Washington setzt Kiew seit Monaten einseitig unter Druck und geht auf Moskau zu. Trotzdem spielt Putin auf Zeit. Sein Kalkül könnte aufgehen.
Zeit ist ein zentraler Faktor in jeder Friedensverhandlung. Donald Trump versprach erst, er werde den Krieg in der Ukraine in 24 Stunden beenden, dann in 100 Tagen. Nun, gut zehn Tage vor Ablauf dieser Frist, droht sein Aussenminister mit der Einstellung der weitgehend erfolglosen Bemühungen um einen Frieden. Ob eine Einigung möglich sei, zeige sich sehr bald, sagte Marco Rubio am Freitag. Falls nicht, müsse sich Trump anderen Prioritäten zuwenden. «Das ist nicht unser Krieg.»
Auf die zunehmende Ungeduld von Trump und seiner Mannschaft reagiert Moskau mit Verzögerungstaktik: Im Gegensatz zu den Ukrainern und den Amerikanern wollen die Russen keinen umfassenden Waffenstillstand und stellen ständig neue Bedingungen. Am Freitag signalisierte der Kreml, dass er sich nicht einmal mehr an die vor einem Monat ausgehandelte Feuerpause für Luftangriffe gegen die Energieinfrastruktur gebunden fühlt. Diese sei auf einen Monat begrenzt gewesen, die Frist somit abgelaufen, meinte ein Sprecher kühl.
Trumps viele Berater in den Ukraine-Verhandlungen
Die Russen glauben, dass die Zeit für sie spielt. Wladimir Putin ist nicht entgangen, dass der demonstrativ kriegsmüde Trump eine widersprüchliche Verhandlungsstrategie verfolgt. Im für Putin besten Fall ist es sogar eine prorussische. Welcher der Washingtoner Berater das Ohr des Präsidenten hat, bleibt dabei unklar. Rubio müsste als Aussenminister federführend sein, offizieller Ukraine-Sondergesandter ist der pensionierte General Keith Kellogg. Beide gelten als Moskau-kritisch. Doch sie spielen bei den Verhandlungen eine Nebenrolle. Diese führt Steve Witkoff, Trumps ältester Freund.
Der Immobilienunternehmer fiel bisher primär durch Aussagen auf, die von Ahnungslosigkeit und Anbiederung an Putin zeugen. Im März behauptete er, die Bevölkerung der von Russland beanspruchten Regionen Krim, Luhansk, Donezk, Saporischja und Cherson habe sich mit überwältigender Mehrheit für einen Anschluss ausgesprochen. Dass diese «Volksabstimmungen» mit militärischer Gewalt erzwungene Farcen waren, verschwieg er. Zudem setzte Witkoff Russischsprachige in der Ukraine mit Russen gleich und wiederholt seither unkritisch zahlreiche weitere Propagandabehauptungen des Kremls.
Witkoff, der kein einziges Mal in Kiew war, traf Putin in den letzten Wochen dreimal zu langen Gesprächen. Über die Resultate wurde wenig bekannt. Hinter den Kulissen sagte er aber laut Medienberichten, der schnellste Weg zu Frieden sei, Russland die erwähnten fünf Provinzen zu übergeben und Sanktionen zu lockern. Dies ginge deutlich weiter als ein Einfrieren der Front: Die Ukrainer müssten sich dafür alleine in Cherson aus 5000 Quadratkilometern zurückziehen, die sie im ersten Kriegsjahr zurückerobert hatten. 2024 eroberte Russland unter riesigen Verlusten deutlich weniger Territorium.
Unumstritten ist Witkoffs Linie nicht. Darauf deuten nicht nur jene anonymen Quellen, die Medien mit Interna füttern, sondern auch die Verhandlungen von dieser Woche: In Paris trafen sich Witkoff, Rubio und überraschend auch der im März degradierte Kellogg mit Emmanuel Macron und einer ukrainischen Delegation. Es war das erste Mal, dass eine so hochrangige amerikanische Gruppe an Gesprächen mit den Europäern teilnahm. Beide Seiten äusserten sich danach positiv. Laut Teilnehmern ging es um Sicherheitsgarantien für die Ukraine – einen Bereich, in dem Washington vor allem Europa in der Pflicht sieht.
Trump leistet bis jetzt keine neue Waffenhilfe
Auch wenn bei den Diskussionen um eine europäische «Koalition der Willigen», die möglicherweise Truppen in die Ukraine entsenden soll, viel offenbleibt: Eine Abstimmung mit den USA wäre eine Grundvoraussetzung für eine solche Friedensmission. Optimistische Kommentatoren sehen in den Gesprächen, die nächste Woche weitergehen sollen, eine stärkere Koordination des Westens.
Pessimisten glauben hingegen, es gehe Washington darum, die Europäer zu mehr Druck auf die Ukraine zu animieren. Dass Macron zu Beginn des Pariser Treffens sagte, man müsse bei einem Waffenstillstand «in der Wirklichkeit ansetzen», sehen sie als Hinweis, dass nun auch die Europäer offensiver territoriale Konzessionen fordern.
Allerdings stehen die führenden Nationen Kiew weiterhin mit neuen Hilfspaketen bei. Trump hingegen bietet den Ukrainern bis jetzt nur einen umstrittenen Rohstoff-Deal. Dessen Ausarbeitung machte in den letzten Tagen Fortschritte. Doch auch die neuste Version dieser Absichtserklärung, die nächste Woche endlich unterzeichnet werden soll, bleibt in den entscheidenden Fragen unverbindlich.
Waffenhilfe kann die Ukraine von Trump kaum erwarten. Im März blockierte er vorübergehend sogar alle Lieferungen. Nun gehen auch jene zur Neige, die noch Joe Biden bewilligt hat. Indem Trump jegliche militärische Stärkung Kiews ausschliesst, immer wieder die Ukraine für den Krieg verantwortlich macht und wirtschaftliche Sanktionen gegen Moskau nur vage androht, fehlt ihm jedes Druckmittel gegen Putin. Dieser sieht deshalb wenig Anlass, Konzessionen zu machen.
Trumps ursprüngliches Versprechen eines «Friedens durch Stärke» in der Ukraine rückt so in immer weitere Ferne. Rubios Drohung, die USA würden ihre Friedensbemühungen beenden, zeigt, in welcher Sackgasse diese stecken. Für Kiew verheisst das aber wenig Gutes: Trump könnte nämlich das Interesse am Krieg verlieren, weil dessen Beilegung dem sprunghaften Präsidenten zu langwierig erscheint.