Der FDP-Politiker Lionel Voinçon hatte an der Fasnacht wegen seiner Beteiligung an als rassistisch und sexistisch empfundenen Graffiti von sich reden gemacht.
Eigentlich hätte die FDP Grund zur Freude. In der Waadtländer Stadt Payerne ist ihr Kandidat Lionel Voinçon am Sonntag im ersten Wahlgang zum Stadtpräsidenten gewählt worden. Er hatte 60 Prozent der Stimmen erhalten und sich gegen den sozialdemokratischen Kandidaten Nicolas Schmid vom Parti des socialistes et indépendants payernois (PSIP) durchgesetzt.
Damit übernehmen die Freisinnigen fünf Jahre nach dem Wechsel von Christelle Luisier in den Waadtländer Staatsrat wieder das Stadtpräsidium der Kleinstadt. Die Stimmbeteiligung betrug knapp 36 Prozent. Der 31-jährige Jurist Voinçon war erst im Februar bei einer Ersatzwahl in den Stadtrat gewählt worden. Zuvor war er persönlicher Berater von Staatsrätin Luisier gewesen.
«Verblüffendes» Wahlresultat
Doch Voinçon tritt sein Amt nicht unbelastet an. Der Politiker war in den vergangenen Wochen aufgefallen, weil er an der Fasnacht das Schreiben von Sprüchen auf Schaufenster in der Stadt mitorganisiert hatte, die für rassistisch und antisemitisch gehalten wurden. Voinçon hatte seine Beteiligung an den Vorfällen eingeräumt und hat sich inzwischen dafür entschuldigt.
Mit Blick auf diese Ereignisse zeigte sich Johanne Gurfinkiel, Generalsekretär der jüdischen Organisation gegen Antisemitismus Cicad, verblüfft über das Wahlergebnis. Es lasse sich durch die grosse Mobilisierung zugunsten eines Kandidaten erklären, insgesamt sei die Wahlbeteiligung von gut 35 Prozent jedoch ziemlich schwach, sagte er dem Westschweizer Radio RTS.
Zum Auftakt der Fasnacht hatte eine lokale Gruppe, offiziell «Schmierfinke» genannt, rund 250 Schaufenster von Geschäften in Payerne mit Sprüchen bepinselt. Auf ein Schaufenster von jüdischen Geschäftsinhabern schrieb sie in der Nacht vom 7. auf den 8. März «Liquidation finale, solde de 39 à 45%» (Räumungsverkauf, Sonderangebot von 39 bis 45%), womit offensichtlich der Holocaust gemeint war. Die maskierten «Schmierfinke» bezeichneten dies sowie weitere rassistische und sexistische Sätze als satirisch.
Neben vielen Einwohnern hatten auch mehrere Mitglieder des Waadtländer Kantonsparlaments sowie Regierungsratspräsidentin Luisier den Inhalt der Sprüche kritisiert. Inzwischen hat die Waadtländer Staatsanwaltschaft eine strafrechtliche Untersuchung eingeleitet. Es bestehe der Verdacht einer Straftat der Diskriminierung und der Aufstachelung zum Hass.
Konkret soll abgeklärt werden, ob die Graffiti auf der Grundlage von Artikel 261bis des Strafgesetzbuchs strafrechtlichen Charakter haben oder nicht. Der Artikel verbietet den öffentlichen Aufruf zu Rassendiskriminierung, Verunglimpfung und Äusserungen, welche die Menschenwürde aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit oder der Religion verletzen. Ein Verstoss wird von Amts wegen verfolgt.
Strafanzeige und Dialog
Die Waadtländer Sektion der Internationalen Liga gegen Rassismus und Antisemitismus (Licra) reichte Ende März eine Strafanzeige ein, die laut einem Sprecher der Staatsanwaltschaft im Rahmen ihrer Untersuchung behandelt wird. Die Licra warte nun auf eine Feststellung der Justiz, ob diese Äusserungen antisemitisch und rassistisch gewesen seien, erklärte Antoine Reymond, Präsident von Licra Waadt, gegenüber Westschweizer Medien. Das Recht müsse den Charakter dieser Texte bestimmen, nicht die öffentliche Meinung.
Der Verein Cicad entschied sich für eine andere Strategie. Da sich die Staatsanwaltschaft bereits mit der Sache befasse, wäre es laut Gurfinkiel sinnlos, sie mit einer weiteren Strafanzeige zu informieren. Man müsse jetzt nach vorne schauen. Cicad wolle zusammen mit der Exekutive von Payerne einen konstruktiven Dialog aufbauen. Es gehe um einen Weg der Schulung und Erinnerung. Dabei soll die Vermittlung von historischen Ereignissen, die während des Zweiten Weltkriegs stattfanden, gefördert werden. 1942 war der jüdische Viehhändler Arthur Bloch von Nazi-Sympathisanten in Payerne aus rassistischen Gründen ermordet worden.