Die USA sind bei Medikamenten stark von Importen abhängig. Die Trump-Regierung drängt darauf, dass Hersteller ihre Kapazitäten in Amerika ausbauen. Selbst Branchengrössen wie Roche und Novartis geraten unter Zugzwang.
Die Schweizer Pharmafirmen sind zusammen mit anderen Medikamentenherstellern Ziel einer sogenannten Section-232-National-Security-Investigation. Im Rahmen dieser Untersuchung will das amerikanische Handelsministerium herausfinden, ob die nationale Sicherheit der USA wegen einer allzu starken Abhängigkeit von Arzneimittel-Importen gefährdet ist.
Das Instrument beruht auf einem noch immer geltenden Gesetz aus dem Jahr 1962. Angewendet wurde es erstmals in den 1980er Jahren unter anderem gegen Hersteller von Werkzeugmaschinen. Es gilt als breit abgestützte Grundlage, um die Verhängung von Zöllen zu rechtfertigen.
Überrumpelter Schweizer Branchenverband
Die Medikamentenhersteller sollen sich innerhalb von nur 21 Tagen an der Vernehmlassung zur Einleitung der Untersuchung beteiligen. In der Schweizer Pharmabranche scheint man von der Aufforderung, die Mitte dieser Woche auf der Website mit den täglichen Verlautbarungen der US-Administration (Federal Register) publiziert wurde, überrumpelt worden zu sein. Der Branchenverband Interpharma teilt auf Anfrage mit, zurzeit zusammen mit den Mitgliedsfirmen zu klären, ob eine Eingabe zielführend wäre.
Man überprüfe gerade die Ankündigung, heisst es auch bei Novartis, dem zweitgrössten Schweizer Medikamentenhersteller. Der grösste Schweizer Pharmakonzern Roche will sich zum Thema nicht äussern. Auch Lonza lehnt zum jetzigen Zeitpunkt eine Stellungnahme ab. Der Basler Konzern verfügt anders als Roche und Novartis nicht über eigene Produkte, sondern stellt im Auftrag zahlreicher Pharma- und Biotechfirmen Arzneimittel her.
Markus Blocher ist sich noch nicht sicher
Gesprächiger ist ein kleinerer Konkurrent von Lonza, das Zofinger Unternehmen Siegfried. Es bestätigt, an der Vernehmlassung in den USA mitzuwirken. Dottikon ES, ein weiterer Schweizer Lohnhersteller von Pharmaprodukten, teilt mit: «Wir werden die Unterlagen prüfen und entscheiden, ob und wie wir darauf reagieren werden.» Markus Blocher, der Verwaltungsratspräsident, Chef und Mehrheitsaktionär, fügt hinzu, dass er momentan noch nicht sagen könne, ob er seinen Entscheid dazu öffentlich machen werde.
Im Rahmen der Vernehmlassung sind nicht nur Schweizer Pharmafirmen, sondern sämtliche Medikamentenhersteller mit Geschäften in den USA aufgefordert, Antworten auf zehn verschiedene Fragen zu geben. Aus Schweizer Sicht ist vor allem die Frage acht brisant: Die Unternehmen sollen angeben, wie sie die Machbarkeit von Massnahmen zum Ausbau amerikanischer Produktionskapazitäten beurteilen.
Weitere Fragen betreffen die Rolle ausländischer Lieferketten bei der Herstellung von Medikamenten für den amerikanischen Markt oder den Einfluss ausländischer Subventionen auf die Wettbewerbsfähigkeit der amerikanischen Pharmaindustrie. Auch will das Handelsministerium wissen, wie weit ausländische Regierungen mithilfe von Exportrestriktionen die Versorgung der Vereinigten Staaten mit Arzneimitteln beeinträchtigen können.
Hohes US-Defizit im Handel mit Medikamenten
Die USA sind mit Abstand der grösste Pharmamarkt. Im vergangenen Jahr wurden im Land geschätzt über 460 Milliarden Dollar für rezeptpflichtige Medikamente ausgegeben. Doch die meisten Arzneimittel für den amerikanischen Markt werden aus dem Ausland eingeführt.
Insgesamt importierten die USA 2024 pharmazeutische Produkte für 210 Milliarden Dollar. Allein die Schweizer Ausfuhren von Pharmaprodukten in Richtung Vereinigte Staaten, einschliesslich Vitamine und Diagnostika, erreichten fast 32 Milliarden Franken. Die amerikanischen Exporte im Pharmabereich betrugen zugleich nur 95 Milliarden Dollar.
In den Augen der neuen US-Administration bedeutet dies ein inakzeptables Missverhältnis. Der Präsident Donald Trump ist bekannt dafür, jegliches Handelsbilanzdefizit als Zeichen dafür zu werten, dass die Vereinigten Staaten über den Tisch gezogen werden.
Handelsminister macht Druck
Howard Lutnick, der neue Handelsminister, deutete bereits vor einer Woche in einem Interview mit dem Fernsehsender ABC an, dass er die nationale Sicherheit verletzt sehe. Er insistierte, dass die Vereinigten Staaten kritische Güter wie Medikamente selbst herstellen müssten.
Auch Schweizer Pharmaunternehmen stehen damit vor der Frage, wie sie einen Beitrag zur verstärkten Eigenversorgung der USA mit Arzneimitteln leisten könnten. Praktisch bei null muss Dottikon ES beginnen. Das Unternehmen, das neben europäischen vorab amerikanische Kunden mit seinen Wirkstoffen für Tabletten beliefert, hat die gesamten Aktivitäten am Aargauer Stammsitz konzentriert. Ob sich diese Ein-Standort-Strategie angesichts des wachsenden politischen Drucks aus den USA aufrechterhalten lässt, ist fraglich.
Pharmafirmen, die noch über keine Fertigungsstätte in den USA verfügen, könnten gewisse Produktionsschritte von amerikanischen Partnerfirmen ausführen lassen. Eine weitere Option wäre der Aufbau eines eigenen Werks in den Vereinigten Staaten. Dies dürfte aber mehrere Jahre in Anspruch nehmen und ist in den USA nicht anders als in der Schweiz mit hohen Investitionen verbunden. Dottikon beispielsweise hat in den vergangenen Jahren 700 Millionen Franken in den Ausbau des Stammwerks investiert, um so die Produktionskapazitäten beinahe zu verdoppeln.
Siegfried wähnt sich in einer komfortablen Situation
Besser gestellt mit Blick auf die amerikanischen Erwartungen ist Siegfried. Die Firma erwirtschaftet den Grossteil ihres Umsatzes mit Kunden im amerikanischen Markt bereits mit Leistungen, die in den Vereinigten Staaten selbst erbracht werden. Nur 20 Prozent dieses Beitrags würden in die USA importiert, schätzt das Unternehmen.
Siegfried kommt zugute, erst Mitte vergangenen Jahres einen dritten amerikanischen Produktionsstandort erworben zu haben. Man werde die Präsenz in den Vereinigten Staaten auch in Zukunft weiter ausbauen, sei es aus eigener Kraft oder mithilfe von Akquisitionen, betont die Unternehmensführung.
Auch der Baselbieter Konkurrent Bachem will in Amerika wachsen. Man plane, insbesondere im Werk im kalifornischen Vista einen deutlich zweistelligen Millionenbetrag in den Ausbau zu investieren, teilt ein Sprecher mit.
Wie viele Milliarden wirft Roche auf?
Mit solchen Ansagen können Schweizer Pharmaunternehmen versuchen, in Washington Punkte zu sammeln. Letztlich dürften aber nur milliardenschwere Investitionen geeignet sein, die Bedenken der US-Regierung wegen der Abhängigkeit von Importen zu verringern.
In diese Kategorie fallen die 23 Milliarden Dollar, die Novartis vergangene Woche an Investitionen in den Ausbau des Produktionsnetzes und der Forschungstätigkeit in den USA in Aussicht gestellt hat. Eine weitere Grossinvestition wird in Branchenkreisen von Roche erwartet. Die Rede ist von einem ebenfalls zweistelligen Milliardenbetrag. Roche selbst hält sich dazu bedeckt. Eine Konzernsprecherin erklärt lediglich, dass «etwas» kommen und man sich zu gegebenem Zeitpunkt dazu äussern werde.
Zölle auf Medikamente wohl unausweichlich
Der hohe Exportüberschuss, den hiesige Pharmafirmen bei Geschäften mit den USA erzielen, gilt als Hauptgrund, weshalb die Trump-Regierung der Schweiz «reziproke» Zölle von 31 Prozent auferlegt hat. Weiterhin offen ist, ab wann die Pharmaindustrie mit branchenspezifischen Zöllen bei der Einfuhr von Medikamenten nach Amerika rechnen muss. Bei der Ankündigung der «reziproken» Zölle am 2. April waren Pharmaprodukte explizit noch davon ausgenommen worden. Dies blieb auch so, als Trump nur eine Woche später bekanntgab, die Zölle, abgesehen von der Erhebung eines Mindestsatzes von 10 Prozent, während 90 Tagen für alle Länder mit Ausnahme Chinas auszusetzen.
Doch Lutnick machte im Fernsehinterview vor einer Woche klar, dass kein Weg an Zöllen auf Pharmaprodukte vorbeiführe. «Solche werden in den nächsten ein bis zwei Monaten kommen», sagte der Handelsminister. Auch Donald Trump hat in den vergangenen Wochen immer wieder seine Drohung wiederholt, die Pharmaindustrie mit Zöllen zu bestrafen. Dabei sprach er von 25 Prozent oder mehr.
Mit 25 Prozent würden die Medikamentenhersteller gleich schlecht wegkommen wie die Auto-, Stahl- und Aluminiumhersteller. Gegen diese Branchen hatte Trump bereits während seiner ersten Amtszeit als Präsident Section-232-Untersuchungen durchführen lassen. Alle drei Branchen wurden aber erst jüngst mit dem schmerzhaften Satz von 25 Prozent belegt. Die Schweizer Pharmaindustrie kann nun versuchen, mit geschickten Antworten zu verhindern, dass der Zollhammer auf sie niedergeht.
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