In den Städten stehen Mieter unter Druck. Günstige Altmieten werden rar, die Marktpreise schnellen nach oben. Bei einem Wohnungswechsel sind viele Mieter finanziell überfordert.
Eine alleinerziehende Mutter, nennen wir sie Mieterin W.*, steht vor einem Problem, das in den Städten immer häufiger wird: Sie verliert ihre langjährige Wohnung und muss auf dem freien Markt eine neue finden. Mit ihren zwei Teenagern lebte sie in einem charmanten Altbau in Zürich Wipkingen, einer 3-Zimmer-Wohnung mit rund 75 Quadratmetern. Die Miete war mit 1100 Franken monatlich ausgesprochen günstig, und die Familie hatte dort ein Zuhause gefunden. Hier habe sie ihre Kinder grossgezogen, sagt sie. Doch dann begann das Drama.
Die neue Wohnung – und die böse Überraschung
Nach einer Handänderung der Liegenschaft, die zuerst an eine gemeinnützige Stiftung und später an eine Genossenschaft verkauft wurde, wandelte sich plötzlich alles. Die Genossenschaft plante einen Ersatzneubau mit höherer Ausnützung des Grundstücks. Dabei wurde der Mieterin W. in Aussicht gestellt, nach einer Bauzeit von zwei Jahren in eine der neuen Wohnungen zurückkehren zu können.
So unterschrieb sie eine Aufhebungsvereinbarung für ihren Mietvertrag. Voller Vorfreude habe sie zusammen mit den Söhnen die neue Wohnung im Rohbau besichtigt, erzählt sie. Doch dann kam die böse Überraschung. Die neue Miete lag netto bei 3000 Franken. Weiter teilte die Verwaltung mit, dass auch die Akonto-Beiträge für die Nebenkosten verdreifacht würden.
Keine Wahl, aber hohe Mehrkosten
Die neue Wohnung lag ausserhalb der finanziellen Möglichkeiten der alleinerziehenden Mutter. So wurde die Wohnung, die sie nur temporär während des Umbaus nutzen wollte, unfreiwillig zur neuen Bleibe.
Sie hat über Wochen Briefe geschrieben und Einwände vorgebracht. Die Genossenschaft berief sich auf die üblichen «Marktpreise» im Quartier. Der Neubau wurde gar in Architekturzeitschriften als Design-Ikone gefeiert, während für die ehemaligen Mieter das Wohnen unerschwinglich wurde.
Der Immobilienökonom Andreas Loepfe sieht darin eine Entwicklung, die sich noch deutlich zuspitzen dürfte. Schon heute treiben hohe Bodenpreise, steigende Baukosten und ein knappes Angebot die Mieten nach oben. Darauf reagieren Städte mit schärferen Regulierungen. Doch ausgerechnet die Einschränkungen im Mietrecht, in der Raumplanung und im Ortsbildschutz könnten den Kostenschub weiter verstärken. «Die Mieten werden in den nächsten zehn Jahren in einem Ausmass steigen, das sich die meisten Leute heute nicht vorstellen können», sagt Loepfe.
«Sparen für steigende Mieten von morgen»
Für Mieterhaushalte sei es unumgänglich, finanzielle Vorsorge zu treffen. «Ich empfehle Mietern, schon jetzt Rücklagen zu bilden, um später den Unterschied zu den hohen Angebotsmieten finanzieren zu können», rät er.
«Angenommen, Sie sparen 1000 Franken pro Monat ein, weil Ihre Miete unter den Marktwerten liegt, dann entspricht das 240 000 Franken in 20 Jahren», rechnet er vor. Später müsste dies reichen, um entweder eine Eigentumswohnung zu finanzieren oder die Lücke zu höheren Mieten zu schliessen.
Warum Wohnungswechsel immer teurer werden
Hinter dem Preissprung beim Wohnungswechsel steckt eine Besonderheit des Mietrechts. Es gibt zwei Arten von Mieten: Bestandes- und Angebotsmieten. Während Bestandesmieten – die laufenden Mietpreise in bestehenden Verträgen – nur moderat steigen, schiessen die Angebotsmieten seit Jahren in die Höhe (siehe Grafik). Das betrifft die Preise von neu ausgeschriebenen Wohnungen, etwa in Neubauten.
Robert Weinert vom Beratungsunternehmen Wüest Partner erklärt dies mit dem Ungleichgewicht: «Das Wohnungsangebot in den Städten ist viel zu knapp, um die Nachfrage zu decken.» Auch gesetzliche Vorgaben spielen eine zentrale Rolle. Mieten im Bestand sind gesetzlich streng reguliert und an den offiziellen Referenzzinssatz gekoppelt. Sinken die Zinsen, können Mieter niedrigere Mieten einfordern.
Anders bei Angebotsmieten – bei Neubauten oder Mieterwechseln haben die Vermieter Spielraum, die Preise anzuheben. Orts- und Quartierüblichkeit ist ein zulässiger Erhöhungsgrund. Das Resultat dieser Ungleichheit belastet vor allem Umziehende. Besonders in Städten wie Zürich, wo jährlich etwa 12 Prozent der Mieterhaushalte umziehen, trifft es viele Menschen.
Nüchterne Analyse – und ein Lösungsansatz
Was braucht es, um den Preisanstieg zu stoppen? Die Analyse des Experten Loepfe ist klar, doch auch ernüchternd: Weitere Eingriffe in den Wohnungsmarkt kämen dem Versuch gleich, die Dosis eines Medikaments zu erhöhen, das schon zuvor keine Wirkung gezeigt habe. «Die Zersiedlung auf dem Land fand trotz zentral gesteuerter Raumplanung statt, und die Innenentwicklung der Städte bleibt hinter den Erwartungen zurück», sagt er. Mietzinsen, die immer noch weiter nach oben gingen, seien ja nichts anderes als Ausdruck einer extremen Knappheit.
Statt das Wachstum um jeden Preis in die Innenstädte zu lenken, schlägt er eine Alternative vor: Wohnraum lasse sich besser in weniger dicht besiedelten Gebieten schaffen – dort seien die Preise tiefer, und neue Projekte stiessen auf weniger Widerstand. «Man kann nicht verdichten, wo es schon dicht ist», sagt er. Verdichtung in Städten führe häufig zu hohen Kosten, sozialen Spannungen und politischem Widerstand, während in der Agglomeration bessere Bedingungen bestünden.
Investoren schlagen Alarm
Der Investor M.*, seit mehr als zwanzig Jahren im Wohnungsbau tätig, zeigt sich ebenso besorgt über die Konsequenzen künftiger Eingriffe. Trotz der hohen Komplexität seien innerstädtische Projekte gegenwärtig realisierbar und finanzierbar. Noch mehr Einschränkungen würden jedoch die ohnehin fragile Rechtssicherheit untergraben und Investoren den Spielraum nehmen, Projekte wirtschaftlich umzusetzen.
Als Negativbeispiel nennt er den Basler Wohnschutz, der bei Renovationen und Ersatzneubauten eine strenge Mietkontrolle vorsieht. Selbst kleinste Massnahmen wie der Ersatz eines Geschirrspülers müssen einer Wohnschutzkommission vorgelegt werden, die dann darüber entscheidet, wie hoch der Mietzins sein darf.
Eine ähnliche Entwicklung zeichnet sich im Kanton Zürich ab. Der Mieterverband und linke Parteien lancierten ebenfalls eine Wohnschutzinitiative. Die Stimmbevölkerung im Kanton Zürich wird voraussichtlich 2026 darüber abstimmen.
Dabei zeigen Zahlen des Swiss Real Estate Institute der Hochschule für Wirtschaft in Zürich (HWZ), dass nach der Einführung des Basler Wohnschutzes die Zahl neu gebauter Wohnungen um rund 75 Prozent eingebrochen ist.
Wenn Investoren wie M. Projekte unter den Bedingungen eines Modells wie in Basel durchkalkulieren, fällt das Fazit eindeutig aus: Die dort noch zulässigen Mieten reichen bei weitem nicht aus, um die hohen Kosten zu decken.
Auch für Peter Ilg, Leiter des Swiss Real Estate Institute, wären die Folgen gravierend: «Aus fachlicher Sicht lässt sich bei derart schlechten Ertrags- und Renditeaussichten ein Engagement von Schweizer Pensionskassen in Immobilien kaum mehr rechtfertigen.»
Ilg warnt vor den Folgen: Zahlreiche Eigentümer handelten schon jetzt vorsorglich, etwa mit vorgezogenen Umbauten oder der Umwandlung in Stockwerkeigentum, solange dies nach den geltenden Regeln noch möglich sei.
Die Nachfrage wächst: 10 Millionen bis 2040
Die angespannte Lage wird durch die ungebrochene Nachfrage weiter verschärft. Das zeigen die neusten Szenarien des Bundesamtes für Statistik (BfS). «10 Millionen Einwohner bis 2040 sind ein plausibles Szenario», erklärt Johanna Probst, Leiterin des Bereichs Demografische Analysen beim BfS.
Die durch den Arbeitsmarkt generierte Zuwanderung sei der wesentliche Faktor des Bevölkerungswachstums – und damit der Wohnraumnachfrage: «Etwa 80 Prozent der jährlichen Zunahme war in den letzten zehn Jahren darauf zurückzuführen», erklärt Probst.
Allerdings wird sich nicht nur die Bevölkerungszahl weiter erhöhen. «Die Anzahl der Ein-Personen-Haushalte nimmt zu, sowohl durch eine alternde Gesellschaft als auch durch jüngere Menschen, die immer öfter allein wohnen», so Probst. Dadurch steigt die Gesamtzahl der Haushalte weiter, was den Wohnraumbedarf noch zusätzlich erhöht – denn jeder Haushalt benötigt eine eigene Wohnung.
Ab 2035 rechnet das BfS damit, dass der Saldo von Geburten und Todesfällen in der Schweiz erstmals unter null fallen wird (siehe Grafik). Das werde zwar das Bevölkerungswachstum dämpfen, aber wir seien «noch weit davon entfernt, dass die Wohnbevölkerung insgesamt zurückgehen» würde, sagt Johanna Probst. Weil in den nächsten Jahren die Generation der Babyboomer in Pension geht, wird sich die Lücke auf dem Arbeitsmarkt nur durch die Zuwanderung schliessen lassen. Die Hoffnung auf Entspannung des Wohnungsmarktes könnte sich erneut als trügerisch erweisen.
* Namen der Redaktion bekannt.
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