Bei Real wurde das einstige Wunderkind Martin Ödegaard herumgeschoben und verspottet. Nun glänzt der Norweger als Arsenal-Stratege – er ist genau der Mittelfeldspieler, der den Königlichen fehlt.
Ein Geheimagent von Real Madrid? Diesen Verdacht hegten die Fans des FC Arsenal, als ihr Captain Martin Ödegaard während der letzten Länderspielpause in bizarrer Weise vom eigenen Trainer attackiert wurde.
Nach einer starken Darbietung in einem Match mit dem norwegischen Nationalteam nahm ihn Stale Solbakken nach der Auswechslung spasseshalber am Seitenrand in den Schwitzkasten. Solbakken liess erst los, als Ödegaard fast zu Boden gefallen war. Die Aktion wirkte wie eine Kampftechnik, bei der man sich durchaus um die Gesundheit des Spielers sorgen konnte. Doch Ödegaard blieb unversehrt und führte Arsenal in der Champions League danach zum Sieg im Viertelfinal-Hinspiel gegen seinen früheren Klub Real Madrid (3:0).
Wenn in Madrid vor dem Rückspiel am Mittwoch nun eine historische «Remontada» beschworen wird, dann ist klar: Eine solche Aufholjagd kann nur funktionieren, wenn es gelingt, Ödegaard weitgehend aus dem Spiel zu nehmen. In der vergangenen Woche in London war der Norweger zwar an keinem Treffer direkt beteiligt – aber als Stratege seiner Mannschaft dennoch allgegenwärtig. Er setzte sich im Aufbau immer wieder nach ganz hinten ab, um von dort aus das Angriffsspiel zu strukturieren. Mit seinen Pässen brachte er seine Kollegen weitaus besser in Position, als es auf der Gegenseite der kroatische Veteran Luka Modric, 39, in vergleichbarer Rolle zu tun vermochte.
Die Ironie ist beachtlich: Ödegaard, 26, ein Spieler, den Madrid mehrfach ziehen liess – dieser Ödegaard ist heute genau der Spieler, der Madrid fehlt.
Die Absenz eines ordnenden Gestalters erklärt wie nichts anderes die geradezu ungeheuerliche Zahl von bereits elf Saisonniederlagen des Champions-League-Titelverteidigers. In der vergangenen Saison resultierten gerade einmal zwei Pleiten. Damals war noch Toni Kroos für die Balance im Real-Team zuständig, doch das Karriereende des Strategen hat eine riesige Lücke hinterlassen. Die jüngeren Mittelfeldstars wie Jude Bellingham, Federico Valverde oder Aurélien Tchouaméni sind für das Profil des Taktgebers ungeeignet, Modric ist zu alt, Dani Ceballos wurde zunächst übergangen und hat sich dann verletzt.
Ödegaard debütierte mit 15 im Nationalteam
Vor zehn Jahren hatte sich die Kunde von einem norwegischen Wunderkind in Windeseile über den Kontinent verbreitet: Ödegaard hatte schon mit 15 Jahren im Nationalteam debütiert. Sämtliche prominenten Grossklubs buhlten um ihn, darunter schon damals der FC Arsenal und bald auch Real Madrid. Als der Junge auf Reals Trainingsgelände eingeladen wurde, war er längst zu einem Objekt von Strategie und Prestige geworden – Bereiche, in denen Reals Präsident Florentino Pérez ungern verliert. Martin Ödegaard wurde mit 3,5 Millionen Euro pro Jahr sowie allerlei Privilegien überhäuft, sein Vater und Privattrainer Hans Erik Ödegaard erhielt einen Job als Jugendtrainer und wurde dafür inklusive «signing fee» besser bezahlt als Zinedine Zidane, der damals der Coach der zweiten Real-Mannschaft war.
Mit grossem Aplomb wurde Ödegaard einen Monat nach seinem 16. Geburtstag in Madrid vorgestellt. Doch es gab einen Konstruktionsfehler um den Galaktischen in spe: Er trainierte mit der ersten Mannschaft, spielte aber mit der zweiten. Er pendelte zwischen Stars wie Cristiano Ronaldo einerseits und namenlosen Talenten andererseits. Heimisch wurde er nirgends.
Auf Anordnung der Chefetage liess ihn der Trainer Carlo Ancelotti in einem bedeutungslosen Liga-Match am letzten Spieltag 2014/15 erstmals spielen – er ist bis heute der jüngste eingesetzte Spieler in der Geschichte des ruhmreichen Klubs. Zwei Jahre später schrieb der mittlerweile entlassene Italiener in seiner Autobiografie: «Wenn Florentino Pérez einen Norweger kauft, musst du das einfach akzeptieren. Ich habe nie um ihn gebeten. Bei diesem Transfer ging es um PR.»
Während Ancelotti 2021 zu Real zurückkehrte, ging es für Ödegaard auf Reisen. Während der anderthalbjährigen Ausleihe nach Heerenveen vermochte er nicht zu überzeugen, danach lief es beim niederländischen Liga-Konkurrenten Vitesse Arnhem immerhin gut genug, dass er sich für eine Leihe in Spaniens erster Liga empfahl.
Bei Real Sociedad im Baskenland vermittelte er erstmals eine Idee davon, wie gut er sein kann. Ödegaard wäre gern noch länger in San Sebastián geblieben, wurde jedoch nach Madrid zurückbeordert – und scheiterte dort erneut. Der ehemalige Spielmacher Zidane, sein früherer Chef in Reals zweiter Mannschaft und nun Trainer des Fanionteams, sah in ihm immer noch keinen Spielmacher. Das tat erst Mikel Arteta im FC Arsenal. Seit Januar 2021 kickt Ödegaard in London.
Körperlich und mental mit dem Team verbunden
Rückblickend erklärte Ödegaard, dass er ohne seine Erfahrungen bei Real niemals sein heutiges Niveau erreicht hätte. Am meisten habe ihn beeindruckt, wie besessen sich die damaligen Mitspieler um jedes noch so kleine Detail gekümmert hätten. Ihre Arbeitseinstellung übernahm Ödegaard, er gilt bei Arsenal als Musterprofi. Sein Team führt er nicht durch markige Worte, sondern indem er mit gutem Beispiel vorangeht: Er ist topfit, akribisch, verlässlich, umgänglich. Arteta sagte über Ödegaard einst, es sei unglaublich, wie sehr er körperlich und mental mit seinem Team verbunden sei. Schon 2022 ernannte ihn der Coach überraschend zum Captain – da war er gerade einmal 23 Jahre alt.
Die Verantwortung belastete Ödegaard nicht, vielmehr motivierte sie ihn. Das Team scheint ein Spiegelbild seiner Persönlichkeit geworden zu sein. Der Arsenal FC definiert sich über die Geschlossenheit, Einsatz und Zusammenhalt stimmen immer. Das zeigt sich in der hartnäckigen Verteidigungsarbeit, die Ödegaard anführt. Er gehört stets zu den Spielern mit dem grössten Laufpensum und spielt fast jede Partie durch.
Wenn er nun nach Madrid zurückkehrt, ist mit besonderen Reaktionen des Publikums nicht zu rechnen – sie haben ihn ja kaum kennengelernt. 489 Minuten spielte er insgesamt nur für Real. Damals war er noch ein Zirkuspferd, das glaubte, in jeder Aktion den Hype rechtfertigen zu müssen. Mittlerweile ist Martin Ödegaard ein Team-dienlicher Spielmacher, der selbst Carlo Ancelotti eines Besseren belehrt hat. «Er hatte Charakter und Courage, um wegzugehen und neue Erfahrungen zu suchen», sagte der Real-Trainer, «und nun als einer von Europas Besten zurückzukehren.»
Martin Ödegaard ist doch noch ein Galaktischer geworden, einfach auf Umwegen.