maximum unterstützt werden, weiss Zürich kaum noch, wohin mit dem vielen Geld. In gewissen Jahren war das System so grosszügig, dass sogar Familien mit einem Einkommen von 180 000 Franken Anspruch auf eine Prämienverbilligung geltend machen konnten. Das sind keine bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnisse mehr. Das ist oberer Mittelstand.
Es lebt sich gut im Staate Zürich. Noch. Doch härtere Zeiten werden kommen. Die Verantwortlichen beim Kanton und den Gemeinden brauchen keinen Elon Musk, der ihnen erklärt, wie sie effizienter werden können. Sie müssen einfach den Mut finden, auch unpopuläre Massnahmen umzusetzen. Und dabei nicht vergessen, dass auch die Steuerzahler entlastet werden sollten.