Hat Ihnen Ihre Bank ohne Angabe von Gründen das Konto gekündigt? Dann stehen Sie im Verdacht, ein Geldwäscher zu sein. So wie 15 140 andere Menschen auch.
Wir kennen den Vorgang aus Mafia-Filmproduktionen wie «Casino», «The Accountant» oder «Ozark»: Trickreiche Geldwäscher schleusen schmutziges Geld aus Drogen- und Waffenhandel oder Schutzgelderpressung in den legalen Wirtschaftskreislauf ein.
Angesichts der Schwere dieser Straftat erstaunt es, dass Geldwäscherei eine Art Volkssport zu sein scheint: Schweizer Banken haben die Meldestelle für Geldwäscherei (MROS) letztes Jahr 15 141 Mal auf verdächtige Kunden hingewiesen. Das ist nicht nur eine hohe absolute Zahl, sondern sie bedeutet auch eine Verdoppelung im Zeitraum von zwei Jahren. Was passiert da?
«Die Banken melden heute sehr viel mehr Verdachtsfälle als noch vor ein paar Jahren, aber offenbar haben viele weniger Substanz», sagt Luca Bonato. Er ist Leiter Compliance und Regulierung beim Beratungsunternehmen PwC Schweiz. «Die Behörden leiten sogar weniger Strafverfahren wegen Geldwäscherei ein als früher. Sie triagieren stärker als je zuvor.»
In der Vergangenheit hätten die Banken ihre Kunden oft in den Schutz genommen, so Bonato. Wegen des starken regulatorischen Drucks und weil die für Compliance zuständigen Mitarbeiter heute auch als Privatpersonen rechtlich belangt werden könnten, sei das nun anders. «Im Zweifelsfall entscheidet man sich gegen die Kunden.»
Verdächtig macht man sich etwa, wenn man viele Bargeldtransaktionen macht oder Geld in exotische Länder überweist oder von dort erhält.
Ist es schlimm, wenn die Bank ein Konto der MROS meldet? Kunden mit auffälligen Kontobewegungen haben ja nichts befürchten, wenn sie nichts Illegales im Schilde führen, würde man meinen.
Unschuldsvermutung ist für Banken zweitrangig
Weit gefehlt, denn für die Banken steht die Unschuldsvermutung nicht zuoberst. Dafür ist der Druck auf sie zu gross. Die «NZZ am Sonntag» konnte mit den beiden Hauptverantwortlichen für die Risikoüberwachung einer grossen Bank zusammensitzen – unter der Bedingung, dass der Name ihres Instituts nicht genannt wird.
Bei dieser Bank berichtet man nicht nur von gestiegenen regulatorischen Anforderungen. Es bestünden auch «bestimmte Erwartungen von externen Revisoren». Von diesen bekommt die Geschäftsführung der Bank etwa das Argument zu hören: «Ihr setzt bloss x Meldungen ab, vergleichbare Banken haben eine höhere Quote.»
So entscheide man sich im Zweifel eher dazu, einen Fall zu melden, als nicht zu melden. Und das hat einschneidende Konsequenzen für die Betroffenen.
«Wenn wir eine Verdachtsmeldung absetzen, trennen wir uns generell von den Kunden. Das wird vom Gesetz zwar nicht ausdrücklich verlangt, aber wir würden uns angreifbar machen, wenn wir Kunden behalten, die wir selbst wegen Verdachts auf Geldwäscherei gemeldet haben», erzählen die Risikoüberwacher. Nicht zuletzt wolle man auch die eigenen Mitarbeiter schützen, die persönlich belangt werden könnten.
Kündigung ohne Angabe von Gründen
Kundenbeziehungen aufzukündigen sei sehr unangenehm, weil man einem Informationsverbot unterliege. «Wir dürfen die wahren Gründe für die Kündigungen nicht nennen, sondern berufen uns einfach auf die allgemeinen Geschäftsbedingungen. Das stösst bei den Betroffenen natürlich auf grosses Unverständnis.»
Dazu kommt, dass die Bank auch regelmässig auf Geldwäscherei bezogene Auskunftsbegehren erhält: von der MROS, von der Finma oder von Staatsanwaltschaften. Informationen zu den Hintergründen dieser Begehren gebe es allerdings nur spärlich.
Gewisse Banken trennten sich auch konsequent von Kunden, über die Behörden solche Informationen verlangten. Die beiden Risikoexperten der Bank, die der «NZZ am Sonntag» Einblick in ihre Geschäftspolitik gegeben haben, betonen, dass sie das anders handhabten. Sie würden jeden Fall einzeln analysieren.
Die Bank setzt dann jene Geschäftsbeziehungen, bei denen sie selbst keine Hinweise auf Geldwäscherei erkennen kann, auf eine Beobachtungsliste. Das aber ziehe eine intensive Überwachung nach sich und bringe einen hohen Zusatzaufwand.
Wenn man unterstellt, dass die meisten Banken jene Kundenbeziehungen beenden, die sie bei der MROS melden, kommt es in der Schweiz also jährlich zu Tausenden von Kontokündigungen ohne Angabe von Gründen.
Meldestelle ist am Anschlag
Werden dadurch mehr Mafiosi zur Strecke gebracht? Die MROS hat bisher erst die neuen Meldezahlen auf ihrer Webseite aufgeschaltet. Ihr Jahresbericht mit Details, zum Beispiel wie viele Fälle sie den Strafverfolgungsbehörden beim Bund und in den Kantonen weiterleitet, veröffentlicht sie Anfang Mai. Eine Sprecherin bittet um Geduld.
Bereits im Vorjahresbericht jedoch thematisierte die MROS die stark steigende Anzahl von Verdachtsmeldungen. «Es wird lieber einmal zu viel als zu wenig gemeldet.» Sie prophezeite schon damals einen weiteren Anstieg: Die Finanzbranche werde kaum aus eigenem Antrieb zurückbuchstabieren, zumal die Signale der Straf- und Aufsichtsbehörden, aber auch der Financial Action Task Force on Money Laundering – der globale Standardsetzer – eher auf eine Verschärfung hindeuten. Die MROS mahnte damals: «Die Meldestelle ist für eine weitere Zunahme des Meldevolumens nur bedingt gerüstet; sie stösst mit ihren personellen und technischen Ressourcen an ihre Grenzen.»
In den letzten Jahren leitete die MROS trotz der rasch steigenden Meldeflut immer weniger Fälle an die Strafverfolgungsbehörden weiter. 2023 übermittelte sie insgesamt 866 Anzeigen. Zum Vergleich: Im Jahr zuvor waren es 1232 Anzeigen, 2021 sogar 1486.
Die Bundesanwaltschaft, bei der die schweren Fälle landen, hat letztes Jahr 109 Hinweise der MROS erhalten, nach 113 im Jahr zuvor. Sie zeigt sich mit der Zusammenarbeit aber «sehr zufrieden».
Den Grund, wieso sich die Zahl der Meldungen an die Bundesanwaltschaft «auf konstantem Niveau» bewege, sieht man darin, dass MROS vorher eine Priorisierung und Bündelung vornehme. Die Bundesanwaltschaft hat letztes Jahr 75 Strafverfahren wegen Geldwäscherei eingeleitet, fünf mehr als im Jahr davor.
«Hysterische» EU
Böse Zungen sprechen vom Paradox eines zunehmend engmaschigeren Netzes, in dem immer gleich viele Fische hängenbleiben. Experten sagen aber auch, dass man in der Schweiz «weniger hysterisch» sei als in der EU. Weil dort viele Staaten klamm sind, vermischt sich auch der Kampf gegen Geldwäscherei und blosse Steuerhinterziehung immer stärker.
In Frankfurt wird derzeit eine neue EU-Geldwäscherei-Überwachungs-Behörde (Amla) aufgebaut, die bald 430 Personen umfassen soll. Die Schaffung der Amla nährt hartnäckige Verschwörungstheorien auf Social Media, wonach die EU die Privatsphäre ihrer Bürger vollends abschaffen wolle und bald eine Kriegssteuer für wohlhabende Europäer einführen werde.
Schuld an diesen Gerüchten ist auch das EU-Parlament: Es hat eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben, ob und wie die Einführung einer zentralen Datenbank über die Vermögen von EU-Bürgern möglich wäre. Das sorgte selbstverständlich für einen Wirbel, und die Europäische Kommission sah sich letztes Jahr genötigt, entsprechende Pläne zu dementieren.
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